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Jonglieren mit roter Solidarität

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Angesichts der jüngsten Entwicklung in, Südostasien stellt sich zusehends die Frage nach einem neuen Krieg auf der koreanischen Halbinsel. Diese Sorge muß um so berechtigter erscheinen, als der nordkoreanische Parteichef Kim Il-sung in Peking erklärte: „Wenn eine Revolution in Süd-Korea ausbricht, werden wir als ein- und dieselbe Nation nicht tatenlos zusehen, sondern die südkoreariische Bevölkerung mit allen Mitteln unterstützen!“ Könnte es allzu leicht nur eine Frage der Definition sein, was man in Pjöngjang zum Eiligreifsignäl erklären will, so ist auch der nachstehende, Satz mit seinem für Diktatoren symptomatischen Zynismus und einer wohl völligen Verkennung der Tragweite charakteristisch: „In diesem Krieg werden wir nur die militärische Demarkationslinie verlieren und die Wiedervereinigung des Landes gewinnen!“

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Angesichts der jüngsten Entwicklung in, Südostasien stellt sich zusehends die Frage nach einem neuen Krieg auf der koreanischen Halbinsel. Diese Sorge muß um so berechtigter erscheinen, als der nordkoreanische Parteichef Kim Il-sung in Peking erklärte: „Wenn eine Revolution in Süd-Korea ausbricht, werden wir als ein- und dieselbe Nation nicht tatenlos zusehen, sondern die südkoreariische Bevölkerung mit allen Mitteln unterstützen!“ Könnte es allzu leicht nur eine Frage der Definition sein, was man in Pjöngjang zum Eiligreifsignäl erklären will, so ist auch der nachstehende, Satz mit seinem für Diktatoren symptomatischen Zynismus und einer wohl völligen Verkennung der Tragweite charakteristisch: „In diesem Krieg werden wir nur die militärische Demarkationslinie verlieren und die Wiedervereinigung des Landes gewinnen!“

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Zweifellos hält Kim Il-sung die USA, insbesondere den Kongreß, mit den Problemen der Arbeitslosigkeit im eigenen Lande und den Verstrickungen im Nahen Osten für gelähmt und zu einem echten Engagement in Süd-Korea unfähig. Zudem glaubt er nach seinen im April auf einer Massenkundgebung in Pjöngjang geäußerten Worten, „daß ein Land im revolutionären Geist des Vertrauens in die eigene Kraft jeden noch so gewaltigen Imperialismus besiegen kann“. Anderseits befindet sich Nord-Korea nicht in der Lage, einen Angriffskrieg auch nur einen einzigen Monat lang allein durchzuhalten, es ist also von der militärischen Unterstützung und vor allem auch von der öl-Versorgung seitens der VR China oder der Sowjetunion abhängig. Das offizielle Abschlußkommunique beim kürzlichen Besuch Kims in Peking deutet allerdings darauf hin, daß Rotchina die militanten Töne Pjöngjangs kaum begrüßen dürfte. Bemerkenswert ist indessen der überaus scharfe Ton, der gegen die Vereinigten Staaten angeschlagen wird; hier bleibt abzuwarten, ob dies nur ein freundschaftliches Lippenbekenntnis für den hohen Gast, oder aber ein Abrücken von dem bisher allgemein unterstellten stillschweigenden Einverständnis Pekings mit der fortdauernden militärischen US-Präsenz in Süd-Korea bedeutet. Natürlich weiß man anderseits nichts über die Verhandlungen hinter den Kulissen; daß dabei militärische Probleme eine wichtige Rolle spielten, ergibt sich aus der gleichzeitigen Anwesenheit des Chefs des Armeegeneralstabs und des Oberstkommandierenden der Luftwaffe Nord-Koreas. Zudem kann nach chinesisch-kommunistischer Diktion in dem Satz, die Frage der Wiedervereinigung müsse vom koreanischen Volk selbst gelöst werden, zugleich ein versteckter Hinweis auf die amerikanische Anwesenheit in Süd-Korea liegen — nach dem Nord-Korea wiederum im Kriegsfalle chinesische Hilfe als „Solidarität für den Volkskrieg“ fordern könnte. Wahrscheinlich dominiert in Peking heute aber die Zurückhaltung. Denn ein erneutes Eingreifen in einen Korea-Krieg würde vielleicht allzu schnell die Fäden nach Washington zerreißen lassen. Ebenso könnte dies zu noch unüberschaubaren Folgen im Verhältnis zum Rivalen in Moskau führen, dessen Vordringen in Südostäsien und im Fernen Osten die Chinesen ohnebin mit wachsendem Mißtrauen beobachten.

