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„Jesus ist besser als Hasch“

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Als das „Salz der Erde“ bezeichnete, die Bibel zitierend, Prof. Dr. Walter Huder von der Akademie der Künste in Berlin am Ende der vom 20. bis 23. April auf Schloß Krastowitz bei Klagenfurt abgehaltenen Tagung die Tätigkeit der „Evangelischen Akademie Kärnten“. Dieses positive Urteil wiegt um so mehr, als Prof. Huder Nichtchrist ist. Das Generalthema der Tagung lautete diesmal „Sinnvolles Leben? Wege und Umwege“ und bewies damit wieder einmal die Lebensnähe und Aktualität, die seit Jahren die Tagungen der Evangelischen Akademie kennzeichnen. Ebenso übt sie, abgesehen von ihrer großzügigen Einstellung, seit einigen Jahren auch praktische ökumenische Gesinnung, indem sie am abschließenden Sonntag jeweils einen ökumenischen Gottesdienst feiert (diesmal unter Mitwirkung des fast ganz katholischen Vokalensembles Völkermarkt), und seit ein paar Jahren auch der Diözesanbischof der katholischen Kirche Kärntens an der Eröffnungsveranstaltung teilnimmt.

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Als das „Salz der Erde“ bezeichnete, die Bibel zitierend, Prof. Dr. Walter Huder von der Akademie der Künste in Berlin am Ende der vom 20. bis 23. April auf Schloß Krastowitz bei Klagenfurt abgehaltenen Tagung die Tätigkeit der „Evangelischen Akademie Kärnten“. Dieses positive Urteil wiegt um so mehr, als Prof. Huder Nichtchrist ist. Das Generalthema der Tagung lautete diesmal „Sinnvolles Leben? Wege und Umwege“ und bewies damit wieder einmal die Lebensnähe und Aktualität, die seit Jahren die Tagungen der Evangelischen Akademie kennzeichnen. Ebenso übt sie, abgesehen von ihrer großzügigen Einstellung, seit einigen Jahren auch praktische ökumenische Gesinnung, indem sie am abschließenden Sonntag jeweils einen ökumenischen Gottesdienst feiert (diesmal unter Mitwirkung des fast ganz katholischen Vokalensembles Völkermarkt), und seit ein paar Jahren auch der Diözesanbischof der katholischen Kirche Kärntens an der Eröffnungsveranstaltung teilnimmt.

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Die Frage nach dem Sinn des Lebens wurde in Einzelreferaten von verschiedenen Seiten beleuchtet. Von den Theologen: Helmut Aichelin, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Stuttgart, und Johannes Strauß, Evangelische Akademie Tutzing, dem Philosophen und Historiker Dr. Friederbert Lorenz, Fulda, dem Mediziner und Psychologen Univ.-Prof. Dr. E. Ringel, Wien, und dem Literatur- und Kunstgeschichtler Prof. Dr. Walter Huder, Akademie der Künste, Berlin.

Letzterer gilt übrigens auch als besonderer Kenner der Pop-Art, des Beat und der Hippiewelt; und es war nicht ohne Pikanterie, gerade ihn, den außerdem NichtChristen, die Tagung der Evangelischen Akademie über Sinn und Glück des Lebens mit seinem Vortrag eröffnen zu lassen.

Sein Vortragsthema lautete: „Zur Frage des Glücks —Pop-, Beat-, Hippie- und Undergroundliteratur.“ In provokanter Formulierung, die am Eröffnungsabend fast wie ein Paukenschlag wirkte, entwarf er ein Bild jener Welt, die zur bestehenden in Opposition steht. Aus gründlicher Sachkenntnis führte er ihre Wurzeln auf Kubismus und Dadaismus zurück und zeichnete mit grellen Farben das Kritikwürdige an unserer Gesellschaft: das Konsumdenken, die Kommerzialisierung von Kunst und Leben, die zur Überproduktion und zu der' daraus entspringenden Wegwerfmentalität führt und Hand in Hand geht mit der Wegwerfmentalität im leichtfertigen Umgang mit Frauen. Herausgefordert * werde die Hippiewelt auch durch die merkantile Manipulation in der Werbung durch Sexualisierung dieser Werbung.

