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Jetzt sind die Eidgenossen dran

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Inwieweit nun Mitleid mit dem krebskranken Mitterrand und/oder wachsende Ablehnung seiner Politik, Verwirrung über den europäischen Währungswirrwarr und/oder ein Unterm-Strich-Urteil über die gesamte EG-Zukunft im jüngsten Votum der französischen Wähler über den Maastricht-Vertrag stecken - das nächste Zittern ist schon angesagt. Jetzt ist die Schweiz am Wort - zum EWR-Vertrag zwar erst am 6. Dezember, zu einer wichtigen Vorentscheidung aber schon am nächsten Sonntag.

Es geht um die Neue Eisenbahn-Alpentransversale (Neusprachkürzel NEAT), die in zwei Basistunnels von je 50 beziehungsweise 30 Kilometer Länge den Gotthardpaß und den Lötschberg durchqueren und täglich 550 Personen-, Güter- und Kombizüge durch die schwarzen Endlosröhren befördern soll. „Das wirkungsvollste Umweltprojekt unserer Zeit", urteilt Verkehrsminister Adolf Ogi, während etwa die wirtschaftsliberale „Weltwoche" die Urheber des größten Bauwerks, das sich die Eidgenossenschaft je zugemutet hat, „Ruinenbaumeister von morgen" nennt. Die Abstimmungsschlacht wird so emotionell geführt wie Diskussionen hierzulande über Wert und Unwert großer Integrationsgebilde.

Bewahrung der nationalen Identität, Sicherung gegen Ausländerüberfremdung, Rettung vor Ausverkauf und Bauernsterben bewegen im Zusammenhang mit EWR und EG auch die Schweiz. Im gegenständlichen Fall aber steht die Frage der Umweltschonung und des Durchzugsverkehrs im Vordergrund.

„Der Transitverkehr wird unabhängig von den Entscheidungen der Schweiz zunehmen, und es geht nur darum, diesen möglichst umweltschonend zu bewältigen", begründete der Landesring sein Ja zu NEAT, und selbst der Schweizerische Gewerbeverband, als „Neinsager der Nation" bekannt und von der Führung her sehr EG-kritisch, mußte sich einem mehrheitlichen Ja der Mitgliederdelegierten zum EWR beugen.

Die Gegner von NEAT aber argumentieren, daß das Monsterbauwerk, das mindestens 15 Milliarden Franken kosten, nach Angaben der Verfechter nach 18 Jahren in Betrieb sein und erst nach weiteren 60 Jahren einen Ertrag abwerfen soll, ein Defizitbringer für alle Zeit sein werde. Viel billiger könnte annähernd der gleiche Effekt durch Totalmodernisierung des Eisenbahnwaggonparks und Schaffung einer Datenbank zur Vermeidung von Leerfahrten erzielt werden, die 20 Prozent des heutigen LKW-Transits ausmachen.

Wie immer die Abstimmung über das Schweizer Volksbegehren am 27. September ausgehen mag und was immer die EG-Architekten in Brüssel im Gefolge der jüngsten Währungsturbulenzen aushecken werden - eins steht fest:

Europa wird an technischen Problemen nicht scheitern. Die Geburtswehen zur Schaffung neuer Integrationsformen sind groß, aber der Vorgang ist unumkehrbar.

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