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„Jugendarbeit erfordert ein großes Herz"

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Samstag, 4. April 1992,18 Uhr: Das Lokalderby Rapid - Austria ist zu Ende. Das „Hier regiert der SCR"-Geschrei ist längst in ganz andere Parolen übergelaufen. „Aus-, Aus-, Ausländer raus!"' dröhnt der Sprechchor der rund 50 Mann starken Hooliganspartie durch die Kärntner Straße in der Wiener Innenstadt.

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Samstag, 4. April 1992,18 Uhr: Das Lokalderby Rapid - Austria ist zu Ende. Das „Hier regiert der SCR"-Geschrei ist längst in ganz andere Parolen übergelaufen. „Aus-, Aus-, Ausländer raus!"' dröhnt der Sprechchor der rund 50 Mann starken Hooliganspartie durch die Kärntner Straße in der Wiener Innenstadt.

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Einige haben sich ihre blauen Bi-kertücher schon vor den Mund gebunden. In der Annagasse prescht einer noch weiter aus der Menge. Er packt die „Beute", einen Araber, am Mantelkragen, reißt ihn zurück.

Plötzlich zieht ein zweiter „Hool" zu seinem „Gesinnungsgenossen" und dem geschockten Ausländer nach vorne. Hektisch zerrt er an der Bomberjacke und zeigt in Richtung Kärntner Straße: Hände weg von dem Passanten! - Jetzt hat der Hooligan kapiert. Polizei!

Doch es ist keine 100-Mann-starke Kompanie mit Schutzschildern, Visierhelmen und Schlagstöcken, sondern es sind schlichte zwei Kriminalbeamte in Zivil. „Ah - Herr Inspektor..." Kaum eine halbe Minute später zieht der Troß weiter in Richtung Stephansplatz. Der Ausländer ist zwar verwirrt, aber unbehelligt verschwunden.

„Die kennen uns alle", lächelt Richard Vrzal, Gruppenführer des „Jugendbandenreferats" der Wiener Staatspolizei, „und wissen, daß wir sie kennen. Wenn einer irgend jemandem auch nur einen Finger krümmt, kann er sicher sein, daß wir spätestens am nächsten Tag vor seiner Wohnungstür stehen."

Am 1. Oktober des Vorjahrs installierte der Wiener Polizeipräsident Günther Bögl eine sechs-Mann-star-ke Kriminalbeamten-Gruppe in der Abteilung I. Gedacht als „Probebetrieb" für ein Jahr. Aber schon bald mußte die Stammabteilung mit zwei zusätzlichen Beamten aushelfen. „Ich weiß nicht", rätselt Günther Bruckner, der dem Referat vorsteht, „war es Glück, war es Zufall oder Bedacht. Aber diese Partie hat sich innerhalb des halben Jahres, in dem es sie gibt, derart zusammengeschweißt, daß es direkt unheimlich ist. Die Leute motivieren sich, ergänzen sich. Ich glaube das Wort Demotivation kennen sie gar nicht."

Und Oberleutnant Josef Böck, Chef der Truppe: „Es ist in unserem Job, und ganz besonders hier, einfach unbedingt notwendig, daß sich einer auf den anderen verlassen kann. Ohne jede Einschränkung."

Sie sind Spezialisten: „Jugendarbeit erfordert ein großes Herz", weiß Richard Vrzal, selbst Vater zweier Kinder. Mit dem Wissen steigt die Arbeitsmenge. Bisher sind knapp 50 Jugendbanden im 4. Stock des Direktionsgebäudes registriert. Die Zahl der in Banden organisierten Jugendlichen Wiens wird auf rund zwei- bis dreitausend geschätzt.

„Zwei Kollegen befassen sich mit den Nazis unter den Jugendlichen", erklärt Vrzal, „einer davon ist auf die Skinheads angesetzt. Ein weiterer Kollege arbeitet über Hooligans aller Schattierungen. Und je zwei Beamte beschäftigen sich mit türkischen und jugoslawischen Gangs. Ein Beamter registriert alle Jugendbanden mit Spitznamen, typischem Aussehen, Revierverhalten und ihren Besonderheiten."

„Wir arbeiten nicht undercover und sind doch nicht in Uniform. Die Burschen sollen uns kennen. Zum Einschleusen sind wir allesamt zu alt", so Vrzal.

Bis Ende März hat das Jugendbandenreferat insgesamt 384 straffällig gewordene ausländische Bandenmitglieder und etwa dieselbe Zahl heimischer Rowdys erfaßt.

In der gleichen Zeit führten die acht Polizisten 451 Einvernahmen Jugendlicher und 189 Niederschriften mit Opfern durch. Die Anzeigen gegen unbekannte Skinheads, Hooligans und Ausländerbanden, nehmen mittlerweile ganze Aktenschränke in Beschlag.

Durch die intensive Arbeit an der „Front", mit den Jugendlichen selbst, wurden Raubüberfälle, Körperverletzungen, Diebstähle, Sachbeschädigungen und zuletzt Erpressungen geklärt, die in den überlasteten Kommissariaten zum Teil nur schwer fina-lisiert werden hätten können. „Selten beschränken sich Jugendbanden auf einen einzigen Bezirk", erklärt Richard Vrzal. „So etwas gehört wienweit durchgeführt." Tatsächlich gestanden Jugendliche im Jugendbandenreferat Straftaten, die schon bis zu zwei Jahre zurücklagen.

Das Resultat kann sich sehen lassen: 456 geklärte Fakten und 71 Festnahmen in sechs Monaten.

Daß eine Truppe notwendig ist, die sich mit der organisierten Jugend Wiens beschäftigt, darüber hegt niemand Zweifel.

Beim Blick in die Nachbarschaft, in Städte wie Frankfurt, Berlin, Hamburg oder Zürich, kann der Wiener getrost aufatmen. Vrzal: „Wir haben die Szene gerade noch im letzten Moment abgefangen."

Aus „Öffentliche Sicherheit", Juni 1992.

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