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Juli us Raab und die Neutralitätspolitik
„Raab und die österreichische Neutralität“ entpuppte sich als ergiebiges Thema eines Symposions, zu dem das Vogelsang-In- stitut vor kurzem nach Wien eingeladen hatte. Die Veranstaltung war Teil der Feierlichkeiten, mit denen die ÖVP des 90. Geburtstages von Staatsvertragskanzler Julius Raab gedachte.
Im ersten Referat Versuchte Univ.-Prof. Gerald Stourzh aufzuzeigen, welchen Einfluß Bundeskanzler Raab auf die Staatsvertragsverhandlungen hatte. Stourzh: Es war Raab, der das Tauwetter zwischen den Großmächten ausnützte.
In der hochdramatischen Sitzung in Moskau am 13. April 1955 brachte der sowjetische Außenminister Molotow offiziell die Formel der „Neutralität nach Schweizer Muster“ auf den Verhandlungstisch.
Raab, Leiter der österreichischen Delegation, mußte schnell entscheiden — und das gegen viele Vorbehalte der mitanwesenden SPÖ- Politiker. Doch es kam zum Durchbruch, und Raab spielte dabei die entscheidende Rolle. Wichtige Faktoren waren dabei seine höf
liche Taktik gegenüber den Sowjets, seine Art des sachlichen und vertrauensbildenden Gesprächs.
In einem fundierten, spannenden Referat vollzog der Historiker Manfried Rauchensteiner vor dem geistigen Auge nach, wie die Idee der Neutralitätssicherung reifte.
Verwegen geradezu ließ man in einer Note die Welt und die Sowjets während der Ungarnkrise im Herbst 1956 wissen, daß man gewillt sei, die Grenzen bewaffnet zu verteidigen. Raab ließ an die Truppen den Schießbefehl ausgeben.
Man halte sich vor Augen: 2700 Mann des österreichischen Bundesheeres, darunter die kaum eine Woche in der Grundausbildung stehenden Wehrmänner des ersten eingezogenen Jahrganges, stellten sich 14 kampferprobten Divisionen der Roten Armee, die sich während des Aufstandes in Ungarn befanden.
Die brenzlige Lage erreichte ihren Höhepunkt in der Nacht vom 5. auf 6. November 1956, als nach wild kursierenden Gerüchten einer sowjetischen Intervention in Österreich die Einheiten an der Burgenländer
Grenze in höchste Alarmbereitschaft versetzt wurden. Die Gerüchte waren von der sowjetischen Propaganda in die Welt gesetzt worden.
Raab aber ließ sich in dieser Krise nicht beirren und führte so das neutrale Österreich durch die gefährlichste Phase seiner jungen Unabhängigkeit.
In zwei weiteren Referaten stellten der ehemalige Minister und Vizekanzler Fritz Bock und Botschafter Ludwig Steiner die Grundlagen von Raabs europäischer Integrations- und seiner Außenpolitik dar — Grundlagen, die Österreichs Wirken in der internationalen Staatengemeinschaft noch heute prägen.
Aktive Neutralitätspolitik - so Steiner - ist nicht etwa eine Erkenntnis der siebziger Jahre, sondern war schon ein wichtiger Bestandteil in Raabs Außenpolitik und ein Hauptpunkt in seinem politischen Testament. Und Steiner weiter: Der Baumeister aus St. Pölten war ein Mann, der eine wirkungsvolle Vertretung Österreichs im Ausland erreichte, „ohne in allen weltpolitischen Problemen herumzurudern“.
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