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Digital In Arbeit

Johannes Gutenbergs bessere Hälfte

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Auch die FURCHE wird nicht mehr so produziert wie vor zehn Jahren. Da sie in einer besonders modern ausgestatteten Druckerei hergestellt wird, ist bei ihrer Entstehung Elektronik in hohem Maße im Spiel. Die FURCHE war die erste Wiener Zeitung, deren Herstellung auf den Fotosatz umgestellt wurde. Heute gibt es bereits Geräte, die Manuskripte lesen können, und ein noch viel schnelleres Satzverfahren steht vor der Tür.

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Auch die FURCHE wird nicht mehr so produziert wie vor zehn Jahren. Da sie in einer besonders modern ausgestatteten Druckerei hergestellt wird, ist bei ihrer Entstehung Elektronik in hohem Maße im Spiel. Die FURCHE war die erste Wiener Zeitung, deren Herstellung auf den Fotosatz umgestellt wurde. Heute gibt es bereits Geräte, die Manuskripte lesen können, und ein noch viel schnelleres Satzverfahren steht vor der Tür.

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Durch Jahrhunderte wurde die Erfindung des großen Johannes Gutenberg zwar gewaltig verfeinert, das Prinzip aber nicht angetastet. So wenig die schimmernden Metallplättchen in der „Linotype", der Zeilensetzmaschine, äußerlich mit Gutenbergs hölzernen Lettern gemeinsam hatten - das Grundprinzip, einen Text Buchstabe für Buchstabe mechanisch zusammenzusetzen, blieb unberührt.

Und auch die Rotationsmaschine hat wenig Ähnlichkeit mit der einfachen Vorrichtung, die Gutenberg dazu diente, Papier auf seinen „Satz" zu pressen - und ist doch ihr Nachkomme, in direkter Linie.

Was man von elektronisch gespeicherten Texten und fotografisch zu Papier gebrachten Zeichen nicht behaupten kann.

Wer die Beiträge in dieser Jubiläumsausgabe der FURCHE liest, könnte zu der Ansicht gelangen, Johannes Gutenberg sei tot. Was ist von seiner Erfindung, die zur Veränderung der Welt mehr beigetragen hat als das Schießpulver, geblieben?

Am Beispiel der FURCHE-Herstel-lung ist die Frage leicht zu beantworten: Gutenberg ist nur halb tot. Das Blatt wird nicht mehr im alten Sinne des Wortes gesetzt, aber nach wie vor gedruckt.

Wie vor Jahrhunderten werden erhabene Buchstaben eingefärbt und gegen Papier gepreßt.

Unser Blatt war 1976 die erste Zeitung Wiens, deren Herstellung auf den Fotosatz umgestellt wurde (damals im Hause Herold). Heute wird die FURCHE im Niederösterreichischen Pressehaus in St. Pölten gedruckt.

Gesetzt wird sie erstens überhaupt nicht mehr und zweitens zum Teil in Wien und zum Teil „draußen". Denn nach wie vor wird, auch wenn man etwas anderes meint, vom „Setzen" gesprochen.

Fangen wir beim Redakteur an, der unter Hochdruck auf seine Schreibmaschine einhaut. Manchmal denke ich schmunzelnd an die Zeiten, in denen die gesamte FURCHE-Redaktion nur das umgedrehte Papier der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS benutzte, denn erstens war es das weißeste und zweitens wurde gespart.

Auch heute wird mit bedrucktem Papier gearbeitet. Aber vorne. Zarte rosa Linien geben genau an, wo jede Zeile zu beginnen und aufzuhören hat. Die „Manus"-Zeile ist so lang wie die gedruckte. Ein Blick, und man weiß, wieviel Platz „im Blatt" man braucht.

Da es heute Maschinen gibt, die Manuskripte lesen können, wird dann jedes Manuskript erst einmal abgeschrieben, aber so, daß die Maschine es lesen kann.

Die kann nämlich nicht alles lesen. Vor allem nicht das, was ein Redakteur durchgestrichen, korrigiert, noch einmal durchgestrichen und wieder mit der Hand überschmiert hat.

Außerdem braucht sie genaue Anweisungen darüber, wie das Geschriebene im Druck aussehen soll: Klein oder groß, gerade oder kursiv, im Blocksatz oder als rechts ausgefranster „Flattersatz", und so weiter.

Alles das wird in einer geheimnisvollen Kommandosprache in das „Typo-skript" aufgenommen. Dieses „Typo-skript" ist ein äußerst sauber geschriebenes, „computer-lesbares" Manuskript.

Das Typoskript wird in die Lesemaschine eingeschoben und dann beginnt die Elektronik zu wüten. Durch ein Sichtfenster sieht man den Abtastkopf hin- und herflitzen. Er „liest" bis zu 400.000 Zeichen pro Stunde (gut zwei Typoskript-Zeilen in jeder Sekunde), bis er auf eine handschriftliche Korrektur stößt. Korrekt mit der Maschine zwischen den Zeilen getippte

Korrekturen verdaut er ohne Beschwerden. Bei Handkorrekturen gibt das Gerät ein Klingelzeichen von sich und ein Mensch hilft ihm mit einem Klopfer auf die richtige(n) Buchstaben-taste(n) weiter.

Am Eingabeschlitz der Lesemaschine endet Gutenbergs Welt. Aus Buchstaben werden Impulse. Die Impulse können - wenn man will - in einem wenige Meter entfernt aufgestellten Rechner auf Magnetplatten gespeichert werden. Komplette Bücher, deren Bleisatz einst viele Zentner wog, haben auf einer Magnetplatte Platz. Auch die dicksten.

Der Rechner ist auch zum kurzfristigen Speichern gut, wenn die benachbarte Fotosetzmaschine die Buchstaben nicht so schnell, wie sie das Lesegerät in Impulse verwandelt, wieder in Buchstaben rückverwandeln kann.

In der Fotosetzmaschine rast eine kleine schwarze Scheibe mit durchsichtigen Buchstaben. Bis zu achtzigmal in jeder Sekunde kommt der gerade benötigte Buchstabe zum Stillstand und wird mit einem kurzen Xenon-Blitz auf lichtempfindliches Papier fotografiert.

Dieses Verfahren ist aber schon nicht mehr ganz up to date. Auf die Fotosetzmaschine folgt eine Lichtsatzanlage, die Anfang kommenden Jahres in St. Pölten aufgebaut wird. Sie schafft nicht 300.000, sondern Millionen Buchstaben pro Stunde und ist der erste Schritt zur kompletten Gestaltung der Seiten auf dem Bildschirm, die heute in den USA selbstverständlich ist.

Beim Lichtsatz wird jeder Buchstabe digitalisiert. Wie das funktioniert? Ich bitte, mich auf die Antwort „kompliziert!" beschränken zu dürfen. Es war mir nicht vergönnt, den Vorgang zu verstehen.

Letzter, für einen Veteranen des Bleizeitalters hinlänglich wunderbarer Stand der Dinge: Die benachbarte Entwicklungsmaschine gibt den Text als „Fahne", schwarz auf weiß fotografiert, von sich. Viel schöner als fotokopiert. Sogar die Silbentrennungen stimmen (meistens), denn irgendeiner der vielen integrierten Schaltkreise im

Bauch des Geräts hat Dudens diesbezügliche Regeln auswendig gelernt und blättert sie in einer Hundertstelsekunde durch. Oder braucht er doch eine Zehntelsekunde?

Die Fahnen nehmen dann wieder Menschen in die Hand. Menschen montieren, den Blick auf die mitunter schwer durchschaubaren Skizzen der Redakteure geheftet, auf einem Leuchtkasten aus Fahnen schön gestaltete Seiten.

Diese Seiten werden dann, samt den draufgeklebten Fotos, wieder fotografiert - und dann tritt langsam Gutenberg wieder in seine Rechte.

Eine „fotopolymere" Flüssigkeit verteilt sich auf einer Alu-Platte. Das Negativ einer Zeitungsseite kommt mit winzigem Abstand darüber zu liegen.

Licht wird eingeschaltet und härtet die Flüssigkeit, wo es hinfällt. Die Buchstaben werden fest. Was in der fertigen Zeitung weiß bleiben soll, bleibt flüssig. Die überflüssige Flüssigkeit, der Großteil, wird in den Behälter zurückgeblasen - zur Wiederverwendung. Und zur Schonung der Umwelt.

Die Platte kann man auf die Sättel der Rotationsmaschine aufspannen, um davon zu drucken. Sie hat ein Relief. Sie hält viel größere Zeitungsauflagen durch als eine aus Blei.

Damit ist der Hochdruck nicht nur nicht passe, sondern leistungsfähiger denn je. Vielleicht erkennen wir in ihm noch Gutenbergs bessere, dauerhaftere Hälfte. Jedenfalls hat er die bewegliche Letter überlebt.

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