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Jung und farbenfroh

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Liberale ' Wirtschaftskreise glauben herausgefunden zu haben, weshalb der Papst in seiner neuen Sozialenzyklika „Uber die soziale Frage“ den kapitalistischen und marxistischen Block auf die gleiche Stufe stellt: Der Schwerpunkt der Kirche hat sich in den Süden verlagert. Die Kirche ist Weltkirche geworden, und die Reisen des Papstes in die Dritte Welt haben diesen beeinflußt.

Persönlichkeiten aus den überseeischen Kirchen sind bei uns bekannt. Wer hat nicht von Kardinal Jaime Sin gehört, der vor zwei Jahren bei der Rosenkranzrevolution auf den Philippinen eine entscheidende Rolle gespielthat? Oder wer hat noch nicht von Kardinal Stephan Kim gehört, der in Seoul gegen Menschenrechtsverletzungen der Regierung protestiert?

Wer kennt nicht Kardinal Paulo Evaristo Arns oder Bischof Erwin Kräutler am Amazonas oder Kardinal Joseph Malula aus Zaire oder den Bürgerrechtskämpfer und • Friedensnobelpreisträger Erzbischof Desmond Tutu... ? Ubertreffen nicht Theologen wie die Brüder Leonardo und Clodo-vis Boff oder Gustavo Gutier-rez... europäische Theologen an Bekann theitsgrad?

Seit dem Konzil ist die Kirche „farbenfroh“ geworden. Das Gesicht der Kirche ist nicht mehr vorwiegend weiß, sondern schwarz, braun, gelb, rot... und diese Vielfalt spiegelt sich in Liturgien, die wie ein rauschendes Fest sind, und Theologien wider. Die Geschehnisse auf dem Konzil wurden noch durch die europäische Kirche bestimmt, unter den Konzilstheologen gab es keinen einzigen überseeischen Theologen als Berater (Peritus).

Die Entwicklung im Anschluß an das Konzil ging mit atemberaubendem Tempo vor sich. Manches fiel mit weltlichen Ereignissen zusammen, hatte aber dennoch das Konzil zum Anlaß: So etwa ging zur gleichen Zeit die Kolonialepoche zu Ende, und wie in den ehemaligen Kolonien einheimische Staatsmänner die Geschicke ihrer Völker in die Hand nahmen, so wurden auch einheimische Bischöfe mit der Leitung der Missionskirchen betraut. Paul VI. erhob diese Missionssprengel 1969 zu Diözesen. Damit war der letzte Schritt getan, um das unselige Nebeneinander von Mission und Kolonialismus zu beenden und um aus ausländischen Niederlassungen gleichrangige Ortskirchen zu machen.

Hand in Hand vollzog sich der innere Ausbau der jungen Ortskirchen. Und hier spielte die Aussage des Konzils von der Kirche als Volk Gottes die entscheidende Rolle. Die Gläubigen sind Volk Gottes am Ort. Doch in einem Punkt unterscheiden sich diese neuen Ortskirchen von anderen: Für diese Kirchen war nicht der Bischof allein verantwortlich, sondern auch die Christen — letzteres war notgedrungen eine Folge des Priestermangels. Schon auf den ersten Bischofssynoden nach dem Konzil machten die jungen Ortskirchen von sich reden. Die Massenmedien berichteten mit Verwunderung, wie engagiert und selbstbewußt die Bischöfe aus Ubersee die drängenden Fragen der Weltkirche diskutierten.

Der Ausdruck .junge Kirchen“ wird zur Bezeichnung der neuen Ortskirchen verwendet. Er kann allerdings mißverstanden werden, wenn „jung“ abwertend als unselbständig, unreif, unfertig, unmündig, jugendlich, puber-tär... verstanden wird. „Jung“ ist im großen und ganzen richtig, wenn es um das Gründungsdatum der Ortskirchen geht. Die Kirche Lateinamerikas wurde erst vor 500 Jahren gegründet. Die meisten afrikanischen Kirchen haben erst ihr lOOjähriges Bestehen gefeiert. Kaum 50 Jahre ist es her, daß die Kirche auf Neu-Guinea und in Ozeanien gegründet wurde. Zur Jugend gehören der Aufbruch und Elan, und daran lassen es diese Kirchen nicht fehlen.

Das Wort, jung“ hat noch einen anderen Sinn. In Asien sifcd zwei Drittel der Menschen unter 25 Jahre, auf den Philippinen ist jeder zweite Bewohner unter 18 Jahre. Eine vorwiegend junge Bevölkerung steht anders zum Leben und zur Zukunft als eine überalterte Bevölkerung. Darin mag eine der Wurzeln liegen, weshalb sich die Weltkirche mitunter so schwer tut, die Aufbrüche der jungen Kirchen verständnisvoll mitzuvollziehen.

Die Gemeinde vor Ort ist das Volk Gottes, ist Kirche im vollen Sinn. Das Verbindende ist die Gemeinschaft im Glauben. Dies gilt auch in der Beziehung zwischen Ortskirche und Weltkirche. So ist Weltkirche nicht schlechthin die Summe aller Ortskirchen, sondern die Gemeinschaft der Teilkirchen ist die Weltkirche.

