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Jugoslawiens Wirtschaft löst sich auf

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Die politische Krise in Jugoslawien, vor allem die immer wieder neu aufflammenden Unruhen, haben die systemimmanente Wirtschaftskrise, um deren Beilegung die Regierung unter Ministerpräsident Markovic seit Anfang 1990 bemüht war, dramatisch verschärft. Gegenwärtig befindet sich die Wirtschaft des Landes im freien Fall und löst sich dabei - nach Republiken - in Regionalwirtschaften auf.

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Die politische Krise in Jugoslawien, vor allem die immer wieder neu aufflammenden Unruhen, haben die systemimmanente Wirtschaftskrise, um deren Beilegung die Regierung unter Ministerpräsident Markovic seit Anfang 1990 bemüht war, dramatisch verschärft. Gegenwärtig befindet sich die Wirtschaft des Landes im freien Fall und löst sich dabei - nach Republiken - in Regionalwirtschaften auf.

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Ein gemeinsamer jugoslawischer Markt ist bereits seit mehreren Monaten nicht existent: Zölle werden von den einzelnen Republiken einbehalten, gesamtstaatlich verfügte Einfuhrbeschränkungen sind Makulatur, und Produkte der einzelnen Republiken werden in anderen boykottiert und/ oder mit „Strafabgaben" belegt. In einer der jüngsten Maßnahmen beschloß Anfang Juli die Nationalbank Belgrads, die Banken (und Nationalbanken der Republiken) aus dem gemeinsamen Geldmarkt auszuschließen, das heißt, ihnen keine Dinar-Noten oder Münzen zur Verfügung zu stellen und ihnen den Zugang zum Devisenmarkt zu verweigern.

Eine derartige Kampfmaßnahme führt - insbesondere bei kräftigem Preisanstieg (die Inflation erreichte in den ersten fünf Monaten 1991 rund 60 Prozent) - rasch zur Liquiditätsenge, wobei der Geldmangel die gesamte Produktion nachhaltig behindert. Sollte es bei dieser Maßnahme bleiben, so sind die betroffenen Republiken nolens volens angehalten, eigenes Geld in Umlauf zu bringen und damit die ökonomische Abspaltung endgültig zu vollziehen.

Aufgrund dieser Situation kommt es daher nicht unerwartet, daß die schwere Rezession, die 1990 durch einen Rückgang des BIPs um sechs Prozent sowie einer schrumpfenden Industrieproduktion um 10,5 Prozent gekennzeichnet war, 1991 verstärkt ihre Fortsetzung findet. In den ersten fünf Monaten ging die Industrieproduktion um rund 20 Prozent zurück, und es steht zu befürchten, daß sich dieser Rückgang im weiteren Verlauf des Jahres noch deutlich verstärkt.

Geld ist knapp, und so müssen die überschuldeten Betriebe versuchen, mittels „Gegengeschäfte" zu Vormaterialien zu kommen, die sie für ihre Produktion dringend benötigen. Viele Betriebe stehen aufgrund von Materialmangel zumindest zeitweise still. Doch selbst die Löhne können in vielen Fällen nicht mehr ausgezahlt werden. Schließen die Betriebe, so wird - vor allem im Süden - die Vision der Massenarbeitslosigkeit im Ausmaß von 40 bis 50 Prozent realer; für die Politiker eine bedrohliche Vision.

Existenz der Armee bedroht

Die Wirtsschaftskrise führt direkt zur individuellen Existenzkrise. Eine Krise, die die Armee mit besonderem Nachdruck trifft. Als Bundesinstitution ist der Sold ihrer Offiziere und Mannschaften direkt vom Bundesbudget abhängig; da jedoch einige Republiken die Zahjung für das Budget einstellten, war die Existenz dieser Armee unmittelbar bedroht.

Dies bildet den Hintergrund dafür, daß Serbien jüngst beschlossen hat, Dinar im Gegenwert von einer Millarde Dollar zur Finanzierung der Armee zu drucken. Damit hat die Armee wieder eine Quelle zur Finanzierung, ihr Weiterbestehen scheint somit bis auf weiteres gesichert. Es ist folglich nicht nur die Ideologie eines einheitlichen Jugoslawiens, die diese Armee verteidigt, sondern unmittelbar auch ihre eigene und die Existenz ihrer Offiziere...

Unter den Republiken ist vor allem Serbien materiell am Weiterbestand Jugoslawiens interessiert. So wurde zum Beispiel der Entwicklungsfonds für die „unterentwickelten" Regionen natürlich vorwiegend von den „entwickelten" nördlichen Nachbarn Kroatien und Slowenien aufgebracht, die zirka 50 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung Jugoslawiens erstellen. Weiters entfielen 1990 rund 85 Prozent der Tourismuseinnahmen (1990:2,75 Milliarden Dollar) auf die beiden nördlichen Republiken. Eine Abspaltung beeinträchtigt natürlich die weiteren „Entwicklungsmöglichkeiten" der südlichen Republiken.

Nicht nur in der Binnenwirtschaft, auch im Bereich der Außenwirtschaft steht das Land vor Trümmern. Neben den Einnahmeverlusten durch das Ausbleiben der Touristen (2,7 Milliarden Dollar) versiegen auch die Überweisungen der Gastarbeiter völlig, die 1990 nicht weniger als neun Milliarden Dollar dem Land überwiesen haben. Es bleiben aber nicht nur die Überweisungen aus; die Gastarbeiter versuchen, ihr im Westen hart erworbenes Geld aus dem jugoslawischen Bankensystem herausziehen. Dadurch rückt das Land jedoch der Zahlungsunfähigkeit rasch näher. Insgesamt dürften sich die Forderungen der Gastarbeiter an die Banken zur Zeit auf zehn Milliarden Dollar belaufen, ein Betrag, der im Land selbst nicht mehr aufgebracht werden kann. Durch die Maßnahme, nur kleinere Beträge pro Woche auszuzahlen, kann daher der Moment der leeren Kassen um wenige Wochen oder Monate hinausgeschoben werden, aufzuhalten ist der Prozeß jedoch nicht. Dies umso mehr, da auch für den Schuldendienst rund vier Milliarden Dollar pro anno bereitgestellt werden müssen, ein Betrag, der sich für die Auslandsverbindlichkeiten von insgesamt 21 Milliarden Dollar ergibt.

„Frisches Geld" hilft nicht

Die Lösung dieses wirtschaftlichen Dilemmas ist ohne politische Klärung nicht möglich, da das Subsystem Wirtschaft einen gesellschaftspolitischen Rahmen benötigt, indem das Vertrauen in die Institutionen wie zum Beispiel die Banken wieder gegeben ist. Lediglich „frisches Geld" in Form neuer Kredite an den Bundesstaat einzuräumen wäre insofern kontraproduktiv, käme es doch ebenso direkt der Armee zugute wie das nunmehr neu gedruckte Geld. Eine politische Lösung ist zur Zeit jedoch nicht in Sicht, sie benötigt zudem Zeit.

Bei allerSympathien für den Kampf um Freiheit und Demokratie sollte nicht übersehen werden, daß diese Auseinandersetzung vor allem aufgrund der wirtschaftlichen Stärke der nördlichen Republiken geführt werden kann. Dieser Kampf ist laut. Den leisen Kampf der zwei Millionen Kosovo-Albaner, die im Armenhaus Europas leben und heftigsten Repressionen ausgesetzt sind, den vernehmen wir hingegen höchstens marginal. (Sie haben ja nicht einmal das Geld, um sich zu bewaffnen.) Der Autor ist Ostexperte in der Creditanstalt-Bankverein in Wien.

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