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Jubiläum mit Ruine?

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Mehr als zwei Millionen Touristen besuchen jedes Jahr Österreichs Klöster und Kirchen. Der größte Teil dieser Sakralbauten liegt im größten österreichischen Bundesland, in Niederösterreich, was auch daraus zu erklären ist, daß dieses Land die alte Residenz- und Hauptstadt Wien unmittelbar umgibt. Die monumentalen Stiftsbauten in Niederösterreich sind beste Zeugen österreichischer Kultur.

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Mehr als zwei Millionen Touristen besuchen jedes Jahr Österreichs Klöster und Kirchen. Der größte Teil dieser Sakralbauten liegt im größten österreichischen Bundesland, in Niederösterreich, was auch daraus zu erklären ist, daß dieses Land die alte Residenz- und Hauptstadt Wien unmittelbar umgibt. Die monumentalen Stiftsbauten in Niederösterreich sind beste Zeugen österreichischer Kultur.

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Die meisten Klosterbauten erstanden neu nach dem siegreichen Verlauf und Abschluß der Türkenkriege und spiegeln barocke Glaubens- und Lebenserfahrung wider. Den Architekten und Künstlern dieser Zeit - J. B. Fischer von Erlach, J. L. Hildebrandt, J. Prandtauer, J. Munggenast sind wohl die prominentesten Baumeister in Österreich - wurden kaum Schranken in Planung und Durchführung auferlegt. Mehrere Klosterbauten konnten ihre Vollendung erleben (z. B. Melk), andere blieben wegen der Ungunst unruhiger Zeiten Torso (Klosterneuburg, Göttweig). Auch in ihrer Nichtvollendung strahlen sie im Teil die Monumentalität und Harmonie des Ganzen aus.

Österreich könnte sich freuen an diesen herrlichen Stifts- und Kirchenbauten, überläßt diese Freude allerdings leider oft einzig den Touristen, denen aber nicht mehr länger verheimlicht werden kann, wie es wirklich um diese Denkmale steht, was für ihre Rettung getan (oder nicht) getan wird und daß Bauten dieser Qualität und Größe nicht lauter Freude für den Eigentümer bedeuten.

Weil Sorgen und Probleme immer größer werden, wandten sich im Jahre 1978 nach vielen anderen erfolglosen Bemühungen Vertreter der Bauämter der Erzdiözese Wien und der Diözese St. Pölten, die Supe-riorenkonferenz der männlichen Ordensgemeinschaften Österreichs und die Äbtekonferenz der niederösterreichischen Stifte mit einem Memorandum an die Öffentlichkeit, um mehr als in der Vergangenheit auf das Anliegen der kirchlichen Denkmalpflege aufmerksam zu machen.

Dieser Hilferuf der Diözesen und der Stifte war getragen vom Wissen, daß die Herrlichkeit sakraler Bauten von einer Katastrophe bedroht ist. Vor allem die in der Hochblüte des Barock entstandenen kirchlichen Bauten sind vom Material her gesehen an ein gewisses Ende gekommen: das Dachziegelmaterial verrottet; Mauerzonen sind durch Feuchtigkeit ausgesintert; Sandsteinteile zersetzen sich; Holzkonstruktionen sind am Vermorschen; Holzschädlinge bedrohen wertvolle Kunstobjekte. Dieser natürliche Abbau der Materialien nach 250 bis 300 Jahren bedingt heute kostspielige Generalsanierungen, die aber wesentlich teurer sind als bloß optische Retuschen.

Die katholische Kirche hat auf dem Gebiet der Denkmalpflege bisher

eine äußerst positive Rolle gespielt. Finanziell und ideell hat die Kirche dieses Anliegen enorm unterstützt und damit dem österreichischen Volk unschätzbare Werte bewahrt -Werte, die vom Namen und der Iden-' tität Österreichs nicht mehr wegzudenken sind. Die Denkmalpflege der Kirche ist ein notwendiger Dienst an der österreichischen Kultur.

Die finanziellen Leistungen, die die katholische Kirche in Österreich auf dem Gebiet der Denkmalpflege erbringt, werden deutlich am Beispiel des Jahres 1976:

Die Diözesen, die Pfarren und die männlichen Ordensgemeinschaften Österreichs haben im Jahre 1976 für Erhaltungen, Revitalisierungen, Sa-

„österreich - wie lange noch ein ,Klösterreich'?“

nierungen und Restaurierungen kirchlicher Bau- und Kunstdenkmale 443,147.130 Schilling aufgebracht. Im gleichen Jahr leistete der Bund (BGBl. Nr. 1 vom 2.1. 1978, S. 42) 42,239.000 Schilling für Denkmalpflege in ganz Österreich, wobei davon 64 Prozent (laut Schreiben des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung vom 19.12. 1977), also 27,032.960 Schilling (das sind nur zirka sechs Prozent des kirchlichen Aufkommens) für die Pflege kirchlicher Denkmale verwendet wurden.

Dabei ist zu bedenken, daß etwa zwei Drittel aller Denkmale in Österreich im Besitz der katholischen Kirche sind. Die finanzielle Belastung, die die Kirche für die Denkmalpflege in Österreich trägt, ist durchaus erkennbar. Ferner läßt sich ein beinahe unglaubliches Unverhältnis von Steuern und staatlichen Subventionen nachweisen. Die Kirche bezahlte 1976 für ihre Leistungen auf dem Gebiet der Denkmalpflege rund 65 Millionen Schilling an Mehrwertsteuer. Die Kirche erhielt im gleichen Zeitraum bloß 27 Millionen Schilling an staatlichen Subventionen.

In einer Aussprache mit Finanzminister Vizekanzler Androsch wurde den kirchlichen Vertretern Verständnis für diese Problematik entgegengebracht und eine Erhöhung der staatlichen Förderungsmittel in Aussicht gestellt. Im Voranschlag des Bundeshaushaltsplans 1979 wurden die Förderungsausgaben

nun auf 65 Millionen Schilling angesetzt, was einer 50prozentigen Erhöhung gleichkommt, aber laut Aussage des Finanzministers „noch immer ein Tröpfen auf den heißen Stein ist“. Weitere Schritte, etwa die Gründung eines Denkmalschutz-Fonds, wurden angekündigt.

Bei Aufbringung aller nur denkbaren Eigenmittel und trotz vieler Ideen und Initiativen (z. B. Bausteinaktionen, Werbeveranstaltungen, Autofahrerplaketten) und vieler kleinerer und größerer Spenden aus der Bevölkerung kann in Zukunft eine entsprechende Denkmalpflege nur durch höhere staatliche Förderung der im öffentlichen Interesse gelegenen Denkmälpflege geleistet werden.

Einige konkrete Beispiele:

Stift Melk: Die Gesamtrenovierung wird auf 90 Millionen Schilling geschätzt und auf sechs Jahre verteilt werden. 1978 wurden 3,5 Millionen Schilling von Bund und Land gegeben. Gleichzeitig wurden aber fast alle anderen Bauvorhaben vertröstet: weil für Melk ohnehin so viel getan wird, erlaubten budgetäre Gründe nicht die Aufnahme eines weiteren Großprojektes in die öffentliche Subventionsvergabe.

Stift Klosterneuburg: Eine Generalsanierung wird eben eingeleitet

Stift Göttweig: Die 1978 eingeleitete Generalsanierung (Hälfte des Nordtrakts) muß 1979 wieder eingestellt werden, wenn nicht öffentliche Hilfe kommt 1983 wird das 900-Jahr-Jubiläum begangen - mit einer halben Ruine?

Stift Seitenstetten: Zustand des Stiftsgebäudes von J. Munggenast: Alarmstufe Nr. 1!

Die weiteren Babenbergerstiftun-gen Heiligenkreuz, Lilienfeld und die Kuenringergründung Zwettl: schon viel geschehen, aber genau so viel offen.

Stift Herzogenburg: Dank Ausstellung bereits Turmrenovierung durchgeführt. Der Stiftsbau ist aber noch des Denkmalschutzes Stiefkind.

Die Stifte Altenburg und Geras mit vielen bereits durchgeführten Renovierungen und neuen Initiativen haben mit ihren Bauten weiterhin Wünsche und Probleme.

Noch krasser sind Beispiele von aufgehobenen Stiften und Kirchen, weil bar aller Eigenmittel: St. Andrä an der Traisen, Dürnstein, Kleinmariazell, Neukloster-Wiener Neustadt Ardagger, die Kartausen Gaming, Aggsbach und Mauerbach. Dazu Hunderte Pfarr- und Filialkirchen im ganzen Bundesland. Von den Kunstschätzen innerhalb der Kirchen- und Klostermauern noch gar nicht gesprochen.

Österreich - wie lange noch ein „Klösterreich“?

Abraham a Sancta Clara würde wiederholen: „Merk's Österreich!“

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