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Juden-Manifest

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Kurt Waldheim ist der große moralische Sieger dieses ersten Wahlganges. Jetzt muß er etwas tun, was dieser Moral Substanz verleiht. Wenn Kurt Steyrer die Größe aufbringt, dabei mitzumachen, wäre Österreich ein patriotischer Dienst erwiesen.

Simon Wiesenthal, der für seine Fairneß in diesen Wochen unverdiente Schläge in der Welt einstecken mußte, hat Anspruch auf Gehör, wenn er sagt: Keine Bevölkerungsgruppe hat in diesem Wahlkampf mehr gelitten als die österreichischen Juden, und damit es einen Neubeginn geben kann, müssen die anderen den ersten Schritt tun.

Man konnte wohl kaum erwarten, daß Waldheim unter dem täglich wachsenden Druck dieser Verleumdungskampagne das erlösende Wort fand. In der Atempause an der Schwelle zum Sieg ist es ihm gleichwohl zuzumuten: die große Versöhnungsgeste gegenüber den Juden in Österreich.

Es müßte eine umfassende Anerkennung des Beitrages sein, den Juden seit tausend Jahren zur Kultur dieses Landes geleistet haben; ein Wort des Respektes für die unaustilgbaren Spuren, die Menschen wie Hugo von Hofmannsthal,' Arthur Schnitzler, Stefan Zweig, Sigmund Freud, Victor und Alfred Adler oder Karl Kraus und Alfred Polgar in der österreichischen Geisteslandschaft hinterlassen haben.

Ein solches Juden-Manifest müßte einbekennen, wie schlecht österreichische Fürsten und Kirchenfürsten den Juden ihre Leistungen mit Vertreibung, Demütigung und Ritualmordunterstellung gelohnt haben. Wie Priester und Laienchristen ebenso wie deutschnationale und sozialdemokratische Spießbürger ihren Beitrag zum Antisemitismus geliefert haben.

Und dann müßten mit letzter Deutlichkeit Abscheu und Empörung über das verbrecherische Unrecht formuliert werden, das 48.000 österreichische Juden in die Vernichtungslager Hitlers trieb, wo nur gezählte 2.142 überlebten.

Vor dem Hintergrund eines solchen Bekenntnisses erst gewinnt die gebotene energische Zurückweisung der Haßtiraden einiger Heißsporne des Jüdischen Weltkongresses Gewicht, läßt sich die moralische Abscheu gegenüber österreichischen Drahtziehern begründen.

Wenn Kurt Waldheim jetzt eine solche Geste setzt, beschämt er seine Kritiker. Wenn Kurt Steyrer zusammen mit ihm eine solche Erklärung unterzeichnet, kann die Schlußrunde dieses Wahlkampfes endlich sein, was beide Kandidaten von ihr wünschen: ein befreites Reden über unsere Zukunft.

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