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Journalisten sind keine Pädagogen

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Uberflüssig zu sagen, daß die traditionelle Medien- und Kommunikationsforschung, welcher bereits die moralische Dimension des Begriffes „Wirkung" verborgen geblieben ist, auch den korrelierenden Begriff „Manipulation" nie als ethisches Problem erfassen konnte.

Man sprach zwar dauernd von Manipulation, unterstellte den Medien diesbezüglich auch ständig die finstersten Absichten,

aber warum Manipulation eine üble Sache sei, konnte auch beim besten Willen solange nicht erklärbar werden, als man das Problem nicht als ein ethisches erfaßte.

In letzter Konsequenz ist Manipulation der dem Menschen versagte Respekt vor seinem Recht auf Autarkie. Es ist die Negation des Menschen als Selbstzweck, seine Degradierung auf ein Mittel zu heteronomen Zwecken…

Massenmedien, gesehen als ein technisch Ermöglichtes und kulturell „Verursachtes", widersetzen sich der wissenschaftlich kausalen Wirkungsfrage, was noch lange nicht heißen muß, daß Massenmedien wirkungs-los seien.

Die Unbeweisbarkeit der Medienwirkung korreliert mit ihrer Unwiderlegbarkeit. Das schafft ein weites Feld für Kulturpessimisten und Spekulanten aller Art. Die Beantwortung der Frage nach der Wirkung bzw. Wirkungslosigkeit wird so zur Sache machtpoli-.tischer Opportunität und Willkür, weil sie jede Medienplanung und jeden Eingriff in bestehende Mediensysteme - je nach zugrundegelegter Wirkungshypothese -rechtfertigt.

Daß die Ethik primär gar nicht so sehr an der Beantwortung der theoretischen Frage nach der „Wirkung" interessiert ist, mag den Laien vielleicht verwundern. Doch der Ethik geht es tatsächlich in erster Linie um die praktische Frage, um das Handeln.

Als technisch-instrumentelle Vorrichtungen sind Massenmedien vorerst ethisch irrelevant, so wie etwa auch das Auto, der Computer oder die Datenbank als technische Aggregate an sich nicht Gegenstand der Ethik wären. Die sittliche Dimension beginnt bei der Benutzung dieser Mittel und bei der Absicht, in welcher sie gebraucht werden, beim Ziel, woraufhin sie eingesetzt werden sollen.

Wenn von den Massenmedien „Wirkungen" ausgehen sollten, und wären diese Wirkungen auch noch so unbeabsichtigt, wäre die Frage nach der Wirkung bereits ein ganz entscheidendes Thema.

Wenn aber „Wirkung" gar beabsichtigt wäre und sich menschliches Tun auf Massenmedien hin — sei es als journalistischer Versuch der Einflußnahme mittels Massenmedien oder sei es politische Einflußnahme auf und mit Hilfe der Massenmedien — Ziele und Zwecke setzte, dann erst ist das eigentliche, tiefere Problem der Ethik umschrieben. Dies vor allem dann, wenn die Ziele und Zwecke auiäerhalb der Freiheit und Autarkie der Person zu orten wären…

Pressefreiheit ist ihrem Wesen und Ursprung nach ein Abwehrrecht, und zwar ein Abwehrrecht gegen Bedrohungen durch den Staat und seine Organe. Die verfassungsmäßige Garantie hat also eindeutig den Staat als potentielle Gefährdung der Pressefreiheit im Auge.

Demnach hätte der Staat im Grunde die Pressefreiheit nicht zu garantieren, sondern einfach zu respektieren. Ein staatliches Pressegesetz wäre primär also nichts weiter als eine Verzichtserklärung des Staates auf Einmischung in die Belange der Presse-, Meinungs- und Informationsfreiheit, ein Verzicht also auf Machtmißbrauch…

Freiheit hat ein Korrelat, es heißt Verantwortung. „Verantwortung" ist das moderne Wort für den uralten Begriff der „Tugend". Noch jede Ethik und jede Rechtsphilosophie war sich darin einig, daß der Staat keine Institution zur Gewährleistung der Tugend ist. Er sollte aber - als freiheitlicher und als Rechtsstaat -Tugend ermöglichen.

Tugend bzw. Verantwortung ermöglichen heißt zunächst einmal, sie „für möglich halten", sie prinzipiell anerkennen und voraussetzen. Verantwortung als Tugend ist weder planbar noch erzwingbar noch substituierbar

Gerade eben, weil der Journalist der Gegenwart in vielen Situationen gar nicht mehr anders kann, als unter pädagogischen Gesichtspunkten auszuwählen und zu gestalten, darf er niemals als Pädagoge wählen. Das ergibt sich allein schon aus der natürlichen Position des Journalisten als des „Stärkeren" gegenüber dem Rezipienten, welcher angewiesen ist auf das, was der Journalist für ihn auswählt. Das ergibt sich weiters daraus, daß jedes Auswählen unter pädagogischen Intentionen ein Vorenthalten und mithin eine Bevormundung ist.

Autarkie ist das Recht auf Selbstbestimmung und daher gilt, daß über eine Person nicht von anderer Seite verfügt werden darf, „… auch nicht zu einem guten Zweck", wie H. E. Hengstenberg die kompromißlose Konsequenz zieht…

Im übrigen kann sich aus der ethischen Forderung nach Mora-lität des Journalismus nicht ein „Journalismus als mor^alische Anstalt" herleiten. \

Schlimmer noch als ein moralisierender Journalist, welcher sich als Kläger, Richter und Henker in Personalunion mißversteht, ist ein solcher, der es dem Menschen abnimmt, sich sein Urteil, gar sein moralisches Urteil zu bilden, denn damit verhindert er in extensiver Weise Autarkie.

Ebensowenig wie sich der Journalist zum Pädagogen der Nation aufschwingen darf, kann er sich als Moralist der Gesellschaft fühlen. Es ist nicht Aufgabe des Journalisten, öffentliche Moral herzustellen, sondern Zusammenhänge darzustellen, damit der Mensch sich sein Urteil — auch sein sittliches Urteil — selbst und autonom bilden kann.

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