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Digital In Arbeit

Jugendprobleme: Berufswahl und Freizeitverhalten

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Die Einstellung zu Arbeit und Freizeit wird bereits in frühester Jugend, vor allem in der Famüie, geprägt. Was Kinder an Arbeits- und Freizeitverhalten nicht von den Eltern gelernt haben, ist später nur schwer aufzuholen. Die Schulen bieten auf diesem Gebiet nur wenig, die Berufsberatung verfügt auch bei größtem Emsatz nur über beschränkte Möglichkeiten und wird von Schule und Eltern gleichermaßen im Stich gelassen. Die österreichischen Jugendorganisationen erfassen zwar die relativ hohe Zahl von 30 Prozent der Jugendlichen, müssen aber immer mehr gegen die harte Konkurrenz der Freizeitindustrie kämpfen und erreichen in erster Linie wieder nur die Jugendlichen, die von den Eltern entsprechend motiviert sind.

Seit 1973 bietet die Abteüung des Unterrichtsministeriums für Jugendfragen im schulischen Bereich Bü-dungsberatung in Hauptschulen, AHS, berufsbüdenden mittleren und höheren Schulen, sowie an Lehranstalten für Frauenberufe an. Derzeit ist das Angebot freüich noch auf Schulen mit mindestens zehn Klassen beschränkt. Dort wird jeweüs einem Lehrer eine Stunde pro Woche für die Büdungsberatung angerechnet. Je nach Unterstützung durch den Direktor führt er die Beratung als freiwillige Information klassenweise nach dem Unterricht oder in Supplierstunden durch und wird dazu vom Ministerium mit einer Fülle an Material für alle Wei-terbüdungsmöglichkeiten ausgerüstet Der sogenannte Schülerberater erhält im Ministerium eine Ausbü-dung mit den Schwerpunkten: Informationsvermittlung, Eignungspsychologie, Testverfahren, Beratungstechnik, Pädagogische Psychologie. Er steht auch für Elternabende und individuelle Beratung zur Verfügung, aber das Interesse der Eltern ist minimal, während sich die Schüler in der sechsten und siebenten Klasse der AHS um ihr späteres Leben meist noch gar nicht kümmern und in der achten so mit der Matura beschäftigt sind, daß ihre Motivation, Berufsberatung anzunehmen, äußerst gering ist. Die größte Bereitschaft zeigen sie nach der Matura, und da sind die Möglichkeiten1 der Schule schon vorbei. Als Beispiel für das Desinteresse nennt Frau Min.-Rat Sonnleitner - im Unterrichtsministerium für Büdungsberatung zuständig - eine Erfahrung aus Innsbruck: Das dortige Arbeitsamt hatte Schüler und Eltern eines Ortes zu einer ganztägigen Beratung eingeladen und ihnen sogar die Fahrt bezahlt; drei Monate später erklärten Schüler wie Eltern, nie beraten worden zu sein.

Die Berufsberatung ist für die achten Schulstufen der Pflicht- und Sonderschule mit zwei Stunden pro Jahr, im Polytechnischen Lehrgang mit vier Stunden und zwei Exkursionen im Jahr und für die siebenten und achten AHS-Klassen mit Vortragsreihen außerhalb der Schule immerhin gesetzlich verankert. Auf Anforderung der Eltern ist etwa das Landesarbeitsamt Wien jederzeit bereit, Aufklärungsvorträge zu veranstalten. Im Vorjahr wurde dieses Angebot von nur 21 Pflichtschulen in ganz Wien angenommen. Der Besuch der (gemeinsam mit dem Stadtschulrat) angebotenen Vortragsreihen für Maturanten ist gering: zu 57 Einzervorträgen und vier Führungen kamen aus allen Wiener AHS im Durchschnitt 40 Schülerinnen und Schüler. Ein großer Erfolg war die berufskundliche Woche im WIFI, bei der über 90 Berufe vorgesteUt wurden.

Das Landesarbeitsamt Wien, das über 500 Pflichtschulen zu betreuen hat, führte im Vorjahr 24.900 Einzelgespräche durch und beriet 4607 Schüler der achten Schulstufe sowie 9563 der neunten und darüber. Für Maturanten gibt es eine eigene Beratung. Sie sind einerseits anspruchsvoller, anderseits haben sie oft noch weniger klare Vor-steUungen als die Fünfzehnjährigen. Stark ausgeprägt sind Vorurteüe gegen Facharbeit und gegen den Abbau geschlechtsspezifischer Berufsbüder,auch bei den Eltern. Solange Schulen und Eltern nicht die entsprechende Vorarbeit leisten, meint Frau Dr. Ols-zewsky, kann die beste Berufsberatung kaum echte Früchte tragen.

