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Jugoslawien zum Machtwechsel im Kreml

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Erstmals seit Tagen löste ein Auslandsthema die innenpolitischen Schlagzeilen in den Medien Jugoslawiens ab. Die Zeitungen vom Montag informierten in großen Aufmachern über den Sturz Gorbatschows. Neben sachlichen Informationen und Bildern über eine erhöhte Militärpräsenz in sowjetischen Städten wagte sich sogar ein Autor im Zagreber Massenblatt „Vecernij list" bereits zu der bangen Frage vor: „Wird der Machtwechsel in Moskau die jugoslawische Generalität ermutigen, noch stärker in der Innenpolitik mitzumischen?"

Die Politiker verhalten sich vorerst abwartend. Bis Redaktionsschluß äußerte sich nur der kroatische Parlamentspräsident Domljan auf einer Pressekonferenz zu den Entwicklungen in der UdSSR. Er kündigte eine Sondersitzung des gesamtjugoslawischen Parlaments an, die am Dienstag stattfand. Sollte dort keine einhellige Verurteilung der „unheilvollen Entwicklung" verabschiedet werden, so werde zumindest das kroatische Parlament seinen Protest äußern. Ob dahinter die Angst steht, daß der „serbische Block" die neuen Machthaber im Kreml als neue „Schutzmacht" für den Erhalt Jugoslawiens betrachten könnte, bleibt vorerst Spekulation.

Nicht Spekulation, sondern blutige Realität ist mittlerweile, daß immer größere Teile der jugoslawischen Bundesarmee von Bosnien her auf kroatisches Territorium vorstoßen. Die Kämpfe in der Gegen von Okucani flammten zu Wochenbeginn wieder auf: In Pakrac beschossen einander kroatische Nationalgardisten und serbische Freischärler vor der örtlichen Polizeistation, ebenso in Daru-var und in kleineren Dörfern der Umgebung.

Erstmals explodierten in der Nacht auf Montag zwei Sprengkörper in der kroatischen Hauptstadt Zagreb: auf dem jüdischen Friedhof Mirogoj und vor der Zagreber Kultusgemeinde. Während sich die jüdische Gemeinde noch abwartend verhält, beschuldigen sich bereits Serben und Kroaten gegenseitig, die Terroranschläge begangen zu haben. Auf einer Pressekonferenz in Zagreb erklärte der kroatische Innenminister, es gäbe Anzeichen, daß die Täter von „außerhalb Jugoslawiens" kämen. Es sei nur daran erinnert, daß der militante Serbenführer Vojislav Seselj bereits vor Wochen warnte, er werde in Zagreb Bomben legen lassen, um die „faschistische kroatische Führung in die Knie zu zwingen". Radio Belgrad war mit seinem Urteil ebenfalls vorschnell: „Kroatische Faschisten, die Ustaschas, scheuten sich anscheinden nicht mehr, auch Juden und nicht nur Serben zu bedrohen."

Diese Schuldzuweisung ist insoweit bedrohlich, da unweit von Okucani, dem Zentrum der derzeitigen Bürgerkriegskämpfe, das KZ Jaseno-vac liegt. Dort wurden vom kroatischen Ustascha-Regime während des Zweiten Weltkrieges Hunderttausende Serben, Juden und Roma-Zigeuner ermordet. Und mit dem Schlachtruf „Es darf kein zweites Jasenovac geben" ziehen seit Wochen serbische Tschetniks ins Feld und rechtfertigen ihre Übergriffe in Kroatien.

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