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Jesus - kein Schutzpatron der Revolution

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FRAGE: Herr Kardinal, heute behaupten manche Priester und Laien, die Zeit der Weltmission sei vorbei. Im kommunistischen Machtbereich des Fernen Ostens sei die Mission längst lahmgelegt. Aus dem Südsudan, aus Guinea und Burma seien die Missionare ausgewiesen worden. Immer mehr Länder lehnten die Mission als „geistige Überfremdung“ ab.

KARDINAL HÖFFNER: Die Ablehnung der Botschaft Christi darf uns nicht wundern. Christus hat gesagt: „Haben sie mich verfolgt, so werden sie auch euch verfolgen“ (Joh 15, 20). „Ihr werdet allen verhaßt sein um meines Namens willen“ (Mt 10, 22). Als Jesus in Naza-reth predigte, gerieten die Leute „in heftigen Zorn“. Sie „sprangen auf“ und suchten ihn den Felsen hinabzustürzen (Lk 4, 16—30).

Den Jüngern erging es nicht anders.

Es wäre ein Zeichen fehlender apostolischer Gesinnung, wenn wir wegen des Widerstandes gegen die Verkündigung der Frohbotschaft Christi die Mission einstellen würden.

FRAGE: Nicht wenige bringen heute grundsätzliche Bedenken gegen die Mission vor, indem sie sich auf das Zweite Vatikanum berufen. Sie zitieren die Aussagen des Missionsdekretes, daß Gott jene Menschen, „die das Evangelium ohne ihre Schuld nicht kennen, auf Wegen, die er weiß, zum Glauben führen kann“ (AG 7). Die Ungläubigen seien „anonyme Christen“. Darf man daraus folgern, daß die Verkündigung des Evangeliums überflüssig geworden ist?

KARDINAL HÖFFNER: Wer so denkt, hat das Missionsdekret des Konzils völlig falsch verstanden. Der Missionsauftrag, so lehrt das Konzil, gründet in Gottes rettendem Heilswillen (AG 7). Christus betont „mit ausdrücklichen Worten die Notwendigkeit des Glaubens und der Taufe“ (LG 14). Die von Christus gegründete Kirche ist als „das umfassende Sakrament des Heils“ (LG 48, AG 1) „ihrem Wesen nach missionarisch“ (AG 2). Das Konzil zieht daraus die Folgerung, daß die Mission „heute und immer ihre ungeschmälerte Bedeutung und Notwendigkeit“ behält (AG 7).

FRAGE: Wie erklären Sie, Herr Kardinal, angesichts dieser eindeutigen Aussagen des Konzils die bei vielen Katholiken unverkennbare kritische Einstellung zur Mission?

KARDINAL HÖFFNER: Die Krise der Mission hängt mit der Glaubenskrise unserer Zeit zusammen. Nicht wenige lassen sich von Fortschritt und Wohlstandssteigerung so sehr faszinieren, daß der Sinn für das Ewige und Göttliche zu verkümmern droht. Die verschiedenen Religionen und Konfessionen werden als mehr oder weniger gleichrangig hingestellt. Kein Wunder, daß der missionarische Elan schwindet. Ich warne jedoch vor Verallgemeinerungen. Bei vielen Katholiken, besonders bei der sogenannten „schweigenden Mehrheit“ der praktizierenden Gläubigen, ist die opferbereite Liebe zur Mission ungebrochen.

FRAGE: Darf ich noch einmal auf die nichtchristlichen Religionen zurückkommen? In der Erklärung des Konzils über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen finden sich zahlreiche positive Aussagen über die Wahrheiten, die in deren Lehren enthalten sind. Welchen Sinn sollte es dann haben, ihre Anhänger von diesen Wahrheiten abzubringen und durch christliches Gedankengut zu verwirren?

KARDINAL HÖFFNER: Das Konzil hat in der Tat erklärt, daß sich in den nichtchristlichen Religionen Lebensweisheiten und Lehren finden, die zwar in manchem vom katholischen Glauben abweichen, „doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet“ (NA 2). Daraus darf man jedoch nicht schließen, daß die Frohbotschaft Christi und die nichtchristlichen Religionen gleichrangig auf derselben Ebene liegen. Die Kirche als das Sakrament des vollendeten Heils muß vielmehr, wie das Konzil sagt, den Anhängern jener Religionen „unablässig“ Christus verkünden, „in dem die Menschen die Fülle des religiösen Lebens finden“ (NA 2). Der heilige Paulus bekennt: „Ich habe Juden und Griechen beschworen, sich zu Gott zu bekehren und an unseren Herrn Jesus zu glauben“ (Apg 20, 21). Es wäre Gotteslästerung, Jesus Christus das Wort in den Mund zu legen: „Ich bin gekommen, damit die Juden bessere Juden und die Heiden bessere Heiden werden.“ Christus hat vielmehr mit göttlichem Anspruch gesagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben (Joh 14, 6). Wer glaubt und sich taufen läßt, wird gerettet werden, wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden“ (Mk 16, 16).

