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Jetzt Gleichheit durch das Gesetz

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Der Kernsatz unserer rechtspolitischen Ąuffassungen ist im SPÖ-Grundsatzprogramm 1978 enthalten, in dem es heißt: „Die Rechtsordnung, der juristische Überbau der ökonomischen Struktur der Gesellschaft, bedarf der ständigen Anpassung an die sich ändernden gesellschaftlichen Verhältnisse. In diesem Anpassungsprozeß übt die Rechtsreform ihren Einfluß auf die Weiterentwicklung der Gesellschaft zur sozialen Demokratie aus.“

Durch diese für die sozialdemokratische Rechtspolitik programmatische Aussage wird eben das ganze gesellschaftliche Span-

nungsfeld abgesteckt, in dem sich die Rechtsentwicklung vollzieht.

Wir haben aber einen enormen Nachholbedarf gehabt, als wir die Mehrheit im Nationalrat erreicht haben. Liberale Nachziehverfahren waren notwendig. Das ist erreicht worden in den siebziger Jahren.

Aber jetzt muß der Schritt vom bürgerlichen zum sozialen Recht gemacht werden. Wir gehen jetzt über das liberale bürgerliche Recht hinaus zum sozialen Recht, wobei wir Schritt für Schritt und sehr konzeptentsprechend vorgehen: nämlich durch kompensatorische Maßnahmen, die dem Schwächeren bei der Rechtsverwirklichung helfen, durch allgemeine Rechtsinformation, durch die Durchsetzung der kostenlosen Rechtsberatung, durch die Rechtshilfe, durch die Übernahme der vollen Verfahrens- und Vertretungskosten in sozial gerechtfertigten Fällen und durch die Förderung vieler anderer der rechtsschutzsuchenden Bevölkerung dienenden Maßnahmen.

Die Herstellung der Gleichheit vor dem Gesetz, die wir in den siebziger Jahren erreicht haben, muß jetzt ergänzt werden durch die Erfüllung der Aufgaben, mehr Gleichheit durch das Gesetz zu schaffen.

Der Schwächere, das ist eben unsere Auffassung als Sozialisten, braucht mehr Schutz durch das Gesetz als der Stärkere. Erst wenn dem Schwächeren dieser kompensatorische Rechtsschutz gewährt wird, besteht für ihn Chancengleichheit.

Es ist ungleich schwerer, diese Reform in Richtung soziales Recht zu verwirklichen, als liberale Nachziehverfahren wie in den siebziger Jahren durchzusetzen. Wir müssen, nachdem in Österreich Gleichheit vor dem Gesetz Realität geworden ist, in Österreich auch Gleichheit durch das Gesetz erreichen.

Ja, was soll denn die bloße Gleichheit vor dem Gesetz? Anatole France hat das einmal so ausgedrückt: „Das Gesetz in seiner majestätischen Gleichheit verbietet es Reichen wie Armen gleichermaßen, unter Brücken zu schlafen und auf Straßen um Brot zu betteln. Die Blindheit gegen-

über sozialer Ungleichheit, auf die Recht trifft, führt dazu, daß auch die bestgemeinte Norm Stärkere eher begünstigt und Schwächere härter trifft.“

Es ist unbestritten, daß jede Gesellschaft ihre Gesetze hat und daß man in den Gesetzen die Strukturen einer Gesellschaft wiederfindet. Aber Recht kann infolge seiner Legitimationskraft auch sehr viel zur Bildung jenes Bewußtseins beitragen, von dessen Stand die Grenze der möglichen Reformen abhängig ist.

Und hier wieder muß gesehen werden, daß es in unserer Gesellschaft Gruppierungen mit unterschiedlichem Bewußtsein gibt, es daher einen Unterschied macht, nach wessen Auffassung ein Reformgesetzentwurf ausgerichtet wird, daß aber jedenfalls sozialistische Rechtspolitik auf diesem Bewußtseinsbildungsprozeß aufbaut, und .daher mehr ist als die Beseitigung von Anachronismen, mehr ist als bloße technokratische Anpassung oder perfekte Widerspiegelung eines Zustandes einer Gesellschaft — sie ist eben Bewußtseinsbildung der Bevölkerung zu einem Zeitpunkt, wo Recht bereits hinter einer stattgefundenen Entwicklung nachhinkt.

Und sie dient letztlich auch zu einer Veränderung der Machtstrukturen, einer Verschiebung: Denn Rechtspositionen sind bei uns — auf Grund der liberalen Tradition — doch noch immer auf die Abwehr von Staatseingriffen zugeschnitten…

Im Gegensatz zu den Bedürfnissen der bürgerlichen Revolution geht es aber heute der Bevölkerungsmehrheit gar nicht mehr so sehr darum, in der Privatsphäre gegenüber dem Staat geschützt zu werden, sondern immer stärker wird das Bedürfnis nach Eingriffen auch dem Staat gegenüber, etwa im Bereich des Arbeitsschutzes, der Sozialhilfe, des Konsumentenschutzes — auch wenn Ver- tragsfreiheit durch solche Eingriffe beschränkt wird.

Auszug (unkorrigiertes Exemplar der stenographischen Protokolle) aus der Rede des stellvertretenden SPÖ-Vorsitzenden am 3. Dezember vor dem Nationalrat.

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