Die Hauptgefahr in der Beziehung Ortskirche — Weltkirche betrifft demgemäß die Gemeinschaft zwischen den beiden Polen. Wir erleben im Augenblick, wie mit traditionell orientierten Gemeinschaften um Einheit gerungen wird. Umgekehrt hat es wiederholt den Anschein, als würde Ortskirchen durch Maßnahmen der Universalkirche der Eigenwert streitig gemacht. Spannungen und unterschiedliche Auffassungen zwischen Teilkirchen oder zwischen Teilkirchen und Universalkirche soll und wird es immer geben. Die Frage ist: Können solche Spannungen durch zentra-listische Maßnahmen beseitigt werden, oder entspricht es nicht mehr dem inneren Wesen und Verständnis von Kirche, sie in einem echten Dialog und in wirklicher Anwendung des Prinzips von Solidarität und Subsidiarität zu lösen?

Die Kirche als Weltkirche bedarf ohne Zweifel des Petrusdienstes als Dienst an der Einheit und Gemeinschaft. Petrusdienst und Ortskirchen sind als Partner aufeinander verwiesen, wenn auch der Grad der Verantwortung unterschiedlich ist. Je tiefer sich eine Ortskirche in ihre kulturelle Umwelt einsenkt, desto schwieriger mag sich die Kommunikation der Ortskirchen untereinander und mit der Universalkirche gestalten.

Theologen sprechen deshalb bereits von einer „innerkatholischen Ökumene“, die in Zukunft notwendig sein wird, um die Gemeinschaft unter den Ortskirchen und mit der Weltkirche aufrechtzuerhalten. Doch der Sendungsauftrag der Ortskirche, in die „Welt“ hineinzugehen, darf aus Sorge um die Einheit niemals in Frage gestellt werden.

Ortskirche ist nicht gleich Ortskirche. Es gibt eine indische Ortskirche, eine afrikanische, eine lateinamerikanische und europäische. Die Unterschiede des kulturellen und religiösen Hintergrunds von Ortskirchen sind so groß, wie die entsprechenden sozialen und religiösen Kulturen voneinander unterschieden sind.

Es ist auch zu beachten, in welchem sozialen Umfeld eine Ortskirche lebt. Generell können wir sagen, daß die jungen Kirchen in der Dritten Welt leben. Das Volk Gottes sind die Armen, Hungernden, Unterdrückten, Ausgebeuteten ... Die europäischen Kirchen leben in der industrialisierten Welt. Das Volk Gottes ist reich oder zumindest bürgerlich.

Arme und Reiche sind somit Glieder ein und derselben Kirche. Der Papst fordert in seiner neuen Sozialenzyklika, daß die Christen solidarisch zur Entwicklung der Welt beitragen sollen. Solidarität muß mit der Beseitigung der Ungleichheit innerhalb der Christen beginnen. Das Bewußtsein dafür ist innerhalb der Kirche noch lange nicht vorhanden. Eigentlich leben reiche und arme Kirchen in einer Spaltung. So versteht die Apostelgeschichte am Anfang der Kirche diesen Unterschied zwischen arm und reich.

Heute besteht zwischen den Kirchen kaum Konsens bezüglich der Weltprobleme. Dies ist auch der Grund, weshalb der Kampf einheimischer Ortskirchen um Menschenwürde, Menschenrechte und Befreiung von den reichen Kirchen nicht genügend unterstützt, nicht immer verstanden und oft sogar des Verfalls auf fremde Ideologien verdächtigt wird. Bedauerlicherweise bleibt die geforderte und notwendige Solidarität kleinen Gruppen überlassen. Der Papst fordert in der Enzyklika, daß als erster Schritt die Tatsache der gegenseitigen Abhängigkeit ins Bewußtsein gebracht wird. Es geht nicht um Spenden, nicht um karitative Werke, sondern um Solidarität als praktische Anwendung des christlichen Liebegebots.

Das Wort „Inkulturation“ erhält somit heute einen neuen Sinn: Einerseits besagt es, daß sich das Samenkorn des Evangeliums in den jeweiligen „Boden“ versenkt, andererseits meint es die Sorge um das konkrete Leben der Menschen. Was immer in Liturgie, Katechese, Lesung der Schrift, neuen Formen von Gemeinde (Basisgemeinden), Theologie ... geschieht, es geht um die Menschen, damit die Botschaft des Evangeliums befreiend wirken kann.

Inkulturation ist niemals abgeschlossen und beendet. Jede Kirche hat diese Aufgabe vor sich. Auch die Ortskirche in Österreich.

Der Papst besucht unsere Ortskirche. Werden die Medien, wie eingangs festgestellt, berichten können, daß dieser Besuch auf ihn eine Auswirkung hatte? Die beste Wirkung auf den Papst geht von einer lebendigen Ortskirche aus.

Unsere Ortskirche ist eine lebendige Kirche, wenn sich auch manches seit dem letzten Papstbesuch verändert hat. Manches, was damals in Österreich noch gut war, wurde inzwischen in ein schiefes Licht gesetzt. Umso mehr ist es angebracht, dem Papst ein realistisches Bild unserer Kirche zu zeigen.

Der Rat des Papstes, Solidarität zu üben, soll Ansporn und Ermutigung zu Gemeinschaft und Dialog miteinander sein.

Wenn sich eine Kirche auf die Probleme ihrer Zeit einläßt, dann braucht sie nicht nachzudenken, wie sie an die Menschen herankommt, dann kommen die Menschen von selbst zu ihr.

Der Autor ist Generalsekretär der Päpstlichen Missionswerke in Österreich und gehört dem Orden der Steyler Missionare an.

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