Seine Europa- und Nordafrikareise hat Kim Il-sung jetzt (Ende Mai — Anfang Juni) ohne den — bereits angekündigten — Besuch in der Sowjetunion beendet; diplomatische Kreise , in Moskau verweisen dazu teils auf die Erkrankung Breschnjews (der in den ersten Juni-Tagen allerdings wieder hergestellt war), teils sprechen sie von einer „komplizierten Situation“. Man wird in der Tat sehr genau beobachten müssen, ob Kim Il-sung nicht doch in Kürze die UdSSR aufsuchen wird. Er ist nämlich primär auf die militärische Hilfe von dort angewiesen. Während des vergangenen Jahres erhielt Pjöngjang von Moskau die modernen Flugzeuge vom Typ MIG 23 und die ebenfalls neuen Panzer vom Typ T 62. Und wenn Nord-Korea heute den Waffenstahd Syriens unmittelbar vor Ausbruch des letzten Israel-Krieges besitzt, so verdankt es dies allein der sowjetischen Unterstützung. Es ist die Frage, ob man bei einer solchen Moskau-Reise eine Parallele zu Kims Besuch im Jahr 1950 ziehen müßte, als er Stalin um Kriegsmaterial bat und bald danach den Süden Koreas mit einem blutigen Bürgerkrieg überzog. Zweifellos streben die Sowjets heute den Abzug der USA aus Süd-Korea an, in der Hoffnung, dieses Vakuum machtpolitisch dann mit ihrem Einfluß ausfüllen zu können und damit ein weiteres Glied für ihren Einschließungsring um die VR China zu besitzen. Ebenso groß sollte aber eigentlich die Sorge Moskaus darüber sein, ob nach einem Krieg auf der koreanischen Halbinsel (sofern dieser überhaupt nach den Träumen Pjöngjangs verliefe) ein Kim Il-sung dastünde, der »auch weiterhin seine politische Unabhängigkeit wahren möchte und in der Zukunft ideologisch doch mehr nach Peking tendieren würde.

Es muß auffallen, daß der Kreml die Ereignisse in Kambodscha und Süd-Vietnam nicht zu einer lautstarken Triumpfpropaganda benutzt hat, die sein außenpolitisches Konzept vielleicht in Gefahr gebracht hätte. Anderseits ist Korea strategisch weitaus wichtiger und der Einfluß des Pekinger Rivalen dort wesentlich gefährlicher. Wiederum wird die Führung der KPdSU wissen, daß ein Angriffskrieg Pjöngjangs mit sowjetischer Waffenunterstützung sich zwangsläufig gegen die USA richten muß, die in Süd-Korea gegenwärtig rund 42.000 Soldaten und auch Atomwaffen stationiert haben — und zwar nicht auf Grund vager Zusagen wie in Vietnam, ^sondern durch einen zweiseitigen Sicherheitsvertrag. Allerdings würden die Amerikaner bei einem Angriff hier nicht automatisch — wie im Fall der NATO —, sondern nur in Übereinstimmung mit ihrem „verfassungsmäßigen Prozeß“ einschreiten dürfen, also nach Genehmigung durch den amerikanischen Kongreß. Anderseits hat US-Verteidigungsminister Schlesinger in diesen Wochen erklärt, die Vereinigten Staaten würden einen nordkoreanischen Überfall energischer beantworten als sie dies noch während des Vietnam-Krieges zu tun bereit gewesen wären. Nach Berichten aus Washington würden 65 Prozent der nordamerikanischen Bevölkerung eine Intervention der USA in einem neuen Korea-Krieg ablehnen, befürwortet würde eine solche nur von 14 Prozent. Ob es Sich im Ernstfall die Vereinigten Staaten aber noch leisten könnten, ihr Gesicht in Asien völlig zu verlieren? Ein Abrücken von den übernommenen Verteidigungsverpflichtungen gegenüber Süd-Korea würde — Kissinger zufolge — als endgültiger Rückzug aus Asien und auch von der gesamten Nachkriegs-Außenpolitik der USA gewertet werden. Man erinnert sich dabei an den Jänner 1950, als der damalige US-Staatssekretär Acheson die amerikanischen Verteidigungslinien hinter Süd-Korea und Taiwan verlegte und kurz danach der nordkoreanische Kriegsüberfall begann — niemand bezweifelt, daß die Situation heute sehr ähnlich sein könnte. Nur: Seoul würde sofort eigene Atomwaffen — Plutoniumbomben — herstellen, und es wäre zweifellos eine große Verkennung der koreanischen Mentalität, wollte man hoffen, daß diese Waffen bei einer Konfrontation nicht eingesetzt würden.

