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Jubiläum eines Schwindels?

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„Die Entscheidung, die wir heute treffen, bindet nicht nur uns, son- dern auch unsere Kinder und Kin- deskinder. Wir treffen diese Ent- scheidung reinen Herzens, in dem aufrichtigen Willen, durch unsere Neutralität nicht nur uns und un- seren Nachbarstaaten, sondern darüber hinaus der ganzen Welt zu nützen" (Staatsvertragskanzler Julius Raab am 26. Oktober 1955 anläßlich der Verabschiedung des Neutralitätsgesetzes).

Wird sich die internationale Staa- tengemeinschaft daran gewöhnen müssen, daß österreichische Beteue- rungen von Nützlichkeitserwä- gungen des Augenblicks bestimmt sind, daß man darauf nicht bauen darf?

„Wozu sind wir noch neutral?" fragt Peter Michael Lingens in der „Wochenpresse", denn „die Neu- tralität bringt nichts, aber sie kann uns die Zukunft erschweren". Damit handeln wir uns nur „voll- kommen überflüssige Schwierig- keiten" bei einem EG-Beitritt ein. Wir wurden ja nur „aus Not in die Neutralität gedrängt", um das rus- sische Da zum Staatsvertrag zu be- kommen.

„Der Treulose" Johann Nestroys scheint neuerdings Ratgeber zu sein: „Grundsätze sind enge Kleidungs- stücke, die einen bei der freien Bewegunggenieren. Was mich freut, das tu' ich, was mich unterhält, das such' ich, was mir gefällt, das lieb' ich, ich bin mein eigener Herr."

Natürlich hat Moskau seine Zu- stimmung zum Staatsvertrag und zum Abzug seiner Besatzungs- truppen von der Neutralität ab- hängig gemacht. Aber wir haben sie - und haben das wiederholt betont - freiwillig erklärt und der internationalen Staatengemein- schaft notifiziert. Wir haben um Anerkennung gebeten. Und wir ha- ben damit Pflichten übernommen. Als souveräner Staat.

Richtig ist, daß sich zuletzt das europäische Umfeld gewandelt hat. Ein Unsinn ist, daß sich damit auch das neuralitätspolitische Umfeld gewandelt hätte. Das war 1955 durch Warschauer Pakt und NATO bestimmt und ist es heute weiter - auf nicht absehbare Zeit.

Richtig ist, daß durch die aktu- ellen Veränderungen unserer Neu- tralität eine andere Funktion zu- kommen könnte. Unsinn ist es aber, Status und Funktion in einen Topf zu werfen. Augenscheinlich am neutralen Status der Schweiz nach- vollziehbar: Die Funktion im habs- burgisch-f ranzösischen Machtkon- flikt des 19. Jahrhundert war eine andere als die im Ost-West-Kon- flikt.

Natürlich können wir alles „ab- schaffen", die Neutralität, das Bundesheer. Pacta sunt non ser- vanda wird dann zum österreichi- schen Rechtsgrundsatz. Pflicht ist unbequem und uns zuwider. Und den Staatsvertrag haben wir ja ...

Quasi erschwindelt?Ein jämmer- licher Beitrag zum Jubiläum. Das ist ein Verrat an den Vätern des Staats Vertrages. Und an Österreich.

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