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Jetzt gegen Kirche und Christdemokraten

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Keine Revolution hat in letzter Zeit ein so starkes internationales Echo gefunden wie der chilenische Militärputsch gegen das Allende-Regime. Diese Wirkung erklärt sich aus dem — umstrittenen — Tode des Präsidenten, aus der Behauptung, daß ein „verfassungsmäßiger Weg” brutal unterbrochen worden sei, und vor allem aus der Härte, mit der die Offiziere gegen echte und vermeintliche Gegner vorgingen. Trotz des Ablaufs der Zeit läßt sich auch heute noch nicht der Wahrheitsgehalt der Informationen ermessen, die über die „neuen Männer” verbreitet werden. So meldete man Zehntausende von Toten, während auch neutrale Kräfte höchstens die Zahl von 2000 für richtig halten und das „Instituto Medico Legal” offiziell mitteilte, daß in den ersten vier Wochen nach dem Putsch 476 durch Schüsse Getötete eingeliefert wurden. Berichterstattung über Chile ist und war weitgehend auf Gerüchte angewiesen; sie wird jetzt dadurch fast unmöglich gemacht, daß jeder Journalist, der negativ über das Land berichtet, bei einem Besuch Chiles riskiert, wegen „Verstoßes gegen die interne Sicherheit” zu lebenslänglicher Haftstrafe verurteilt zu werden.

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Keine Revolution hat in letzter Zeit ein so starkes internationales Echo gefunden wie der chilenische Militärputsch gegen das Allende-Regime. Diese Wirkung erklärt sich aus dem — umstrittenen — Tode des Präsidenten, aus der Behauptung, daß ein „verfassungsmäßiger Weg” brutal unterbrochen worden sei, und vor allem aus der Härte, mit der die Offiziere gegen echte und vermeintliche Gegner vorgingen. Trotz des Ablaufs der Zeit läßt sich auch heute noch nicht der Wahrheitsgehalt der Informationen ermessen, die über die „neuen Männer” verbreitet werden. So meldete man Zehntausende von Toten, während auch neutrale Kräfte höchstens die Zahl von 2000 für richtig halten und das „Instituto Medico Legal” offiziell mitteilte, daß in den ersten vier Wochen nach dem Putsch 476 durch Schüsse Getötete eingeliefert wurden. Berichterstattung über Chile ist und war weitgehend auf Gerüchte angewiesen; sie wird jetzt dadurch fast unmöglich gemacht, daß jeder Journalist, der negativ über das Land berichtet, bei einem Besuch Chiles riskiert, wegen „Verstoßes gegen die interne Sicherheit” zu lebenslänglicher Haftstrafe verurteilt zu werden.

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Freilich stimmt das Bild, das in Europa und in den USA über die Volksstimmung unter den lateinamerikanischen Militärregimen entworfen wird, selten mit der Realität überein. Es gibt Fälle, in denen „das Volk” in einer ähnlichen Form Partei nimmt, wie wir es in den faschistischen Regimen Europas vor etwa 40 Jahren erlebt haben. Das war bei der fanatischen Stellungnahme für Peron der Fall, aus der sich dann gerade die Negierung der Diktatur ergab. In fast allen anderen Regimen läßt sich beobachten, daß Universitätskreise und linke Intellektuelle, sowie auch meist die Kirche und die Gewerkschaften, der Abkehr von der Demokratie mehr oder minder hart entgegenarbeiten, während ein Teil der Oberschicht und zahlreiche Nutznießer „Hurrah” schreien. Die Masse des Volkes steht der Entwicklun kühl gegenüber und fragte nur danach, ob es ihr dabei wirtschaftlich besser oder schlechter geht. Daraus erklärt sich, daß revolutionäre Bewegungen, soweit ihnen nicht eine Offiziersgruppe folgt, in der Regel versanden, weü sie „das Volk” nicht anzustecken vermögen. Im Gegensatz zu dieser weithin üblichen Konstellation trat in Chile eine viel stärkere Kluft zwischen Anhängern und Gegnern des Militärregimes in Erscheinung. Das beruhte einmal auf der doktrinären Arbeit der marxistischen „Union Populär” und der weit fortgeschrittenen Verwirklichung ihres „Weges zum Sozialismus”, und anderseits darauf, daß über ein Drittel der Bevölkerung von den Christdemokraten erfaßt war, deren Prophet, der langjährige Präsident Dr. Eduardo Frei, als bedeutendster Sozialreformer Lateinamerikas gepriesen wurde. (Um dann in und nach der Allende-Periode von den europäischen Linksideologen vergessen zu werden.)

