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Jugend ohne Toleranz

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Es war eine der Hoffnungen von Menschen, die das Reich des Mannes aus Braunau am Inn überlebt hatten, daß nach seinem Zusammenbruch zwar nicht eine neue Welt, ein neuer Mensch entstehen würde — dafür sprechen die Ruinen und die Not eine zu deutliche Sprache —, daß aber doch dies geschehen werde: nachdem man Bücher und Menschen verbrannt hatte, nachdem eine mörderische Intoleranz nicht nur die Straßen.Wiens mit ihrem Gebrüll erfüllt hatte, Toleranz einziehen würde: ein Ertragen, ein sehr waches, sehr bewußtes Ertragen des sehr anderen Nächsten.

Etwas von dieser Toleranz hatten in den Lagern österreichische Politiker erlernt, die sich wenige Tage vor ihrer Verhaftung noch als alte und erbitterte Gegner erlebt hatten. Diese praktische Toleranz bildete die Basis für das Aufbauwerk der Zweiten Republik Österreich. Es blieb, was heute betont werden muß, bei einer praktischen Toleranz, die sehr viel leisten konnte, in Zusammenarbeit.

i Es kam nicht - wie die bitterbösen innenpolitischen Auseinandersetzungen heute zeigen — zur Bildung einer durchdachten, in das eigene Weltbild, die eigene religiöse und politische Konfession integrierten Toleranz. Weder der österreichische Katholizismus noch der österreichische „Marxismus" und sein Erbe, der heutige Sozialismus, haben Toleranz geistig, ja auch philosophischideologisch durchdacht: als ein Strukturelement des im Fortschritt seiner Menschwerdung — behindert durch täglich möglichen Rückfall zu Bestialität — denkenden und handelnden Menschen.

Weder Schule noch Öffentlichkeit waren in Österreich die Schule einer Toleranz, durchdacht als eine Tugend, eine Tüchtigkeit, ein Wesenselement reifer, mündiger Menschen, die Verantwortung für den anders denkenden Menschen als integrierenden Teil ihrer Selbstverantwortung, ihrer Selbstbestimmung erlebten.

Analoge Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland führten dort zu jenen auf die Jugend auch bei uns faszinierend wirkenden Ausbrüchen gegen die „scheinheiligen" Väter, gegen ihre , .knochenweiche Toleranz", gegen die „permissiven" Eltern und ihr Nachgeben um jeden Preis, wobei diese Aggressionen und Aggressivitäten sich im Banne eines pseudomarxistischen Weltbildes einerseits im Straßenkampf, andererseits ideologisch zur Bildung einer Gesinnung des totalen Kampfes gegen „das System" radikalisierten.

„Das Systemquot;. Ich sehe die wütenden Augen meiner nationalsozialistischen studentischen Kollegen in den dreißiger Jahren vor mir: „Das System" war damals die Regierung, waren die bürgerlichen Verhältnisse, war der als abgewirtschaftet geltende Humanismus, der mit Judentum, Freimaurerei identifiziert wurde.

Nun sind heute die Ausbrüche — und auch die Aufbrüche, positiv gesehen - der sechziger Jahre vom Wind der Zeit verweht, wobei Funken unter der Asche, in der Asche in den letzten Jahren wieder aufflackern und neue Infektionsherde bilden. Intoleranz aber bleibt erhalten; sie wird, worauf ich hier den größten Nachdruck legen möchte, wiedergeboren gerade auch in „rechten", nicht nur rechtsradikalen Jugendlichen.

Es sind gerade in der Mittellage aus durchaus „konservativen" Familien stammende junge Menschen, die eine erschreckende Intoleranz ganz offen und stolz zur Schau tragen. Junge Hexenjäger, junge Inquisitoren: gerade auch im Katholizismus!

Nach der „Zeit ohne Gnadequot; (Rudolf Kalmar, Wien, nannte so sein Buch der Erinnerungen) sind wir in ein Zeitalter einer Jugend ohne Gnade geraten: borniert im Wortsinn, eng im Hirn, eng im Herzen, eng in der Weltsicht, fahren die jungen Menschen dieses Typs aus: im Panzer, im U-Boot ihrer engen Optik, die ein Weltbild produziert, das nur schwarz und weiß, schwarz und rot, dunkel und licht, so wie sie es sehen, kennt.

In diesem Sinne sind diese jungen Menschen Kinder ihrer Zeit in einem ganz massiven Sinne: sie haben gar kein Interesse daran, sich geistig, spirituell, politisch weiterzubilden. Die Komplexität nahezu aller weltpolitischen Bezüge interessiert sie ebenso wenig wie „der Mensch, das unbekannte Wesen", der homo demens und homo sapiens, Wahnsinnsträger und Vernunftträger (Edgar Mo-rin) in einem ist: immer vom Rückfall in Bestialität bedroht.

Was tun?

Unersetzlich ist dies: die Präsenz von Toleranz, großgeschrieben, durch die eigene Person, täglich. Nicht durch Sonntagsreden, nicht durch ein Auftreten bei Feierstunden, Gedenkstunden, sondern hier, heute, im Alltag. Wobei sichtbar, für junge Menschen sichtbar und existentiell verständlich zu machen ist, daß es hier nicht nur um praktische Toleranz geht, politisches kaltes Kalkül, sondern um Existenz: Existenz als ein Mensch, der das Verkommen von Demokratie, die tägliche Bedrohung konkreter Menschenfreiheit (für die Freiheit von Hunden und Katzen wird ja viel getan) nicht hinnimmt.

Toleranz ist eine kämpferische Tugend: sie ist nicht Watschen-mann-Figuration. Sie kämpft mit offenem Visier.

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