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Johannes XXIII. - „Unselig”?

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1974 wurde für die Päpste Pius XII. und Johannes XXIII. das Seligsprechungsverfahren eingeleitet. Anläßlich der Seligsprechung von Msgr. Escrivä (Gründer des Opus Dei) 1992 bat Renate Moretti, Leiter eines Apostolatszentrums in Turin, den gegenwärtigen Papst in einem Brief, nun auch das Verfahren für Johannes XXIII. (Angelo Roncalli) voranzutreiben, denn: „Seit 18 Jahren liegen die Prozeßakten unbeachtet in den Schubladen der zuständigen Kongregationen.” Der Postulator Juan Folguera beruhigte: „Wir arbeiten hart und sind an einem guten Punkt angelangt.”

Am 17. Februar 1993 erfuhr man aus Rom, daß der Seligsprechungsprozeß für Pius XII. und Paul VI. voranginge. Von Johannes XXIII. war keine Rede mehr.

Im Oktober 1992 gab Erzbi-schof Bruno Heim, einst Sekretär Roncallis an der Nuntiatur in Paris (uns von seiner Tätigkeit an der Wiener Nuntiatur bekannt), dem Pfarrblatt für die Region Basel ein Interview. Er erinnert sich, daß 1963 das Konzil Johannes XXIII. gleich nach seinem Tod „per acclama-tionem” heiligsprechen wollte. Die Kurie aber habe gebremst und angekündigt, es würde sofort das Kanonisationsverfahren für Johannes XXIII. und Pius XII. eingeleitet werden. Der damals zuständige Kardinal für die Heiligsprechungen habe ihm, Heim, Gründe gegen Johannes XXIII. vorgebracht, die in der Bemerkung gipfelten: „Er war doch schuld am Konzil.”

Manche Kreise in der katholischen Kirche polemisieren heute unverhohlen gegen das Konzil. Solcherart Kritik wird offiziell viel milder angenommen als eine, die einklagt, daß vieles in der Kirche zu wenig im Geiste des Konzils weiterginge. Seligsprechungen haben immer einen kirchenp litischen Hintergrund. Pius XII. und Paul VI. nun zur Ehre der Altäre zu erheben, Johannes aber auszulassen würde den Verdacht erwecken, des Konziles wegen, das seiner Inspiration entsprang, wäre er weniger selig oder gar un-selig.

Ich persönlich bin der Meinung, daß es heutzutage zu viele Seligsprechungen gibt. Johannes Paul II. hat allein zwischen 1988 und 1992 379 vorgenommen, und 2.240 Selig- und Heiligsprechungsverfahren sind derzeit noch anhängig. Es wäre auch zu fragen, welchen Eindruck es erweckt, wenn nun die letzten Päpste gleichsam in Serie kanonisiert würden (auch für Pius IX. läuft ein Prozeß).

Wenn aber, dann sollte gerade Johannes XXIII. nicht fehlen. Ihn wollten ja schon die Konzilsväter spontan heiligsprechen. Ihn hat gleich nach seinem Tod das Volk der Straße zutiefst verehrt, als auch die Ärmsten Roms sagten: „Unser Papst ist tot.”

Die Seligsprechung Johannes XXIII. wäre ein deutliches Ja zu einer so offenen Kirche, wie er sie wollte. Und eine unüber- . hörbare Herausforderung, diesem seinem „Erbe” gerecht zu werden.

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