Bei der Beurteilung der chilenischen Militärrevolution hat man übersehen, daß zumindest der konservative Flügel der Christdemokraten sie gebilligt hat. Solange Frei glaubte, daß es freie Wahlen und die Rückkehr zu einem „demokratischen Regime” nach dem Amtsablauf Allendes geben werde, war er zu Kompromissen bereit. Als er sah, daß der Weg zu einem „sozialistisehen”, also zu einem kommunistischen, von Moskau beherrschten Regime unwiderruflich zu werden drohte, bekämpfte er jede Verständigung mit Allende. Alle Kreise, die eine kubanische Entwicklung für Chile ablehnten, und das war die große Mehrheit des Landes und keineswegs nur das Bürgertum, begrüßten offen oder verschleiert den Sturz Allendes, ohne freilich die brutalen Methoden der Revolutionäre und ihre Machtbesessenheit auch nur im entferntesten zu billigen. So erklärte Frei einem spanischen Journalisten: „Das Land hat keinen anderen rettenden Ausweg, als die Herrschaft der ,Junta”, Die Leute in Europa stellen sich nicht vor, wie sehr das Land zerstört ist. Wenn eine Regierung so vorgeht wie die Allendes, so wird das Recht zum Aufstand zur Pflicht.” Das chilenische Anwaltskollegium, dessen antidiktatoriale Haltung be kannt war, stellte fest, daß im Falle Chiles allle doktrinären Bedingungen erfüllt seien, um den bewaffneten Aufstand als legitim zu erklären.

Dieser Vorstellung entsprach, daß die neuen Machthaber ihr Regime zunächst nur als kurze Übergangslösung darstellten. Als der chilenische Außenminister, General Huerta, kurz nach dem Putsch vor den UN sprach, sagte er, es gebe keine festen Fristen für die Rückkehr zur demokratischen Normalisierung, aber er halte es für möglich, daß sie nach einem Jahr vor sich gehen werde. Die „Junta” selbst ließ erklären, „sie werde nicht einen Tag länger und nicht einen Tag kürzer an der Macht, bleiben, als es unbedingt nötig sei”. Eines der Motive, auf Grund deren die Gegnerschaft gegen die neue Regierung auch bei jenen gewachsen ist, die ihr vor einem Jahr nicht feindlich gegenüberstanden, ist ihr — freilich nicht unerwartetes — Beharrungsvermögen. Einer der Führer der „Junta”, Admiral Merino, erklärte, daß man „die politischen Parteien auf etwa fünf bis sechs Jahre ausschließen müsse, um in sieben Jahren zu demokratischen Formen zurüokzukehren” “.

Die Mißachtung der Menschenrechte, wie sie in jetzt nicht mehr bestrittenen Torturen und unzähligen Willkürmaßnahrnen in Erscheinung getreten ist, die miserable Situation der chilenischen Masse und die Unterdrückung jeder Parteitätigkeit haben dazu geführt, daß auch der konservative Flügel der Christdemokraten zum offenen Gegner des Regimes geworden ist. Als der frühere Senator Patrick Aylwin es „ungerecht, willkürlich und im offenen Widerspruch zu den verkündeten Zielen der nationalen Einheit” nannte, daß die Regierung die Kommentare in dem ‘christdemokratischen Sender „Radio Balmaceda” verbot, antwortete der Innenminister, General Oscar Bonilla, daß es unter dem herrschenden „Kriegsund Standrecht” unzulässig sei, einem hohen Funktionär Willkür vorzuwerfen und drohte mit Repressalien.

Es ist bezeichnend, daß die Bischofskonferenz es ablehnte, irgend eine religiöse Zeremonie zum Jahrestag der Militärrevolution zu veranstalten. Die Kirche ist ihrer Meinung gespalten. Der 67jährige konservative Erzbischof von Valparaiso, Emilio Tagle, der die Militärrevolution als „Rettung der Freiheit Chiles” bezeichnet hatte, kündigte an, daß er einen Dankgottesdienst organisieren werde. (Pinochet selbst bezeichnet sich als einen frommen Katholiken, der jeden Sonntag zur Messe geht und am liebsten die Bibel und „Don Quijote” liest.) Aber Tagle ist Außenseiter. 22 der 24 chilenischen Bischöfe haben schon vor Monaten eine Erklärung veröffentlicht, in der sie die Methoden der „Junta”, ihre Mißachtung der Menschenrechte anprangern und den Hunger der Masse beklagen. Wenige Tage vor dem einjährigen Jahrestag der „Junta” haben führende katholische, evangelische und jüdische Geistliche gemeinsam General Pinochet aufgesucht, um von ihm das Ende des „internen Kriegszustandes” und eine Amnestie für alle politischen Gefangenen zu fordern. Pinochet antwortete, er werde Maßnahmen erwägen, um die Situation heraus politischen Motiven Verhafteten zu verbessern, wenn er auch im Augenblick noch keine endgültige Antwort geben könne.

Ein Jahr nach der Amtsübernahme durch die Militärjunta haben sich also die Christdemokraten und die Kirche zu scharfen Gegnern entwickelt. Die für den ersten Jahrestag der Revolution angekündigten Unruhen wurden vom chilenischen Polizeichef, General Ernesto Baeza, nicht ernstgenommen. „Sie machen die Revolution in den Cafes von Paris und Rom”, sagte er.

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