*

Außerhalb des Kommerzes sehen die Hippies allerdings die freie, ungehemmte und durch Drogen gesteigerte Liebe in allen ihren Varianten bis zur Abseitigkeit als einen der Wege zum Glück. Prof. Huder meinte, daß die Hippies damit nur auf die Brutalität ihrer Umwelt reagierten.

Die Radikalisierung von Pop- und Hippiekult werde durch die zahlreichen Intellektuellen unter ihnen vorgetrieben. Dazu gehöre die Ablehnung der Kunst („als überholtes Klischee der Väter“) und ihr Ersatz durch „Objekte“, die ohne die Zwischenmedien Form und Stil vorgestellt werden sollen.

Der Beat arbeite mit Ton- 'und Sprachfetzen improvisierend, und die Dichtung werde durch „Texte“ ersetzt („Metapher und Symbol seien ein Ekel“).

Im Theaterleben würden die Idole des Bürgertums von Popart und Hippietum uminterpretiert: der idealdenkende Egmont masturbiert, Hamlet trinkt Whisky in einem Bordell, Schneewittchen schläft als emanzipierte Frau der Reihe nach mit den sieben Zwergen.

Diese Art Glücksuche und Sinngebung der Hippies ist natürlich nur in einer in ihrem Sinne veränderten Gesellschaft möglich. Daher besteht jenes politische Streben, dessen treibende Kräfte u. a. wie Huder sagte,

Personen wie Teufel, Langhans, Kunzelmann, Eisner und der Willi-Brandt-Sohn, Peter Brandt, seien.

Prof. Huder beschränkte sich auf die Feststellung, daß diese von ihm skizzierten Kreise nun einmal zu unserer Welt gehörten. Tagungsleiter Johannes Strauß erklärte, daß wir die Herausforderung durch Pop und Hippies aushalten müßten. Eine direkte, konkrete Diskussion unterblieb, und Gegengewichte wurden erst durch die weiteren Referate geschaffen.

*

/ So zeigten schon die Ausführungen des Mediziners^ Unjv.-Prof. Dr. Ringel, über „Neurotische Selbstverwirklichung und Selbstzerstörung des Menschen“ eine gewisse Verzahnung mit den Problemen der Hippie-Motivationen.

Selbstverwirklichung und Selbstzerstörung seien niemals eine Frage des Verstandes, sondern der Psyche. Daher sei auch die psychische Beeinflussung und Entwicklung des Kindes für die spätere Entwicklung des Menschen so wichtig. Urvertrauen oder Urmißtrauen beginnen schon in der Wiege. Liebesvernachlässigung ersticke schon im Kind die Lebensfreude. Wir müßten nicht erst nach Afrika gehen, um Menschen an Hoffnungslosigkeit sterben zu sehen, meinte Prof. Ringel. Nicht Gebote und Verbote machen Kinder neurotisch, sondern Gebote und Verbote, die zu wenig mit Liebe verbunden seien. Das Ungeliebtsein des Kindes führe später zu Aggression auf der einen, zu Gehemmtsein und Egoismus auf der anderen Seite. Selbstentscheidungen des Kindes, wie später des Erwachsenen, basierten auf einer die Werte nicht verzerrenden Erziehung.

Mehr Licht in die Trübsal unserer Zeit brachte der sehr informierende Vortrag von Johannes Strauß, der aufzeigte, wie Jesus überall, im Theater, in Rundfunk und Fernsehen, im Film und in der Literatur als Thema oder Vergleich aufscheine. Jesus werde heute sogar von Atheisten respektiert, und immer mehr interessiere sich die progressive Jugend für ihn. Man könne heute sogar von einer Art „Jesus-Boom“ sprechen. Gegenüber aggressiven Darstellungen, wie der des Theologen Adolf Holl, der mit seinem Buch „Jesus in ischlechter Gesellschaft“ das kirchliche Establishment angreift, müsse man aber auch sagen, daß es ohne die christlichen Kirchen kein heutiges Jesus-Bild gebe. Bedeutsam für die Zukunft sei auch daß selbst Marxisten wie Ernst Bloch der bisherigen Welt die Jesuswelt gegenüberstellten.

Vom philosophischem Aspekt aus stellte Dr. Lorenz in seinem Vortrag die Frage, ob sich der Sinn des Lebens in der Geschichte entdecken lasse? Diese Frage decke sich aber mit der Frage nach dem Sinn- der Geschichte. Die historische Wahrheit könne nur aus Fakten bestehen. Ihre Sinndeutung könne man aus der richtigen Wiedergabe der Fakten nicht ablesen. Sicherlich lägen die Fakten auch zwischen Gut und Böse; aber ihre Einordnung hänge von der Weltanschauung ab.

*

Das Thema vom Sinn des Lebens und vom Glück kam am intensivsten im Vortrag von Helmut Aichelin zum Tragen. Unter dem schlicht anmutenden Titel „Religiöser Aufbruch? Anzeichen einer neuen Religiosität?“ verbarg sich eine umfassende Schau von dem, was ist, und dem, was auf uns zukommt; ferner ein Ausblick, der eine große Wende ahnen läßt.

Gewiß werde das Leben ohne Gott noch einige Zeit bestimmend für unsere Welt sein und die geistige Säkularisierung noch weiter um sich greifen, aber allenthalben zeigten sich Ansatzpunkte eines Ausbruches aus dem ausschließlich Diesseitigen, eine Hinwendung zum Transzendenten. Fast wirkte diese These wie eine Provokation, aber Aichelin belegte sie:

1. Erkenntnistheoretisch: Die Naturwissenschaft stehe nach dem Durchstoßen der Rationalität vor Fragen, die mit wissenschaftlichen Methoden nie gelöst werden können.

2. Ethisch: Die Erkenntnis breche sich immer mehr Bahn, daß nicht alles, was technisch möglich ist, auch ausgeführt werden darf.

3. Religiös: Wenn die Welt sich verändere (auf Grund unserer Forschungen), dann müsse sie auch neu interpretiert werden. (Horkheimer: „Jeder Gedanke, der sich nicht selbst enthaupten will, landet bei der Transzendenz“ und: „Die Welt ist nicht das Letzte.“)

Die Jugend wende sich bereits spürbar der Meditation zu. Tausende durchzögen Indien, um „die Seele Asiens zu suchen“, Hunderttausende wanderten in Südamerika von den Städten in die Wälder. Auch die Droge werde vielfach benutzt, um zu Traum und Meditation zu kommen, um Unbewußtes zu erwecken.

Die „Jesus-People“-Bewegung formuliere: „Jesus ist besser als Hasch!“ Ihre Zeitungen haben angeblich eine Auflage von vier Millionen. Manch der ehemaligen Hippiegruppen stellen wieder moralische Postulate auf, beginnen wieder Autoritäten für notwendig zu halten.

Immer mehr Menschen erkennen, daß am Ende der Überflußgesellschaften eine große Leere stehe.

Dies alles seien Anzeichen, daß unsere technische Zivilisation vor einem Umkippen stehe.

*

Zusammenfassend kann man über die Ergebnisse der Tagung sagen:

1. Im Glauben werden wir immer auf die Anfänge des Verstehens zurückgeworfen.

2. Es wir auf allen Fronten der für eine Welt- und Gesellschaftsveränderung kämpfenden Kräfte bedacht, daß das Ereignis Jesus in diesen Schmelzprozeß hineingeworfen werden muß.

3. Die Erkenntnis greift um sich, daß der Mensch auf der Welt nicht nur Rollenträger ist, daß er nicht nur eine Leistungsfunktion hat, daß er mehr ist als das, daß die Welt tiefer ist als ihr bloßer Ablauf, und, daß Welt und Mensch nicht aus ich selbst erklärbar sind.

4. Daß die seelische Potenz des Menschen mobilisiert werden muß, damit er glücklicher werden kann.

5. Daß die Übertragung der Erkenntnisse der Akademietagung auf das Bewußtsein der Masse noch ein Problem ist, das gelöst werden muß.

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