6982219-1986_14_03.jpg
Digital In Arbeit

Jüdische Einheit in der Vielfalt

Werbung
Werbung
Werbung

Wer hat heute das Recht, im Namen der rund 13,5 Millionen Juden, die über die ganze Welt verstreut leben, zu sprechen? Kann etwa Israel Singer, der Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses, diese Sprecherfunktion für seine Organisation reklamieren?

Die Beantwortung dieser Fragen fällt nicht leicht. Aber Tatsache ist, daß die Arbeit des Weltkongresses in den letzten Jahren die mit Abstand stärkste Resonanz in den Medien der westlichen Hemisphäre findet. Was für eine straffe Organisation und gute Kontakte in aller Welt spricht.

Dem ist aber nicht unbedingt so. Das Befremden, das die geharnischten Attacken von Israel Singer auf Kurt Waldheim in vielen jüdischen Gemeinden und Organisationen innerhalb und vor allem außerhalb der Vereinigten Staaten hervorgerufen haben, verdeutlicht die komplexen Organisationsstrukturen der Juden in der Diaspora, also jener, die außerhalb Israels leben.

Der Jüdische Weltkongreß, „World Jewish Congress“ (WJC), wurde 1936 in Genf ins Leben gerufen. Am Vorabend und vor den Toren von Nazi-Deutschland sollte der freiwillige Zusammenschluß „repräsentativer jüdischer Körperschaften, Gemeinschaften und Organisationen“ auf der ganzen Welt „das Uberleben“ der Juden sicherstellen und die „Einheit des jüdischen Volkes“ fördern, wie dies die Satzungen des Weltkongresses bestimmen.

Ordentliche Mitglieder des Weltkongresses sind heute jüdische Gemeinschaften in 65 Ländern (Österreichs Juden sind im Weltkongreß durch den „Bundesverband der Israelitischen Kultusgemeinden Österreichs“ vertreten). Dazu kommen noch rund 25 internationale jüdische Organisationen, wie zum Beispiel die Internationale Zionistische Frauenorganisation, „Womens International Zionist Organization“ (WIZO), als assoziierte Mitglieder.

Besondere Beziehungen unterhält der Jüdische Weltkongreß auch zu den neben ihm größten jüdischen Weltorganisationen: B'nai B'rith und Zionistische Weltorganisation, „World Zionist Organization“ (WZO).

B'nai B'rith, die „Söhne des Bundes“, sind die älteste und größte jüdische Hilfsorganisation. Vieles an der Struktur von B'nai B'rith erinnert an das Erscheinungsbild der Freimaurerei. Es gibt sogenannte Logen in mehr als 50 Ländern, und lange Zeit war Frauen der Zutritt verwehrt.

B'nai B'rith wurde 1843 in New York von in der Mehrzahl deutschstämmigen Juden gegründet. Auch die erste Loge außerhalb Amerikas wurde 1882 im Deutschen Reich ins Leben gerufen.

Von Anfang an hat sich B'nai B'rith in erster Linie als humanitäre Organisation verstanden. Schon 1865 flössen Geld und Medikamente nach Palästina, um eine schlimme Cholera-Epidemie erfolgreich zu bekämpfen.

Seit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 war B'nai B'rith federführend tätig bei der Aufbringung der finanziellen Mitteln für den neuen Judenstaat.

Untrennbar mit dem Namen Theodor Herzl ist die Zionistische Weltorganisation, „World Zionist Organization“ (WZO), verbunden. Der erste Zionistische Weltkongreß ging 1897 in Basel über die Bühne. Theodor Herzls Traum von einem eigenen Staat in Palästina für alle Juden der Welt erfüllte sich aber erst nach dem 2. Weltkrieg und nach dem Holokaust.

Die Funktionäre des Zionistischen Weltkongresses standen dann auch an der Spitze des Staates Israel. Und die Örganisations-struktur der WZO ist wie die eines souveränen Staates aufgebaut, mit dem Unterschied, daß die WZO übernational und auf freiwilliger Basis zusammengesetzt ist.

Besonders um die Immigranten in Palästina hat sich die „Jewish Agency“ schon unter der britischen Mandatshoheit bemüht. Die „Jewish Agency“ galt von Anfang an als die Exekutive der Zio-nisten und hat vor der Gründung des Staates Israel praktisch alle politischen Funktionen einer Regierung ausgeübt.

Nach der Staatsgründung spielte die „Jewish Agency“ — wie erwähnt — eine Schlüsselrolle bei der Einwanderung von Juden nach Israel. In den ersten drei Jahren nach der Staatsgründung wurde fast eine halbe Mülion Einwanderer betreut.

In den frühen fünfziger Jahren schließlich, als der Einwandererstrom aus West-Europa abgerissen war, konzentrierte sich die „Jewish Agency“ auf die Emigranten aus osteuropäischen Staaten.

1954 wurde ein Vertrag zwischen Israel auf der einen und der WZO, in die die „Jewish Agency“ mitt-lerweüe integriert worden war, auf der anderen Seite abgeschlossen, wonach der Zionistische Weltkongreß der „Repräsentant des Weltjudentums“ außerhalb Israels ist.

Im Konzert der konkurrierenden jüdischen Weltorganisationen und Parteiungen war diese Festlegung wenig realistisch.

Heute kooperieren die verschiedenen jüdischen Organisationen vor allem in der Weltkonferenz der Jüdischen Organisationen, „World Conference of Jewish Or-ganizations“ (COJO), die als Dachorganisation 1958 in Rom gegründet wurde.

Diese Konferenz bringt in regelmäßigen Abständen die meisten jüdischen Organisationen zu informellen Beratungen und zum Erfahrungsaustausch an einen Tisch.

Auf internationaler Ebene existiert an den drei UN-Sitzen in New York, Genf und Wien sowie am Sitz der UNESCO in Paris jeweils ein sogenanntes Koordinationsbüro aller bei den verschiedenen Unterorganisationen der UN mit Beobachterstatus vertretenen jüdischen Organisationen, der „Coordinating Board of Jewish Organizations“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung