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Digital In Arbeit

Jetzt nicht kneifen!

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Der Grundtext zum Sozialhirtenbrief wird weiter heftig diskutiert. Der Autor dieses Beitrages referiert darüber am 15. April im Wiener Bildungshaus Neuwaldegg.

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Der Grundtext zum Sozialhirtenbrief wird weiter heftig diskutiert. Der Autor dieses Beitrages referiert darüber am 15. April im Wiener Bildungshaus Neuwaldegg.

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Der österreichische Sozialhirtenbrief 1990 soll von der Arbeit handeln; es soll ein Text werden, der die Leute interessiert, weil er nicht nur „verlautbart“ wird. Die Einladung zum Mitdiskutieren am Grundtext begründeten die Bischöfe damit, daß sie „hören wollen“.

Hören (lernen) bedeutet keinesfalls, die öffentliche Meinung abzufragen, um dann das Plausibelste zu bestätigen. Bischöfe, die hören wollen, zeigen sich bereit, ihre Sensibilität zu bilden, um dann in rechter Weise mitteilen zu können, -wasxsie kraft ihrer Sendung glauben, lehren zu müssen. Manche Kirchenleute meinen, Hirtesein und Lehren ließen sich einfacher bewerkstelligen; unse-

ren Bischöfen sei Dank gesagt dafür, daß sie sich in diesem Fall für den arbeitsintensiveren, aber auch lohnenderen Weg entschieden haben.

Es geht in diesem Prozeß um Wichtigeres als um eine mehr oder weniger geschickte Selbstinszenierung und Beschäftigungstherapie für Kirchenaktive. Es geht (auch) darum, was (man in der) Kirche für ihre Sache hält; es entscheidet sich dabei auch, welche Rolle eine „freie Kirche in einer freien Gesellschaft“ spielt; es wird auch mitentschieden darüber, ob unsere Kirche eine menschennahe, das heißt: sensible Kraft in unserer arbeitsteiligen Gesellschaft ist.

Zur Debatte steht dabei auch das kirchliche Selbstbewußtsein: Braucht die Gesellschaft (in diesen Zusammenhängen) die Kirche? Wozu erwartet sie ein Wort der Bischöfe? Und welche Grup pen brauchen besonders das beistehende Wort der Kirche… ?

Wenn Kirche sich zu den Problemen unserer Arbeit äußert, muß sie zuvor ins reine kommen darüber, welchen Stellenwert sie der Arbeit im Leben (und in seinen komplexen Zusammenhängen) beimißt. Derartiges ist - rein theologisch — bisher nicht zureichend geschehen. Wenn es dem kommenden Hirtenbrief nicht gelingen sollte, diese Fragen als konkrete Überlebens- und Heilsfragen zu beantworten, wird man ihm den Vorwurf nicht ersparen können, daß er von einer Sache spricht, die er nicht genügend kennt. Dann wird man klagen, daß die Kirche das schuldig bleibt, was (eigentlich nur) sie in die Diskussion um die Arbeitsverhältnisse einbringen könnte…

Der Basistext meint (gleich zu Beginn): „Alles dreht sich um die Arbeit.“ Das ist hoffentlich wirklich nur provokant formuliert; denn: Genau so sollte es nicht sein! Eine mangelnde Abklärung, eine Verunsicherung über den Stellenwert der Arbeit im Leben bewirkt zukunftsträchtige Weichenstellungen; unterdessen — das heißt bis zur Ankunft paradiesischer Zustände — bleibt „Erwerbsarbeit“ der vorrangige Erwerbstitel, um zu Geld zu kommen, und damit zu Hab und Gut.

Aber wäre es nicht auch Aufgabe der Kirche, die Menschen in die Lage zu versetzen, zu wissen und mitzubestimmen, warum sie „in die Arbeit gehen“? Es müßte zu einer Gewissensfrage werden, ob wir nur zum Mehr-Geld-Verdienen arbeiten, also um des Mehr- Habens willen. Es geht darum, ob wir arbeitend und nicht-arbeitend die Lebensbedingungen so gestalten wollen, daß das Insgesamt dem Leben dient.

