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Jetzt kokettieren mit der FPÖ?

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Gösing war das Vorspiel zu einem Stück, das die österreichische Volkspartei erst in den nächsten Monaten wird aufführen müssen.

Die Veranstaltung in Gösing beruhte auf einigen Mißverständnissen. Erstens glaubt man in der ÖVP anscheinend noch immer, daß die Fem- sehdemokratie Klausurtagungen noch toleriert Die Anwesenheit der Reporter und der Journalisten macht eine solche Klausurtagung zu einem Spektakel, das um so peinlicher wirkt, als es dabei klar wird, daß gewisse hochgeschraubte Erwartungen schon wegen der immerhin teilweise wirksamen Geheimhaltung doch nicht ganz erfüllt werden können. Auch in Gösing blieben einige Fragen offen. Warum mußte ein „Ablöseparteitag“ überhaupt vorgeschlagen werden? Und wenn er schon vorgeschlagen und auch beschlossen wurde, warum findet er nicht jetzt sondern erst später statt und warum zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt? Und vor allem: Warum tritt der Bundesparteiobmann, der erst vor wenigen Monaten fast einstimmig für drei Jahre gewählt wurde, jetzt schon zurück? Fragen über Fragen. Der nicht so genau informierte österreichische Normalbürger — er wird von der ÖVP da wahrhaftig nicht verwöhnt — hätte das alles auch gerne mitbekommen, wenn man schon ihn durch das Fernsehen zum Zeugen des Geschehens gemacht hat. Nichts hat er erfahren.

Ein anderes Mißverständnis passiert der ÖVP jedesmal bei der Auswahl des Tagungsortes. Ein besonderer Tagungsort muß es sein, denn es ist völlig undenkbar, daß ÖVP-Politiker in einem gewöhnlichen Sitzungszimmer in Wien zu wichtigen Beratungen zusammenkommen. Und es muß auch ein Tagungsort in ländlichem Stil sein, denn die Bevölkerung, die ja überall sich in die Städte drängt und auch am Lande städtisch wirken will, muß den Unterschied zwischen sich und den Politikern merken. Daher auch das Festhalten an Sitten und Bräuchen der Honoratiorenzeit. In Gösing hat also der Parteivorstand der ÖVP nach langen Beratungen beschlossen, daß der Ablöseparteitag „so bald wie möglich“ nach der Bundespräsidentenwahl stattfindet.

Aber auch Generalsekretär Schlein- zer, der dem Vernehmen nach an unverhüllter Härte dem Parteifreund und Bundesparteiobmann gegenüber alle anderen Debattenredner übertraf, mußte den schweren Blick dieses rätselhaften Gremiums im Rük- ken spüren, als er, nachdem schon alles vorüber war, wohl plötzlich erkennen mußte, daß jetzt er und nicht mehr der verläßliche „Hitzeschild“ Withalm für alles Kommende bis zum Bundesparteitag und so auch zum Beispiel für den Ausgang der Bundespräsidentenwahl allein verantwortlich sein und vielleicht auch verantwortlich gemacht wird.

Nun ist Gösing wieder nur ein Ferienort in Niederösterreich, und die Politiker sind in die grauen Städte zurückgekehrt. Die einzig interessante Frage ist jetzt für die ÖVP und ihre Wähler: Was kommt nach Gösing? Darüber gibt es im wortreichen Kommunique nur sehr wenige Anhaltspunkte.

Da steht aber auch der folgende Satz: „Wenn wir mit der Führung der Frei heitlichen Partei als der zweiten Oppositionspartei nach wie vor das Gespräch suchen, dann im gemeinsamen Interesse der über die Grenzen beider Parteien hinausreichen- den Anzahl der Österreicher, die für eine freie und moderne und nicht für eine kollektivistische Gesellschaftsordnung eiintreten.“

Man weiß, daß es sich bei dieser etwas summarisch wirkenden Aussage um eine Königsidee des Generalsekretärs der ÖVP handelt, die gewöhnlich durch die Formel der „Gesprächsbereitschaft nach allen Seiten“ verdeckt wird. Alle Parteien sind gleich, einige sind aber gleicher. Mit dieser Zielrichtung folgt Generalsekretär Schleimer und mit ihm nun wohl auch die Mehrheit des Parteivorstandes der bekannten Reflexreaktion vieler Funktionäre, die es noch immer nicht begreifen wollen, daß die ÖVP vorerst nicht an der Regierung teilnimmt, und die diesen für sie unbegreiflichen, geradezu gespenstischen Zustand so rasch wie möglich beenden wollen. Mit den Freiheitlichen zusammen wären wir die mehreren, meinen sie. Abgesehen davon, daß es wohl nur eine hauchdünne Mehrheit wäre, fehlen dazu auch noch einige Kleinigkeiten: so zum Beispiel die Bereitschaft der Freiheitlichen und das Einverständnis des Bundespräsidenten. Es ist erwiesen, daß die FPÖ- Führung mit der ÖVP gegenwärtig keine gemeinsame Politik machen will. Bis zur Neuwahl wird die ÖVP wohl keinen Koalitionspartner mehr finden.

Wenn man die Aussichten und die Möglichkeiten der ÖVP nach Gösing prüfen will, dann muß man sich leider in das Reich der Hoffnungen begeben. Eine solche Hoffnung könnte zum Beispiel sein, daß die Zeit bis zum Bundesparteitag nicht zur Fortsetzung von Intrigen und Streitigkeiten, sondern zur Entwicklung neuer Ideen verwendet wird. Neue Ideen und neue Methoden braucht aber die ÖVP dringend, um sich selbst zu finden und ihre potentiellen Wähler anzusprechen. Die Gesprächspartner der ÖVP sind bis zur nächsten Wahl die Wähler selbst, die Wähler aller Parteien und Randschichten. Die Politiker der anderen Parteien sind, zumindest bis dahin: Gegner. Soeben hat ÖGB-Präsident Benya, der für die anderweitig beschäftigte ÖVP jetzt die Rolle des Kritikers gegenüber der SPÖ-Regie- rung übernommen hat, durchblicken lassen, daß er mit Herbstwahlen 1971 und nachher mit einer Großen Koalition rechnet, ja sogar eine solche Entwicklung befürwortet. Was soll da das Kokettieren mit der FPÖ?

Die ÖVP müßte jetzt alle ihre jungen Kräfte, ihre „denkenden“ und bisher wenig beachteten Politiker meist der zweiten Garnitur heratn- ziehen und mit ihrer Hilfe ein neuartiges, nicht an längst überholten ständischen Strukturen, sondern an aktuellen Aufgaben orientiertes Aktionsprogramm in Angriff nehmen. Die Spitze auszutauschen, ist zu wenig. An den Köpfen allein liegt es nicht. Programm, Struktur, Schulung, Organisation und Finanzierung der ÖVP brauchen eine Sanierung. Schafft die Volkspartei diese Sanierung nicht, hilft ihr auch ein Wunderrabbi als Obmann nicht. Genausowenig wie das Buhlen um einen Koalitionspartner, den es nicht gibt.

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