Die Hüflosigkeit, junge Menschen auf ihre Freizeit vorzubereiten, zeigt sich auch daran, daß als einzige Abteilung des Unterrichtsministeriums jene für Jugendfragen im außerschulischen Bereich noch nicht gesetzlich verankert ist, obwohl sie schon in der Nachkriegszeit geschaffen wurde. Die Aktivitäten der Abteüung, die sich mit allen Jugendfragen außerhalb der Schule, so sie nicht den Beruf, die Eltern oder soziale Fragen betreffen, befassen soll, enden, wie Mag. Steurer sagt, mangels rechüicher Möglichkeiten am Bürotisch. Seit langem ist ein Jugendförderungsgesetz im Gespräch; derzeit beschränkt sich die Tätigkeit auf die Finanzverteüung für die Jugendorganisationen und auf eine faUweise Projektförderung.

In den österreichischen Jugendorganisationen sind etwa 700.000 Kinder und Jugendliche organisiert, immerhin rund ein Drittel der Kinder und etwa ein Viertel der Jugendlichen. Das Landesjugendreferat für Niederösterreich stellt in einer Informationsbroschüre aüein 34 Jugendorganisationen vor. Es sind vor allem solche, deren Schwergewicht auf reinen Freizeitangeboten liegt, und jene im österreichischen Bundesjugendring, denen es in erster Linie um Bewußtseinsbüdung geht Das Wiener Landesjugendreferat versucht in Ferienklubs und Jugendzentren beides zu vereinen.

Im Bundesjugendring sind 17 Mitgliedsorganisationen mit insgesamt 30.000 Jugendgruppen vertreten. Ihr Angebot umfaßt den Schul- und Ausbüdungsbereich sowie Probleme der Arbeitswelt und die Freizeitgestaltung. Das Programm der größten Mitgliedsorganisationen, die auch eigene Zeitschriften herausgeben, ist klar umschrieben. Bei der Jungen ÖVP und der Sozialistischen Jugend stehen naturgemäß politische Themen im Vordergrund. Auch bei der österreichischen Gewerkschaftsjugend wird das reine Unterhaltungsprogramm mehr und mehr von Diskussionen und Schulungen verdrängt. Die Katholische Jugend verfolgt ihre Ziele auf Grund ihrer christlichen Grundsätze und läßt reine Unterhaltungsveranstaltungen ebenfalls eher nebenherlaufen. Weniger mit der Konkurrenz der Freizeitindustrie hat die österreichische Landjugend zu kämpfen. In kleinen Orten, wo auch der Trend zu konfessioneUen Jugendgruppen stärker ist als zu politischen, sind Jugendliche leichter zu erreichen und anzusprechen, ist die Motivation zu eigener Aktivität größer, funktionieren die, persönlichen Kontakte besser.

In einzelnen Jugendverbänden gibt es eigene Gruppen für Lehrlinge, die erheblich mehr Freizeitprobleme haben als Schüler, besitzen sie doch meist mehr Freizeit, weü, wie eine'nie-derösterreichische Untersuchung ergab, Eltern von Schülern auf das Freizeitverhalten ihrer Söhne und vor allem ihrer Töchter stärker einwirken. Musikhören und Sport stehen bei Schülern und Lehrlingen an der Spitze, dann zeigen sich große Unterschiede. Schüler lesen mehr, sind kontaktfreudiger und verbringen ihre Freizeit häufiger mit Freunden, Lehrlinge bevorzugen Fernsehen, gehen öfter ins Kino oder in Kaffee- und Gasthäuser.

Wie wichtig für junge Menschen Kontakte sind, zeigt eine oberösterreichische Studie: Für mehr als 80 Prozent ist das Zusammenkommen mit Freunden in einer Jugendorganisation besonders wichtig, während sachliche Erwägungen und das Vereinsziel fast ebenso vielen als unwichtig erscheinen. Das zeigt auch, wie schwer es für Jugendorganisationen ist, Büdungs-arbeit für eine breite Basis zu leisten.

Für Jugendliche, deren Eltern selbst eine bewußte und aktive EinsteUung zum Leben vermitteln können, sind Jugendorganisationen eine wertvolle Ergänzung ihrer persönlichen Entwicklung. Wo das unterbleibt finden junge Menschen weder den Weg zu solchen Organisationen noch sind sie imstande, einen ihnen entsprechenden Beruf auszuwählen oder ihre Freizeit sinnvoll zu gestalten.

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