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Jugend im Visier

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Junge Menschen verfügen über immer mehr Geld. Sie sind als Markt für die Wirtschaft interessant.Auch Europas Jugend wird in Zukunft stärker von der Werbung bearbeitet werden.

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Junge Menschen verfügen über immer mehr Geld. Sie sind als Markt für die Wirtschaft interessant.Auch Europas Jugend wird in Zukunft stärker von der Werbung bearbeitet werden.

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Lester Rand, ein New Yorker Untemehmensberater, beobachtet seit fast vier Jahrzehnten die Entwicklung des materiellen Wohlstandes von Teenagern. Seinen Feststellungen zufolge gab der durchschnittliche US-Jugendliche im Vorjahr rund 28.500 Schilling aus. Das ist etwa doppelt so viel wie vor zehn Jahren. Die Folge: Obwohl die Zahl der Teenager in der letzten Dekade abgenommen hat, sind die Gesamtausgaben dieser Gruppe von 410 Milliarden Schilling im Jahr 1978 auf rund 700 Milliarden im Vorjahr gestiegen. Dies entspricht in etwa dem Bruttonationalprodukt der Türkei.

Insgesamt ist der Einfluß der Teenager auf die US-Wirtschaft allerdings noch weitaus größer: 3175 Milliarden Schilling laut Schätzungen von Rand. Da sind unter anderem die 430 Milliarden, die berufstätige Mütter und Väter ihren Kindern zum Einkauf von Lebensmitteln in die Hand drücken.

Die Zahl der Jugendlichen über zwölf - sie liegt in den USA derzeit bei 42 Milhonen - wird bis mindestens 1995 steigen. Und dieser Ju-

gend zerrinnt das Geld nur so zwischen den Fingern. James McNeal, Professor für Marketing an der Texas A&MUniversität, schätzt, daß allein die vier- bis zwölfjährigen im Vorjahr 80 Milliarden Schilling für Spielzeug, Süßigkeiten oder Imbisse ausgegeben haben - gegenüber 54 Milliarden im Jahr 1984.

Dazu Selina Gruber, Leiterin von „Children’s Market Research“ in New York: „Die Eltern sind zunehmend in äußerhäuslichen Aktivitäten engagiert und haben deswegen ein schlechtes Gewissen. Daher reagieren sie viel nachgiebiger auf kindliche Forderungen.“

Unternehmen der Nahrungsmittelindustrie beobachten das • Jugendliche Marktverhalten mit besonderer Aufmerksamkeit. Rund 70 Prozent der Mütter von unter- 17jährigen sind außerhäuslich berufstätig. 80 Prozent der von Rand im Vorjahr interviewten Jugendlichen gaben daher auch an, daß sie in beachtlichem Maß in den Lebensmitteleinkauf der Familie eingespannt seien. Aber das Interesse der Marktbeobachter geht weit überdas

Verhalten der Jugend in der Lebensmittelabteilung der Supermärkte hinan«

Der Jugendmarkt ist deswegen so anziehend, weil da einerseits viel Geld vorhanden ist. Einen Jugendlichen an die Angel zu bekommen, um ihn daran zu halten, ebnet andererseits auch den Weg für zukünftiges Umsatzwachstum. Dazu Philip Fletcher, leitender Mitarbeiter eines US-Tiefkühlkost- herstellers: „Es geht ja nicht nur darum, heute die Kinder anzulocken, sondern sie in ihrem späteren Erwachsenendasein zu Verbrauchern unserer Produkte heranzuziehen.“ Eine kürzlich an 40.000 Studenten durchgeführte Untersuchung ergab, daß 62 Prozent von ihnen dieselbe Zahnpasta-Marke verwenden wie in ihrer Mittelschulzeit.

Darüber hinaus beginnt die bishergeübte Zurückhaltung der Werbewirtschaft, Kinder anzuvisieren, deutlich nachzulassen. „Whittle Communications“ hofft, im nächsten Herbst ihre neue, täglich erscheinende Zwölf-Minuten-Nachrichtensendung in 8000 Schulen unterzubringen. Diese Fernsehsendung beinhaltet Werbung für Produkte wie Shampoon und Rasierklingen.

„Seven up“, dessen Umsätze in den letzten Jahren stagniert hatten, durchbrach in den ersten Monaten des Vorjahres die bisherige Tradition der Erzeugernichtalkoholischer

Getränke, ihre Fernsehwerbung für Samstagvormittag und für die Stunden nach der Schule nicht direkt auf Kinder auszurichten. In ihren Werbespots belebte sich der rote Punkt auf der Limonaden-Dose der Firma und wurde zu einem pelzigen, bösartigen Geschöpf, das seine Bosheit konsequent an den Erwachsenen ausließ. Das Unternehmen bekam nur eine einzige Beschwerde. Die Folge war, daß die Jungen im Vorjahr um 20 Prozent mehr von dem Getränk hinuntergespült haben als 1987.

Schwerer werden es die US-Un- temehmen haben, wenn sie versuchen, an die Jugend im Ausland heranzukommen. Die europäischen Länder schränken die Möglichkeiten der Befragung von Kindern ein. Auch haben nur rund 15 Prozentder Jungen zwischen sechs und 17 Jahren ihren eigenen Fernseher, während dieser Anteil in den USA bei 40 Prozent hegt.

Der oben zitierte Professor McNeal vertrat die Ansicht, europäischen Eltern schauderte beim Gedanken daran, ihre Kinder könnten zu leidenschaftlichen Konsumenten erzogen werden: „Man hat dort eine Haltung in bezug auf Kinder, die bei uns für die fünfziger Jahre typisch war. US-Eltem räumen Kinder zwei bis drei Jahre früher Finanzhoheit ein.“

Bei den Teenagern ist die Sache anders, dank der universellen Sprache der Musik Videos. Dazu Tom Freston, Direktor von „MTV Network“: „In fast allen Ländern dreht sich die Jugendkultur um Musik, Mode und Spaß. Kinder sind zwar auf der Welt nicht alle gleich, aber sie ähneln einander sehr stark, mehr jedenfalls als in irgendeiner Generation bisher.“ Weltweit wandeln sich auf diese Weise Kinder rasch zu Konsumenten. Fixe Marktstrategen nützen diesen Trend-und beschleunigen ihn.

Auszug aus «Fortune vom 8. Mai 1989, aus dem Englischen von Christof Gas pari.

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