„Unser Leben ist verdammt wichtig!“ Wenn sich Fabriksarbeiterinnen mit einem solchen Ruf Gehör verschaffen wollen, tun sie es aus Angst, unter die Räder einer übermächtigen Wirtschaftsmaschinerie zu kommen. Im größeren Rahmen ist es gewiß Sache der Kirche (als „Seele der Gesellschaft“), einzumahnen: „Das Leben ist eminent wichtig!“ Und das gilt nicht nur prinzipiell; das betrifft die Verhältnisse in ihrer konkreten Realität.

Für Christen gilt: Die Arbeit gehört zum Leben, sie ist Teil des Lebens (je nach Arbeitsverständnis sogar wesenhafter Teil). Freilich müßte dabei vorrangig unser Leben die Arbeit bestimmen, weniger die Arbeit das Leben (vergleiche „Laborem exercens“ Nr. 6). Die Aussage Bernd Guggen- bergers ist als eine zutiefst christliche zu übernehmen: „Wir müssen bei allem, was wir arbeiten, das Gefühl haben, daß wir leben!“

Im Rahmen solcher „Sinnkompetenz der Kirche“ ist es auch überlegenswert, ob zum postula- torischen Titel des Basistextes „Sinnvoll arbeiten - solidarisch leben“ nicht auch dessen Umkehrung gehört: „Sinnvoll leben - solidarischer) arbeiten.“ Es kann gewiß niemals Sache der Kirche sein, die Lebensumstände der Menschen so programmieren zu wollen, daß für alle eine sinnvolle

Arbeit organisierbar wäre (an diesem Vorhaben hat sich nicht zuletzt der Marxismus überhoben!); sie kann und muß aber all die Perspektiven zur Sprache bringen und aufzeigen, wie man in der Arbeit durch die Arbeit und vor allem auch über die Arbeit hinaus sinnvoll leben (und auch sterben) kann.

Der Kirche ist allemal zuzumuten, all das zu sagen, was aus dem Glauben heraus über die Arbeit zu sagen ist (und das wäre nicht wenig). Das ist konkret nicht einfach. Denn im Leben gibt es Interessen; unter den Menschen gibt es Spannungen. Eine der Spannungen, in denen Kirche (auch) steht, ist die zwischen (objektiver) Sachlichkeit (die alle Realitäten anzuerkennen trachtet) und erwarteter Parteilichkeit. Auch eine solche Spannung gälte es auszuhalten; denn das alleinige Streben nach ausgewogener Sachlichkeit bleibt leer; und eine Parteilichkeit ohne Mühen um Objektivität ist blind!

Die Bischöfe haben sich — vielleicht mehr als ihnen bewußt war - entschieden, in diese Spannung hineinzugehen; wollten sie sich jetzt aus dem Prozeß zurücknehmen, würde ihnen das (zu Recht) als Kneifen ausgelegt; wollte man das Ganze wirklich „auf die längere Bank schieben“ (vergleiche Wolfgang Ockenfels, FURCHE 9/1989), müßte man mitbedenken, daß „die lange Bank des Teufels liebstes Möbelstück ist“!

Einen Sozialhirtenbrief so zu erarbeiten beziehungsweise entstehen zu lassen, war gewiß ein Risiko (bei dem auch manches schieflaufen kann); es steht auch noch viel Arbeit an, damit das Unternehmen Sozialhirtenbrief zu einem Ergebnis kommt, das sich sehen lassen kann.

Die Hoffnung ist freilich noch nicht widerlegt, daß die Kirche in einem solchen Lernprozeß von „engagierter Gelassenheit“ verstehen lernt und zu verstehen gibt, wie Arbeit dem Leben dienen kann… Und eine solche Arbeit hätte sich ausgezahlt…

Der Autor ist Stiftsdechant in St. Florian und Professor für Gesellschaftslehre und Pastoralsoziologie an der Katholisch-theologischen Hochschule Linz.

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