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Jung und alt: harmonisch

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Was sich in den letzten Wochen bei zahlreichen Graduierungsfei-ern an Mittelschulen und Colleges in allen Teilen der Vereinigten Staaten abspielte, wäre noch vor einem Jahrzehnt unvorstellbar gewesen: Die Absolventen spendeten ihren Eltern spontanen Applaus.

Noch bis zum Ende der sechziger Jahre, als der Konflikt der Generationen in vollem Gange war, war das Absagen von Schulfeier-lichkeiten, also auch von Graduierungen an der Tagesordnung. Was signalisiert dieses veränderte Verhalten einer neuen Studentengeneration? Vollzieht sich in den USA ein grundlegender Wandel in den Beziehungen zwischen Eltern und Jugendlichen?

„Wir haben bei den befragten Studenten eine deutlich überwiegende Bejahung der traditionellen amerikanischen Werte festgestellt”, sagt James Shriver, Leiter der Gallup-Jugend-Umfrage in Princeton. Und er fügt hinzu: „Sechzig Prozent vertragen sich sehr gut mit ihren Eltern und 82 Prozent halten die Erziehung seitens ihrer Eltern für im großen und ganzen richtig.”

Auf die Frage, an wen sie sich wenden würden, wenn sie vor einer schweren Entscheidung, etwa Fortsetzung oder Nichtfortset-zung des Studiums, stünden, antworteten 77 Prozent, daß sie sich in einer solchen Situation mit ihren Eltern beraten würden. Nur 18 Prozent würden ihren besten Freund bzw. ihre beste Freundin zu Rate ziehen.

Im Rahmen dieser Gallup-Um-frage werden zweimal im Jahr eintausend Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren befragt. Da diese Umfrage erst seit fünf Jahren existiert, gibt es keine Vergleichsdaten aus den sechziger Jahren und aus der ersten Hälfte der siebziger Jahre. Damit ist auch eine fundamentale Änderung der Werte nicht beweisbar.

Aber nach Shrivers Auffassung untermauern die Ergebnisse der letzten fünf Jahre, daß die heutigen Teenager, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die meisten Ansichten ihrer Eltern teilen.

„Es gibt derzeit keine bedeutenden sozialen Spännungen zwischen Eltern und ihren Kindern, wie wir sie in der Zeit des Vietnamkrieges und der Einberufung zum Militär erlebt haben”, betont der New Yorker Psychologe My-ron Harris, der seit drei Jahrzehnten auf die Behandlung Jugendlicher spezialisiert ist. Harris ist einer der beiden Autoren des 1981 im Rawson Wade-Verlag erschienenen Buches „The Private Life of the American Teenager”.

„Das deutlichste Zeichen für einen Umschwung war für uns”, sagt Harris, „die Antwort auf unsere Frage, wovor die Befragten die größte Angst haben. Es ist nicht mehr wie früher die Angst vor einem Atomkrieg oder vor einem Gewaltverbrechen, sondern es ist die Angst, ihre Eltern zu verlieren.”

Es ist bezeichnend, daß nicht einmal jene Frage, die als das Gegenstück zum Vietnamproblem bezeichnet werden könnte, nämlich die Forderung nach einem Einfrieren der Atomwaffen, die Generationen trennt. Im Gegenteil: Das ist ein gemeinsames Anliegen von Eltern und Kindern.

„Ich möchte nichts beschönigen”, fährt Harris fort. „Viele Kinder leiden unter familiären Schwierigkeiten, sie fühlen sich entfremdet und isoliert. Die Selbstmordrate Jugendlicher ist im Steigen begriffen, und mehr Teenager als je zuvor verlassen ihr Elternhaus. Aber die Mehrheit der 13- bis 18jährigen bekennt sich zu den klassischen amerikanischen Werten.”

„Die veränderte Situation gegenüber den sechziger Jahren ist nicht zu übersehen.” Harris erüv nert sich: „Viele Jugendliche, die ich damals behandelte, hatten Streit mit ihren Eltern wegen ihrer langen Haare. Dazu kam die Ansicht, die Erwachsenen schik-ken sie in den Vietnamkrieg. Sie konnten sich des Gefühls nicht erwehren, daß die ältere Generation ihre Gutgläubigkeit ausnützte.”

Donald A. Bloch, Leiter des Ak-kerman Institute for Family The-rapy in New York, glaubt, daß die harmonische Beziehung zwischen Eltern und Kindern eine Folge der verschlechterten Wirtschaftslage und vor allem des drastisch gekürzten Stipendien- und Studien-kreditprogramms ist:

„Jetzt muß eine ganze Familiealle Anstrengungen machen, um ein Kind am College studieren lassen zu können. Dieser Schlag ist aber ein zweischneidiges Schwert, denn er ist unter Umständen geeignet, eine Familie derart zu belasten, daß sie bleibenden Schaden erleidet.”

„Das Spenden von Beifall für die Eltern anläßlich einer Maturafeier bringt das Zugehörigkeitsgefühl zum Ausdruck. Es soll sagen .Danke für alles, was Ihr für mich getan habt!' Das steht in diametralem Gegensatz zu dem, was sich in den sechziger Jahren in den Familien abgespielt hat.”

„Aber man muß das Alleinesein-Wollen genauso respektieren wie das Zugehörigkeitsgefühl und die familiäre Bindung”, erklärt Bloch.

„Es ist unmöglich, ein unabhängiger Erwachsener zu werden, wenn es einem nicht gelungen ist, mit dem Elternhaus ins reine zu kommen. Jeder Mensch muß durch die Phase familiärer Auseinandersetzungen hindurch. Ich pflege meinen jungen Patienten zu sagen: ,Sie müssen zwei fundamentale Aufgaben lösen, nämlich erstens lernen, Ihre Eltern zu verlassen und zweitens lernen, sie wieder zu finden.'”

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