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Jüngers Beispiel

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Das europäische Denken duldet keine dauerhafte Alleinherrschaft von geschlossenen Weltbildern. Sein Lebenselement ist die Bewegung, seine Methodik der Widerspruch. Ahnung antwortet auf Erkenntnis, Wissen repliziert auf Vision. Kaum hat die reine Metaphysik ihr imposantes Gebäude errichtet, nisten rastlose Denker im massiven Gefüge, es kommt zum Aufstand des Rationalismus. Die Herrschaft der Vernunft wird dann als neuer Aberglauben entlarvt und gebrochen: die Vitalität der Instinkte überwindet das Vertrauen in der Berechenbarkeit aller Dinge. ' Abseits des Gewohnten, jenseits des von aller Welt Anerkannten, liegt eine zweite Möglichkeit; der einsam wachende Geist des einzelnen geht seine eigenen Wege. Sie führen zu Standorten, die dem Zeitgeist widersprechen. Ein Beispiel für solches Wirken ist das Lebenswerk des deutschen Dichters Ernst Jünger. ,

Im Jahr seiner Geburt, 1895, waren jene Kräfte bereits am Werk, die hofften, dem Positivismus der vorangegangenen Jahrzehnte zum entscheidenden Durchbruch zu verhelfen. Ihr Vertrauen richtete sich auf das Materielle und auf die Wirkungsmöglichkeiten der Vernunft. Wenn die Welt bloß ein Nebeneinander verschiedener Stoffe war und wenn der Mensch auch in seinem seelischen Bereich analysiert und verändert werden konnte, dann war in der Tat alles machbar, und die Entstehung des „Neuen Staates” und des „Neuen Menschen” war nur eine Frage der richtigen Maßnahmen zur richtigen Zeit.

Der Zusammenbruch der Monarchien stellte solchen Denklaboratorien auch das notwendige Material zur Verfügung. Der von Ortega y Gasset beschriebene „Aufstand der Massen” suchte nach einem alles versprechenden Ziel. So kam zum Materialismus und Rationalismus als drittes tragendes Element das Kollektiv.

Ernst Jünger dachte in anderen Kategorien; er dachte an den herrschenden Leitideen vorbei und blieb auch vom deutschen Versuch unberührt, das Soziale mit dem Nationalen zu verbinden. Jünger ging, seinem eigenen Weltbild treu, durch die finsteren Jahre. „Die Freiheit trägt man in sich; ein guter Kopf verwirklicht sie in jedem Regime... Er geht nicht durch die Regimes, sie gehen durch ihn hindurch, hinterlassen kaum eine Spur. Er kann sie entbehren, sie ihn aber nicht”, notierte er 1983 in der Erzählung „Ala-dins Problem”.

Seine Einsamkeit schloß geistige Wahlverwandtschaften nicht aus. Ortega, Eugenio Montale,

Andre Gide, Nemeth, Jünger, bilden mit ihrem Werk keine gemeinsame Richtung, wohl aber eine gemeinsame Haltung. Der ungarische Denker Läszlo Nemeth nannte sie „die Revolution der Qualität”.

Sich dem Leben stellen: so lautet das erste Postulat. Das fordert Bereitschaft zur Willensfreiheit. Nur der Freie sieht die Gesellschaft und in ihr sich selbst unvoreingenommen, stellt sich Konflikten und durchsteht sie ohne Zuhüfenahme der im Augenblick vorherrschenden politischen Ideen, die das Handeln erleichtern, indem sie den Blick vernebeln.

Dieser moralischen Herausforderung entspricht Jüngers literarische Methode, zuerst das einzelne in den Verflechtungen seines eigenen Lebensbereiches zu betrachten und das Phänomen erst danach zu deuten. Bereits im ersten Buch des Fünfundzwanzigjährigen zeigt sich der ethische und zugleich ästhetische Wert dieser Vorgangsweise. „Im Stahlgewitter” (1920) ist der Titel des jugendlichen Werkes, in dem Erlebnisse des Ersten Weltkrieges beschrieben und in das Licht persönlicher Deutung gehoben werden. Kulturphilosophische, naturkundliche Betrachtungen folgten.