Kriegerische Verwicklungen auf der koreanischen Halbinsel würden aber auch Tokio empfindlich tangieren. Erst unlängst erklarte der japanische Außenminister, die Sicherheit Süd-Koreas sei „essential“ für die Sicherheit Nippons; inzwischen hat die japanische Regierung den USA gestattet, Atombomben auf ihr Inselreich zu bringen — nicht nur, um im Ernstfall Japan, sondern auch, um Süd-Korea zu verteidigen. Das Interesse Amerikas an Nippon (das sein größter Handeslpartner ist, noch vor Westeuropa) ist ebenfalls „unverzichtbar“, und schon deswegen müßten die Vereinigten Staaten Süd-Korea schützen. Würden Peking oder Moskau einen Kriegsüberfall Pjöngjangs unterstützen, so würde sich Tokio mit Sicherheit auf die Seite der jeweils anderen kommunistischen Macht stellen — was man gewiß in Peking und Moskau auch weiß. Ein neuer Korea-Krieg -y das ist heute in Femost ein offenes Geheimnis — hätte nicht zuletzt eine Aufrüstung Japans auch mit Atomwaffen zur Folge... .

Die große Gefahr besteht heute eigentlich darin, daß Nord-Korea sein seit Jahren wirklich meisterhaft gespieltes Jonglieren zwischen Peking und Moskau verstärken und mit der Drohung, bei einer Verweigerung der Hilfe seitens der einen kommunistischen Macht sich dann der anderen zuzuwenden, schließlich die VR China oder die Sowjetunion in einen erneuten Krieg mithineinziehen könnte — obwohl jeder im Hinblick auf sein Verhältnis zu Washington eihe Konfrontation gewiß heute nicht wünscht. Wahrscheinlich wäre noch, daß Pjöngjang eine Invasion infolge einer Fehleinschätzung begänne, die von der Annahme ausginge, daß Peking oder Moskau in einem Kriege die erforderliche militärische Unterstützung den nordkoreanischen „Bruder-Genossen“ nicht verweigern könnte, oder, was im Denken Pjöngjangs vielleicht noch naheliegender ist, daß die Vereinigten Staaten im Ernstfall Süd-Korea letztlich doch im Stiche ließen.

Unbestritten ist, daß am 38. Breitengrad längst wieder ein sehr kalter Krieg herrscht. Hatte der speziell gegen Südkorea eingesetzte starke nordkoreanische Radiosender noch Anfang 1973 eine Sendezeit von täglich nur zwei Stunden, so wurde diese im vergangenen Dezember auf insgesamt zwölf Stunden pro Tag erhöht. Vor Beginn der — längst im Sande verlaufenen — Wiedervereinigungsgespräche (1972) hatten die Nordkoreaner nachts mit Hilfe großer Luftballons jährlich rund vier Millionen Flugblätter über Süd-Korea abgeworfen; der Süden hatte auf gleiche Weise damals pro Jahr rund 100 Millionen in den Norden gebracht. Während Seoul sich bislang zurückhielt, hat Pjöngjang bereits vor längerer Zeit seine Propagandaarbeit wieder aufgenommen. Wurden während des gesamten letzten Jahres fast 211.200 nordkoreanische Flugblätter und -broschüren in Süd-Korea aufgefunden, so waren es jetzt, von Jänner bis Ende März, immerhin rund 569.500. Insgesamt dürfte sich die tatsächliche Zahl der verbreiteten nordkoreanischen Flugschriften allein während der ersten drei Monate dieses Jahres auf schätzungsweise zwölf Millionen belaufen!

