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Jugend anerkennt Werte, nicht Normen

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Ein Bischofssymposion unterscheidet sich von einer Bischofskonferenz erheblich. Hier werden keine Beschlüsse gefaßt, sondern größter Wert auf gegenseitige Begegnung und Information gelegt. Die Behandlung eines Generalthemas spielt eine relativ untergeordnete Rolle. So war es auch beim 4. Symposion der europäischen Bischöfe im Kongreßzentrum der Sale-sianer bei Rom. 170 Delegierte, unter ihnen rund 70 Bischöfe aus 24 Ländern und acht Vertreter der Jugend, diskutierten über das Generalthema „Jugend und Glaube“.

Gegen Ende dieses Symposions trafen sich zehn Bischöfe, eine Vertreterin der Jugend und ein Pastoraltheologe mit einigen Gästen zu einem Informationsgespräch. Nach Meinung des Pastoraltheologen, Prof. Paul Zulehner (Passau), muß die Situation der gegenwärtigen Jugend auf dem Hintergrund der Entwicklung seit Kriegsende gesehen werden.

Junge Menschen setzten stark auf Zukunft und versuchten, einen neuen Stil im gesellschaftlichen und privaten Leben zu entwickeln. Politisch orientierten sie sich stark an linken Ideologien. Zu Anfang der siebziger Jahre begann eine regelrechte Kulturkrise, die verschiedene Gründe hatte, zumal, als noch die Wirtschaftskrise hinzukam. Die Folge war der Kollaps der Fortschrittsidee, was alle gesellschaftlichen und politischen Gruppierungen, die zu stark auf Zukunft gesetzt hatten, unglaubwürdig erscheinen ließ.

Die gegenwärtige Situation junger Menschen in Gesellschaft und Kirche ist nach Meinung der Vorsitzenden des Bundes der deutschen katholischen Jugend, Maria Koppernagel, durch weniger starke Ablehnung der traditionellen Formen gesellschaftlichen, politischen und kirchlichen

Lebens gekennzeichnet, zeigt aber dennoch ein starkes Mißtrauen gegenüber der Welt der Erwachsenen.

Was die an der Kirche interessierten Jugendlichen betrifft, so ist ihnen nur eine Teilidentifikation möglich. Sie können sich zweifellos mit christlichen Werten, wie sie vor allem im Leben Jesu, aber auch in der kirchlichen Verkündigung ihren Ausdruck finden, identifizieren, so mit den Werten von Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit, Friede, einfachem Lebensstil und der Solidarität mit den Armen und gesellschaftlichen Randexistenzen. Schwer fällt der Jugend hingegen eine Identifikation mit kirchlichen Normen, vor allem mit dem Sonntagsgebot, der Sexualmoral und der Beichtpraxis.

Das ganze Problem der Teilidentifikation der Jugend mit der Kirche, insbesondere mit den kirchlichen Normen, spielte auf dem Symposion eine nicht geringe Rolle. Weihbischof Alois Wagner (Linz) meinte dazu, daß man stärker als bisher zwischen Richtlinien Jesu selbst und den „praktischen Normen“ der Kirche unterscheiden solle. Im Falle solcher, zum Teü zeitgebundener Richtlinien muß die Kirche immer neu kritisch fragen, ob die Gründe heute noch Geltung haben und in welcher Weise und in welcher Sprache sie diese Normen an die Gläubigen heranträgt.

Was die Richtlinien Jesu selbst betrifft, wie sie in die Heüige Schrift eingegangen sind, kann man keine Verkürzungen vornehmen. Sie gehören zum Kern der Offenbarung und tragen dazu bei, daß das menschliche Leben menschlicher wird. Sie werden heute vielfach nur als formales Gebot abgetan.

Im weiteren Verlauf des Gespräches machte Maria Koppernagel deutlich, daß hinter der kritischen Einstellung der Jugend zu kirchlichen Normen ein tief sitzendes Mißtrauen lauert, ob das, was die Amtskirche als Gebot Gottes und als Richtlinien Jesu ausgibt, tatsächlich - und in diesem Ausmaß - auf Gott, auf Christus zurückgehe.

Um das Problem der Teilidentifikation Jugendlicher mit der Kirche nach Möglichkeit zu lösen, müßten sich die Bischöfe ernstlich die Frage nach der richtigen Vermittlung von Geboten Gottes und Richtlinien Jesu in der kirchlichen Verkündigung, insbesondere in der Katechese, fragen. Für eine Jugend, die der Erzbi-schof von Marseille, Roger Etchega-ray, als „Erben ohne Erbe“, als „Aufbauer ohne Modelle“ und als „Reisende ohne Gepäck und ohne Fahrschein“ skizzierte, und die ein tiefes Mißtrauen gegenüber der vorausgegangenen Generation hegt, sei von entscheidender Bedeutung, ob sie lebendigen Zeugnissen des Glaubens begegne.

Ein Treffen mit Mutter Teresa von Calcutta kann sie weit mehr überzeugen als der beste theoretische Vortrag über Religion und Glaube. „Die Jugend findet heute dort zum Glauben, wo dieser in Gruppen und Gemeinschaften gelebt wird, in denen der Geist Jesu spürbar wirkt, und zwar in denen, die die Liebe Jesu praktizieren“, formulierte Bischof Hemmerle, Aachen, prägnant.

Von allen Teilnehmern des Symposions wurde festgestellt, daß in der gegenwärtigen Jugend Situation eine größere Bereitschaft zur Aufnahme religiöser Werte im allgemeinen, christücher Werte im besonderen zu beobachten ist. Die überraschend hohe Beteiligung katholischer Jugendlicher am Freiburger Katholikentag (1978), und jüngst erst der evangelischen Jugendlichen auf dem Evangelischen Kirchentag in Nürnberg, beweist dies ebenso wie die Beobachtung, daß Jesusfilme und -mu-sicals vorwiegend von Jugendlichen besucht werden.

Die Schwierigkeit mit der älteren Generation einerseits, das Aufbrechen religiösen Interesses anderseits veranlaßten den Weihbischof von Zagreb, Mijo &kvorc, auf die Wichtigkeit hinzuweisen, die Jugend zu ermutigen, in ihrem Milieu den Glauben zu vermitteln. „Junge Menschen selbst müssen die ersten Apostel der Jugendlichen werden“, erklärte er in einem vielbeachteten Grundsatzreferat, um neue Impulse einer kirchlichen Jugendpastoral zu geben.

Das Ergebnis dieses Symposions der europäischen Bischöfe liegt nach Meinung von Bischof Johann Weber, Graz, in einer zunehmenden Sensibilisierung der Bischöfe für die Probleme der Jugend. Jede Generation bringt neue Chancen, entwickelt neue Möglichkeiten, stellt aber auch neue Probleme. Dieses Symposion hat gezeigt, daß die Jugend weniger als Objekt der seelsorgerlichen Betreuung, sondern mehr als Teil der Kirche selbst zu sehen ist. Das Problem der Teilidentifikation stellt an die Bischöfe die Herausforderung, nach Lösungen zu suchen, die, so meinte Weber, in geduldiger Auseinandersetzung und gegenseitigem Aufeinanderhören zu finden sein werden.

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