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Juden und Linke

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Historiker, die sich mit der Geschichte der deutschen Juden in der Weimarer Republik befassen, werden immer wieder mit der Behauptung konfrontiert, Judentum und deutsche Linke seien miteinander identisch gewesen. Wenn diese Behauptung auch für manche Gruppierungen zutreffen mag, so reicht sie dennoch nicht aus, Situation und Selbstverständnis des gesamten deutschen Judentums in der Weimarer Republik zu kennzeichnen. Eine solche Annahme unterschätzt vor allem den Stellenwert der Assimilation und Emanzipation in der historischen Entwicklung, die aus den Juden ein traditionell loyales Bevölkerungselement geformt haben, dem das Bekenntnis zu Deutschland über jede weltanschauliche Bindung ging.

Auch wenn viele es heute nicht wahrhaben wollen: Der geistige Zuschnitt des jüdischen Bürgertums unterschied sich in keiner Weise von anderen bürgerlichen Schichten der Weimarer Republik. Das deutsche Judentum war seit den Tagen Eduard Laskers und Ludwig Bambergers, in denen es eine Ehe mit dem Freisinn beziehungsweise dem Linksliberalismus eingegangen war, in seiner breiten Masse hinter der geistigen Entwicklung zurückgeblieben. Was einmal als fortschrittlich gelten konnte, war inzwischen überlebt und reaktionär geworden. Denn was geistig wie politisch in diesen Jahren des geistigen Umbruchs los war, wußten die wenigsten; nirgendwo in Deutschland waren auch Mentalität und Lebensstil des Bürgertums der Jahrhundertwende so hartnäckig festgehalten worden wie bei den deutschen Juden.

Deutlich wird das vor allem an Vereinigungen, wie dem „Verband nationaldeutscher Juden“ oder dem „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“, in denen sich zumeist nationalkonservative Juden organisiert hatten, die nicht daran dachten, Zioni-sten zu werden, sondern sowohl Deutsche wie Juden sein und bleiben wollten. Heute zu behaupten, die deutsch-nationalen Juden seien nur in „unrepräsentativen Splittergruppen“ aufgetreten, die als „pathologische Verirrung“ betrachtet werden müssen, ist eine Geschichtsfälschung.

Die von Hans-Helmuth Knütter vorgelegte Untersuchung unternimmt den längst fälligen Versuch, die Frage zu beantworten, „ob Juden und Linke zu Recht miteinander gleichgesetzt werden und wie es zu dieser Gleichsetzung kam“. Mit methodischer Gründlichkeit und auf breiter Quellengrundlage beweist der Verfasser, daß diese Identifizierung in politisch-soziologischer Hinsicht auf einer Fehleinschätzung beruht. Das jüdische Bürgertum, das seinem Wesen nach konservativ und „staatserhaltend“ war, näherte sich erst unter dem Druck der Judenfeindschaft des aufkommenden Nationalsozialismus der Linken. Wenn sie nicht in der zionistischen Alternative ihren Ausweg suchten, so fanden sie hier eine politische Heimat, ohne aber von der Linken voll akzeptiert zu werden.

Daß trotzdem die Identität von Judentum und Sozialismus propagiert wurde, sieht Knütter in der Tatsache begründet, daß die jüdische Emanzipation mit der industriellen und geistigen Revolution des 19. Jahrhunderts zusammenfiel. Das heißt, hier sind die Wurzeln der Auffassung zu suchen, „daß Judentum mit allem Fortschrittlichen, Modernen, Revolutionären gleichzusetzen sei“.

Anderseits bestand selbstverständlich eine starke Affinität jüdischer Intellektueller bürgerlicher Herkunft zum Sozialismus als politische Theorie, die nur aus der historischen Situation und Lage des Judentums im 19. Jahrhundert zu erklären ist. Diesen Juden ging es nicht so sehr um materielle Verbesserungen, sondern eher um sozial-idealistische Motive, was in letzter Konsequenz bedeutete, daß sie nicht einem orthodoxen marxistischen Sozialismus anhängen konnten, sondern eher einem undogmatischen humanitären Gefühlssozialismus zuneigten, dessen Ziel, wie Knütter in seinem glänzend geschriebenen Buch sagt, „individuelle Befreiung. Beseitigung von Zwang und menschliche Vervollkommnung waren“.

Es ist verständlich, daß ein solcher ethischer Sozialismus, der nicht an das Proletariat appellierte, sondern über den Klassen stehen wollte, bei der organisierten Linken auf starke Vorbehalte stoßen mußte. Die Spannungen zwischen jüdischen Intellektuellen und organisierter Linker hatten aber auch noch andere Beweggründe. So hing eine Minderheit unter Sozialisten und Juden der Vorstellung vom Sozialismus als „säkularisiertem Messianismus“ an, was bei der organisierten Linken auf völliges Unverständnis stieß, da diese sich keineswegs als eine „religiöse Erweckungsbewegung“ verstand. Geht man also davon aus, daß bei den meisten Juden die Haltung zum Sozialismus vorwiegend durch weltanschaulich-ethische Entscheidungen bestimmt, bei der organisierten Linken hauptsächlich aber ökonomische und soziale Interessen ausschlaggebend waren, so ergibt sich eine kaum zu überbrückende Divergenz, die bezeichnend ist für das Verhältnis der Juden zu der Linken der Weimarer Republik.

DIE JUDEN UND DIE DEUTSCHE LINKE IN DER WEIMARER REPUBLIK 1918—1933. Von Hans-Helmuth Knütter. Droste-Verlag, Düsseldorf. 259 Seiten, Kart. DM 19.80, Leinen

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