Ebenso blüht die gegenseitige Spionage. Gewiß verfügt auch der Süden über geheime Augen im Norden, doch ist es auffällig, daß Seoul gerade in der jüngsten Zeit etliche Spionagenetze Pjöngjangs zerschlagen konnte — nicht wenige der festgenommenen Agenten wurden gerade in den Jahren eingeschleust, als die innerkoreanischen Wiedervereinigungsgespräche liefen! Vieles geht via Japan, wo die pro-nord-koreanische' Vereinigung „Chochon-gnyon“ für die Subversion gegen Süd-Korea verantwortlich zu sein scheint; hatte sie von Pjöngjang bisher jährlich 1300 Millionen Yen erhalten, so wurde die Zahlung für dieses Jahr auf 3712 Millionen Yen (rund 12,4 Millionen US-Dollar) erhöht ...

Symptomatisch für die politische

Atmosphäre ist nicht zuletzt, daß der Nordteil vor einiger Zeit auch wieder mit seinen Guerilla-Einsätzen begonnen hat. Schon früher waren-derartige Trupps nachts mit kleinen Schnellbooten an der ununübersichtlichen Küste Südkoreas gelandet, um dann > Sabotageaufträge durchzuführen. Es sind Spezialein-heiten der nordkoreanischen Armee, die bei ihren. Einsätzen stets südkoreanische Uniformen tragen und mit entsprechend falschen Papieren, winzigkleinen Codebüchern, mit südkoreanischem Geld und sogar mit südkoreanischen Zigaretten ausgestattet sind — aber stets in ihrer Brieftasche das Bild ihres Führers Kim Il-sung mit sich führen. Auffällig ist dabei, daß ihre Aktionen niemals eine Rückkehr nach dem Norden vorsehen, sondern daß ihnen in Nord-Korea erzählt wird, der Sieg der „Volksrevolution“ im Südteil stehe unmittelbar bevor. Pjöngjang scheint bei diesen Kommando-Unternehmen auf sehr lange Sicht zu arbeiten. Als nämlich im vergangenen Jahr eine Guerilla-Einheit auf der südkoreanischen Insel Chujo-do von der dortigen Heimwehr überrascht und einer der Agenten erschossen wurde, stellte sich heraus, daß er auf eben jener Insel geboren war und seit dem Bürgerkrieg überall als „vermißt“ galt — seine Familie bezog seit 24 Jahren gutgläubig staatliche Hinterbliebenenrente!

Während der zurückliegenden sechs Monate haben die Südkoreaner entlang der entmilitarisierten Zone am 38. Breitengrad insgesamt 17 unterirdische Tunnels festgestellt, die von Nord-Korea aus unter der Demarkationslinie rund 1000 bis 2000 Meter — in einem Falle sogar sieben Kilometer weit in den Südteil gegraben worden waren. Sie sind allgemein zwei Meter hoch und breit und liegen bis zu 50 Meter unter der Erde. Zur Einrichtung der Gänge gehören elektrische Beleuchtung, Ventilatoren, Wasserpumpen und Telefonkabel — in einem Stollen befand sich sogar ein Schienenstrang für eine Zubringerbahn. Man glaubt, auf diese Weise hätten innerhalb einer Stunde 20.000 bis 30.000 nordkoreanische Soldaten auf kleinen Autos einschließlich kleiner Geschütze hinter die erste südkoreanische Verteidigungsfront eingeschleust werden können. General Webb, der auf amerikanischer Seite der UNO-Waffenstillstandskomis-sion in Korea angehört, sieht in diesem Tunnelsystem „die größte Gefahr für den Frieden auf der koreanischen Halbinsel seit der kommunistischen Invasion von 1950“. . Es ist die Frage, ob Kim Il-sung jetzt einen neuen Krieg beginnen will oder — wie man seinen Formulierungen kürzlich in Jugoslawien entnehmen könnte — mit Hilfe der blockfreien Länder vor der UNO zunächst die Präsenz der amerikanischen UN-Einheiten in Süd-Korea beenden will. Falls Pjöngjang tatsächlich einen Krieg beabsichtigt, wäre es sehr naheliegend, daß der bald ausbräche. Denn noch haben die nordkoreanischen Streitkräfte an Panzern eine fast doppelte und an Flugzeugen eine sogar nahezu dreifache Überlegenheit gegenüber den Südkoreanern; selbst wenn Pjöngjang heute wahrscheinlich 35 Prozent seines Staatshaushalts für Militärzwecke verwendet, wird diese Übermacht angesichts des steigenden US-Militärhilfe-Programms gegenüber Seoul aber keine zwei Jahre mehr bestehen. Und die Ärzte geben dem krebskranken Kim Il-sung ohnehin nur noch so lange Zeit.

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