Auch Jüngers Romane und Erzählungen weisen in dieselbe Richtung. Sie fassen Wirklichkeit und untersuchen sie unvoreingenommen, das heißt: Zunächst ohne auf die hilfreiche Möglichkeit einer moralischen Deutung zurückzugreifen. Allmählich wird dann die Struktur sichtbar und in dieser der Zusammenhang mit größeren Bauelementen. Wo andere Autoren entweder im Äußerlichen verweilen oder eine simple Gerechtigkeit walten lassen, zeigt Jünger das Verhängnis am Werk. Das Tragische ist jedoch nur ein Aspekt des Seins. Auch im Leiden kommt eine innere Notwendigkeit zum Ausdruck — schon im nächsten Augenblick tritt aus der Erschütterung die Harmonie hervor. Jünger hat ihr in der Erzählung „Auf den Marmorklippen” (1939) eine auf die Hybris der Zeit antwortende sprachliche Form gegeben. Das beschriebene Stück Leben gewinnt auf diese Weise mythologische Bedeutung; der Fall wird zur Allegorie.

Die Dinge wie an der Grenze zwischen Naturgesetz und Mythos schwebend zu betrachten: so lautet die zweite Forderung. Europas Kulturgeschichte bildet eine einzige, die Wirklichkeit verdichtende, diese durchgeistigende Vision. In ihrer Ordnung, die wir nur ahnen können, findet alles eine ihm angemessene Geltung: die Insekten sind in ihrer stillen Wirksamkeit nicht weniger bedeutsam als die Bauherren gigantischer Monumente oder die Anführer politischer Bewegungen. Jünger formuliert es eindeutig:

Jüngers Ausgangspunkt ist die Antike, doch ist bei ihm das Wissen der Alten kein eingelagertes Bildungsgut, sondern fruchtbarer Nährboden: Sphäre des Anfangs. Die Historie, auch die Gegenwart, bildet reiche Verästelungen; in der Geschichte tritt das organische Wachsen eines unzerstörbaren Ganzen zutage. Goethes Universalismus findet bei Jünger eine neue Ausformung.

Die Vasallen des Zeitgeistes macht solche Haltung wütend. Auch Goethe wurde von ihnen einige Jahrzehnte hindurch beschimpft, weil er bereit war, Napoleon die Hand zu reichen. Jünger kennt die Natur solchen Fanatismus'. „Es ist leichter, sich aus dem Kerker eines Tyrannen zu befreien als von den Fesseln einer Idee”, ist im Buch „Autor und Autorschaft” zu lesen.

Jüngers Werk steht auch sprachlich im Gegensatz zur heute vorherrschenden Manier. Dem Geschwätz — ob es sich nun wissenschaftlich fundiert gibt, ob es der Schwärmerei oder dem Unsinn huldigt — begegnet Ernst Jünger durch die Knappheit seiner Satzgefüge. Ethos formt sich zur Syntax. Auch in diesem Fall verzichtet Jünger auf die sinnlose Konfrontation. Er denkt und formuliert an der Geistlosigkeit vorbei, ist mit der Substanz beschäftigt, kann und will mit dem Unnützen und Vergänglichen nicht hadern. Seine Sprachlichkeit erfüllt ihr eigenes Gesetz, und dieses entzieht sich nicht weniger der Diskussion wie die musikalische Sprache Johann Sebastian Bachs. Gerade dadurch bleibt die Wirkung des Werkes für lange Zeit gewahrt.

Indem Jünger die Ereignisse als Teile eines Ganzen beschreibt und ihre mythische Bedeutung darstellt, sind seine Aussagen nicht zeitgebunden. Alle Vorgänge sind auch historisch, alle finden ihre Fortsetzung in der Zeit, sie sind gegenwartsbezogen und in die Zukunft weisend. Jünger zögert nicht, die notwendigen Folgerungen zu ziehen.

„Wer heute noch über die Farben von Fahnen streitet, der sieht nicht, daß die Zeit der Fahnen vergangen ist. Die Händel an den Grenzen werden unlösbar, weil die Grenzen als solche den Sinn verlieren; sie werden unglaubwürdig, weil die Erde eine neue Haut gewinnt”, schrieb er vor zwanzig Jahren. „Die Erde wandelt sich aus den Vaterländern zur Heimat zurück. Matriarchalische Zeichen gewinnen an Macht.”

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