FRAGE: Die Missionare haben zusammen mit der Glaubensverkündigung Formen abendländischer Zivilisation und Kultur in die Mission länder eingeführt. Mußte so bei der einheimischen Bevölkerung nicht der Eindruck entstehen, die christliche Mission sei eine Begleiterscheinung des europäischen Kolonialismus?

KARDINAL HÖFFNER: Es ist richtig, daß die Missionare ihr Bekehrungswerk nicht selten im Gefolge und unter dem Schutz der Kolonialmächte begonnen haben. In Wirklichkeit ist die Kirche Christi weder abendländisch noch Eigentum der europäischen Völker. „Christus und die Kirche“, so sagt das Konzil, „überschreiten alle Besonderheiten der Rasse oder der Nation und können deshalb von niemand und nirgendwo als fremd erachtet werden“ (AG 8). Sie sollen — durch die jeweiligen Ortskirchen — in den verschiedenen Völkern und Kulturen Wurzeln schlagen.

FRAGE: Herr Kardinal, Sie sind von Haus aus Soziologe und kennen die sozialen Probleme der Dritten Welt. Wäre es angesichts des Hungers in der Welt für die Kirche nicht wichtiger, Entwicklungshilfe zu betreiben, statt zu missionieren? Muß sie nicht zunächst den Hungernden Brot geben, bevor sie zu ihnen von Gott spricht?

KARDINAL HÖFFNER: Hier gilt kein Entweder-Oder, sondern ein Sowohl-als-auch. In vielen Entwicklungsländern sind die wirtschaftlichen Verhältnisse so trostlos, daß Millionen von Menschen Hunger leiden. Solche Zustände sind nicht nur menschenunwürdig, sondern auch heilswidrig, weil sie „einer ungeheuer großen Zahl von Menschen es außerordentlich schwer machen, das eine Notwendige, ihr ewiges Heil, zu wirken“ (Enzyklika „Quadragesimo anno“, 130). Das harte und leidenschaftliche Ankämpfen gegen Armut, Hunger, Krankheit, Elend, Not, Ausbeutung und Unrecht ist christliche Pflicht.

FRAGE: Sind die Zustände nicht so unmenschlich, daß Priester und Missionare sich an die Spitze der Revolution stellen sollten?

KARDINAL HÖFFNER: Das Konzil hat erklärt: Jesus Christus „lehnt es ab, ein politischer Messias zu sein, der äußere Machtmittel anwendet“ (Erklärung über die Religionsfreiheit, 11). Die Jünger Jesu werden ihrem Meister folgen und keine Gewalt anwenden. Jesus ist kein Schutzpatron der Revolutionäre.

FRAGE: Sie haben gesagt, Herr Kardinal, daß sich die Kirche nicht damit begnügen darf, bloß der Not und der Armut zu steuern. Die Kirche müsse auch in den Entwicklungsländern die Frohe Botschaft Christi verkünden. Wie begründen Sie diese Aussage?

KARDINAL HÖFFNER: Die Kirche muß ihrer eigenen Sendung treu bleiben. Die Missionare dürfen ihr priesterliches Amt nicht in Soziologie, Psychologie und Entwicklungshilfe auflösen. Sie sind gesandt, den Menschen das uns durch Christus geschenkte Heil zu verkünden. Selbst wenn die ganze Menschheit zu einer Wohlstandsgesellschaft geworden und der Hunger überall überwunden wäre, bliebe die Heilsbotschaft Christi ebenso aktuell wie heute. Auch die größten sozialen Reformen vermögen die Sehnsucht des Menschen nach dauerndem Leben, bleibendem Glück und nie endender Liebe nicht zu stillen; denn der Mensch ist „in seinem Verlangen unbegrenzt und berufen zu einem Leben höherer Ordnung“ (GS 10). Aber gerade diese Hoffnung auf das Kommende ist für den Christen der stärkste Antrieb zum sozialen und politischen Einsatz für die Freiheit und Würde des Menschen.

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