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Jung geraucht, früh verbraucht

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,J5er Staat vergreift sich an der Gesijndheit der Jugend. Er sieht ZU, wie die Heranwachsenden süchtig werden, und unterstützt den Gang ins Risiko auch noch.“ So beginnt im Aprü-Heft v©n .jmedizin i>opulär“ , dem Gesund-heitsjoumal der österreichischen Ärztekammer, ein Beitrag mit der aggressiven Uberschrift: „Weg mit dem Unfug!“

Gefordert wird die Abschaffung der Raucherzimmer, die noch an vielen höheren Schulen Österreichs bestdien, seit sie 1974

ein UnterrichtsminJster namens. Fred Sinowatz - wohl, wn bei der Jugend t^esch“ dazustehen - eingeführt hat

Zwei Medianer, Mid^ael Neumann, Facharzt für Lungen-joranWieiten und Präsident der österreichischen Ärztekammer, und Rudolf Leitgeb. der Leiter ihres Schulärztereferates, legten vprige Woche bei einem Karoi»-gespräch des Klubs der Büdungs-und Wissenschaftsjoumalisten in Wien harte Fakten zun» Thema Hauchen auf den Tis^.

1985 wurden in Österreich 70.627 Patienten nach Lungen- und Bronchialerkrankungen aus den -Krankenanstalten entlassen, zehn Jahre früher waren es erst 47.727 gewesen. Natürlich spielen bei diesem Anstieg um 48 Prozent such andere Faktoren als das Rauchen eine Holle, so etwa können auch verfeinerte Untersuchungsmethoden dazu beitragen, daß mehr Erkrankungen festgestellt werden - aber die Mediziner sind sich darüber einig, daß dem Nikotinkonsvun die Hauptschuld zufällt

Viele Baucher leben zwar vielleicht nicht viel kürzer, aber viel kränker - rnit schweren volkswirtschaftlichen Auswirkungen: Die Zahl der an Lungen- und Bronchialerkrankungen Verstorbenen stiegvon6154 (1975) auf 6228 (1985), also noch relativ unbedeutend« an.

Tödlich wirkt das Bauchen ja auch oft erst nach Jahrzehnten. So müssen laut Neumann sieben von zehn ,JCettenrauchem“ (40 bis 60 Zigaretten pro Tag über mehr als 20 Jahre) mit einem Lungenkarzinom rechnen. Leitgeb berichtete, daß von 200 ihm bekannten Patienten mit Lungenkrebs nur zehn nie geraucht hatten. Ein erhöhtes Risiko tragen auch „Passivraucher“ : Sie erkranken anderthalbmal so häufig an einem Lungenkarzinom wie Menschen in nikotinfreien Haushalten.

Hauptproblem der Raucher ist die Aufnahme des Lebenselixiers Sauerstoff. „Der Sauerstoffdurchtritt muß über eine Gewebs-barriere stattfinden“ , erklärte Experte Neumann, „beim Baucher ist dieser Durchtritt und das ist meßbar, dreifach- also um den Faktor drei gegenüber dem Nicht-raudier — erschwert“ Sauerstoffmangel aber bedeutet eine stärkere Belastung des Herz-Kreislauf-Systems.

Um so alarmierender ist es, daß heute bereits 35 Prozent der 16- bis 2Ujährigen Mädchen und 40 Pro-

„Hauptproblem cJer Bau-eher ist die Aufnahme des Lebenselixiers Sauerstoff“

zent der Curschen dieser Altersklasse regelmäßig rauchen, Untersuchungen in der DDR haben gezeigt daß gerade in diesem frühen Alter das Rauchen deutliche Spuren in den Atemwegen hinterläßt wodurch sich bei Untersuchungen Raucher und Nichtraucher, ohne daß der Arzt fragen muJS. leicht unterscheiden lassen. Zum Teil sind durch Rauchen aufgetretene Schädigungen absolut irreversibel und haben noch schwerwiegende Folgen, wenn sich der Betreffende die Sucht nach dem Giftstengel längst abgewöhnt hat

In Österreich verdient der Staat an den Bauchem gut allein an Steuer: 13,6 Milliarden Schilling. Düe Austria-Tabak-Wf^ke konnten 1986 ihren Umsatz steigern und rund 16.000 Tonnen Tabakwaren im Gesamtwert von 20,16 Milliarden Schilling verkaufen. Die Ärztekammer fordert nun noch einen Bisikoaufschlag auf Zigaretten (degressive Staffelung nach Nikotingehalt) und Regelungen, um am Arbeitsplatz Nidit-raucher von Rauchern zu trennen, vor allem aber die Abschaffung der Raucherzimmer in den Schulen. Die Vorarlberger Ärztekammer plädiert auch für eine totale Einstellung der Werbung der Austria-Tabak-Werke.

Im Ausland sind immer strengere Anti-Raucher-Maßnahmen an der Tagesordnung. Im Staat New York gilt ab 7. Mai - wie in nun insgesamt 41 der 51 US-Staaten- ein Rauchverbot in fast allen öffentlich zugänglichen Gebäuden inklusive Banken, Geschäften, Büros, Schulen und Spitälern. In 17 US-Staaten gibt es ein Bauchverbot am Arbeitsplatz. In der Bundesrepublik Deutschland überlegt man ein Verbot von Zigarettenautomaten und Verkauf sverbot von Tabakwaren an Jugendliche.

Ähnlich läuft der Hase in anderen Ländern. Österreich scheint mit seinen Baucherzimmem, dieser „Suchtbrutstätte“ (,4i:>edizin popiJdär“ ), relativ einsam dazustehen. Schweden hat sie als erstes Land eingeftibrt und wieder abgeschafft, dafür wurden die Tabaksteuern so erhöht, daß sie dem Fiskus immer weniger bringen - Signal dafür, daß tatsäch-üch weniger geraucht wird.

An den Schulen dem Bauchen den Kampf anzusagen, statt es durch eigene Räumlichkeiten zu fördern, wäre keineswegs repressiv, sondern schlicht und einlach verantwortungsvoll.

Daß es durch die Einrichtung der Reucherzünmer auch für sonst kaimj Nikotin-Gefährdete in zunehmendem Maß .4n“ wurde, sich im Kreise der Klassen-Schickeria einen Glimmstengel anzuzünden, läßt sich nicht wegdiskutieren. Die Schulbehörde ist aufgerufen, die ernste Mahnung der Mediziner zu beherzigen: Weg mit diesem Unfug!

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