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Journaille einst: Reportage aus Rom

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Frigyes Karinthy (1887-1938), auch „der ungarische Swift“ genannt, gilt in seiner Heimat auch heute noch als der größte Satiriker und Humorist. Und das will was heißen, überlebt doch in der Literaturgeschichte ein Humorist meistens nicht einmal zu Lebzeiten. Der auch als Dichter und Philosoph wirkende Schriftsteller, der zeitlebens an einer Enzyklopädie gearbeitet hatte, wurde schon in jungen Jahren durch seine literarischen Parodien berühmt. In einer Humoreske aus dem Jahr 1935, an deren Ubersetzung ich mich aus gegebenem Anlaß heranwagte, geißelte er unlautere Methoden einzelner Journalisten. Ihrer Sensationslust sind offenbar auch heute keine moralischen Grenzen gesetzt. Soviel über Karinthy; den gegebenen Anlaß möge der geneigte Leser erraten. Kein Wort mehr davon, der Einleitung sei genug. Basta.

Ich teilte, dem Kardinal Asino um vier Uhr Nachmittag mit, daß ich fertig sei, und wir uns zu Seiner Heiligkeit begeben könnten. Der Nuntius führte uns in den großen Saal, und ließ uns mit der Ankündigung allein, daß Seine Heiligkeit sogleich erscheinen würde. Mit einem Kopf nicken bedankte ich mich für die Auskunft.

Fünf Minuten später öffnet sich die Mitteltür, und er erscheint. Ich trage einen langen schwarzen Kaiserrock, und mit meinen etwas kurzsichtigen Augen prüfe ich eingehend den Herannahenden. Dabei hebe ich meinen Zeigefinger leicht in die Luft.

Er läßt mich auf einen hohen vergoldeten Stuhl Platz nehmen, auf dem ich mich ohne Zögern niederlasse.

„Ich bin nicht gekommen“, beginne ich ruhig, „um über die Dinge Aufklärung zu erhalten, welche, nicht wahr, infolge der Natur der Dinge, ohnehin nicht aufrichtig und zufriedenstellend formuliert werden können; dürfte ich doch ohnehin nicht weiter als offiziöse Erklärungen zu gewärtigen haben. Mein Ziel ist einfach und in klaren, knappen Worten nur soviel, über jene unbewußten und schleierhaften Gedanken und Pläne eine Impression zu gewinnen, welche sich eher im zweifelhaften Dunkel der Worte schüchtern und gleichsam dahindösend verbergen, und die dann sich unter der meisterhaften Hand des Schriftstellers zu charakteristischen Grundrissen entfalten. Denn, nicht wahr —“ „Also“, sagt Seine Heiligkeit.

„Denn, nicht wahr“, fahre ich in jenem flüssigen, einschmeichelnden Tonfall fort, welche für Seine Heüigkeit so charakteristisch ist, „unsere Aufgabe, die Mission der Presse erschöpft sich nicht darin, trockene und farblose Fakten und Gedanken einfach zu reproduzieren. Im vorletzten Jahr anläßlich meines Gesprächs mit dem Zaren von Bulgarien habe ich meine diesbezügliche Auffassung ausführlich dargelegt, welche in etwa so auszudrücken ist, daß wir haarfeine Arabesken, winzigste, unscheinbar erscheinende Motive brauchen, um blutvolle Charakterisierung gewisser Menschen zu entwickeln, welche allein der berufene Kenner der Seele und der Stilrichtungen, eben der Schriftsteller und Journalist, in dieser Art und Weise zu Papier zu bringen imstande ist, sodaß es für jedermann fackelgleich leuchten kann.“

„So ist es“, nickt Seine Heiligkeit.

„So ist es“, bemerke ich bescheiden. „Die Frage von Krieg und Frieden beweist es am besten, wie rechtmäßig jene Auffassung ist, welche die im richtigen und bewußten Bestreben nach dem Begreifen der Dinge nicht die groben und oberflächlichen Tatsachen und Äußerungen als Richtschnur betrachtet, sondern jene Imponderabilien, welche auf einer feinen Waage nur irgendein vierter Sinn zu ermessen fähig ist.“ “

„Allein -“, äußert Seine Heiligkeit entschieden.

„Dem ist völlig so“, komme ich auch zu Wort, „und Eure Heiligkeit unterscheidet ausgezeichnet zwischen dem Wesentlichen und Unwesentlichen. Ihren Äußerungen entnehme ich, daß die Frage des Friedens genausowenig von der Gesamtsumme der Ubereinkommen abhängt, welche einzeln und insgesamt in Frage kommen können, genauso wie der Krieg ja nicht von der Formulierung der Frage Frieden oder Nichtfrieden abhängt. Vielleicht wäre eher zu sagen, daß es Dinge gibt, die darauf schließen lassen. Ich möchte nichts weiter wissen, als dieses: auf welche Art und Weise die innere und menschliche Meinung Eurer Heiligkeit, welche nicht von aktuellen politischen Gesichtspunkten abhängt, sich unter entsprechenden Umständen entwik-kelt hätte? Und wenn ich dieses erfahren habe, betrachte ich mein Ziel vollkommen erreicht.“

Aber jedoch“, erklärt Seine Heiligkeit begeistert. „Ja“, werfe ich ein, „diese ist die einzige richtige Art, durch die wir zu interessanten und wertvollen Dokumenten kommen können, und zwar zu menschlichen Dokumenten, das wollen wir festhalten. Ich bin kein Freund jener Berichterstatter, die in einem Gespräch das, was das Publikum — dessen treue und ehrliche Chronisten wir sind — wahrhaftig interessieren dürfte, durch zerfließende Seifenblasenbilder und bunte Stimmungsgemälde ergänzen. Haben Eure Heüigkeit jemals das gewisse Etwas gefühlt, wenn es einem so scheint, als hätte er das, wovon er geglaubt hatte, es jetzt zum ersten Male zu sehen, schon einmal geschaut? Ich habe einmal, mit zehn Jahren, in Dunavecse, eine alte Trauerweide erblickt, unweit von unserem Haus, ohne daß...“

Hier wurde unser interessantes Gespräch unterbrochen, weil Seine Heüigkeit mir ein Papierblatt überreichte, auf dem geschrieben stand: Da ihm keine andere Möglichkeit bleibe, teile er mir schrif t-lich mit, daß er nicht Seine Heüigkeit sei, sondern nur ein Diener, der mit der Nachricht zu mir geschickt worden sei, Seine Heüigkeit bedauere sehr, er wünsche mich nicht zu empfangen.

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