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Junge Demokratie mit vielen Fragezeichen in der Zukunft
Die Bilanz des Jahres 1977 ergibt in Spanien keinen eindeutigen Saldo. Aktiv ist er jedenfalls auf politischem Gebiet; negativ dagegen in wirtschaftlicher Hinsicht (mag es da auch einige Silberstreifen am Horizont geben) und negativ, was die soziale Unruhe anlangt.
Die Bilanz des Jahres 1977 ergibt in Spanien keinen eindeutigen Saldo. Aktiv ist er jedenfalls auf politischem Gebiet; negativ dagegen in wirtschaftlicher Hinsicht (mag es da auch einige Silberstreifen am Horizont geben) und negativ, was die soziale Unruhe anlangt.
Unbestritten bleibt der politische Fortschritt, den das Land seit den allgemeinen Wahlen vom 15. Juni genommen und mit denen es seine demokratische Reife bewiesen hat. Ministerpräsident Suärez, an der Spitze seiner doch recht heterogenen Union de Centro Democrätico (UCD) taktierte mit viel Geschick gegenüber der starken Oppostition des Partido Socia-lista (PSOE) und gegenüber dem immer noch gemäßigten und disziplinierten Vorgehen des Partido Comu-nista (PCE).
Kulminationspunkt der realistischen Politik des Ministerpräsidenten war der sogenannte Pakt von Moncloa, mit dem zwecks Überwindung der nicht unbeträchtlichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten die Zusammenarbeit sämtlicher Parteien sichergestellt wurde. In den letzten Tagen des Jahres 1977 wurde zudem der Entwurf einer neuen Verfassung veröffentlicht, der demnächst vom zuständigen Parlamentsausschuß beraten und von diesem, nach entsprechender Bearbeitung, dem Abgeordnetenhaus vorgelegt werden soll. Sieben Vertreter der fünf wichtigsten Parteien (UCD,PSOE, PCE, der konservativen AP und der katalanischen Autonomisten) sind die Väter des sehr zeitgemäßen und elastischen Entwurfs, der schon in seiner heutigen Form den Vergleich mit jedweder Verfassung des freien Westens aufnehmen kann.
Diskussionen gab es lediglich über jene Artikel, die sich mit der Religionsfreiheit befassen und die in ihrer ursprünglichen Formulierung das Kind insofern mit dem Bad ausgössen, als hier von der bisherigen Definition Spaniens als eines „katholischen Staates“ auf einen totalen Laizismus umgeschaltet werden sollte, was der soziologischen Situation im Lande keineswegs entsprochen hätte. Hier wurde bereits der goldene Mittelweg gefunden. Wenn es gelingt, das bisherige Tempo beizubehalten, so könnte die neue spanische Verfassung bereits im Sommer oder im Herbst 1978 zur Volksabstimmung gelangen. Dörnen-reicher als der Weg dorthin dürfte die Durchsetzung der einzelnen regionalen Autonomien werden. Nach langen Jahren des politischen und verwaltungsmäßigen Zentralismus, ist in Spanien eine Art von regionalistischer Euphorie ausgebrochen, doch fehlt nach Ansicht von Experten weitgehend - Katalonien und das Baskenland ausgenommen - die politische Reife, die Voraussetzung für einen umfassenden Förderalisierungsprozeß wäre.
Erfreulich ist demgegenüber, daß Spaniens außenpolitisches Prestige zusehends wächst. Es ist keine Übertreibung, wenn man als Spanier behauptet, daß die ganze Welt sowohl das Geschick der Regierung, als auch die Reife des Volks bewundert, mithilfe derer es gelungen ist, den Ubergang von der Diktatur zum freiheitlichen Rechtsstaat bruchlos zu bewältigen. Dr. Oreja, Minister für die auswärtigen Angelegenheiten, hat soeben den Eintritt Spaniens in die EWG für 1982 vorausgesagt. Als Alternative laufen übrigens Gespräche mit der immer noch fortbestehenden EFTA. Beides ist von um so wesentlicherer Bedeutung, als die Auswirkungen der allgemeinen Rezession im Lande nicht zu übersehen sind.
Das wirtschaftliche Wachstum des Jahres 1977 bewegt sich zwischen einem und zwei Prozent. Dazu kommt, daß die Masse der Arbeitnehmer, nach ihren Erfahrungen mit der obligatorischen Einheitsgewerkschaft unter der Diktatur, von Arbeitsdisziplin noch so gut wie keine Ahnung hat. Die neu entstandenen freien Gewerkschaften, die teils den Sozialisten, teils den Kommunisten und diversen linken Splittergruppen nahestehen, erfassen kaum 15 Prozent der Arbeitnehmerschaft. Man kann also nur hoffen, daß die bevorstehenden Gewerkschaftswahlen einige Klarheit schaffen.
Allmählich wirken sich ja immerhin auch das Sparprogramm der Regierung und die zwanzigprozentige Abwertung der Peseta im vergangenen Sommer günstig und beruhigend aus. Der Fremdenverkehr verzeichnet wieder Erfolge, die Handelsbilanz zeigt ein günstigeres Bild, die Nachricht von wahrscheinlich größeren Erdöllagern vor der katalanischen Küste gibt Anlaß zu optimistischen Prognosen.
Dennoch wird es notwendig sein, sich binnen kurzem mit der Frage eines tragfähigen Sozialpaktes zu befassen, um die ideologisch getrennten Gruppen der Bevölkerung miteinander ins Gespräch zu bringen. Trotz der großzügigen königlichen Amnestie vom vergangenen Oktober gibt es hier und dort immer noch Zeichen der Un-versöhnlichkeit und immer noch ist die überwiegende Mehrheit außerstande, mit dem weltanschaulichen Gegner einen Dialog zu führen, eigene Interessen unter Umständen zurückzustellen und im Dienste des allgemeinen Fortschritts Toleranz zu üben. Dem hartnäckigen Festhalten an Privilegien auf der einen, steht ein von Utopien und demokratischer Euphorie getragener Revanchismus auf der anderen Seite gegenüber. Beides stört den inneren Frieden und möglicherweise ist es überhaupt nur das Wissen um die Wirtschaftskrise, die etwas wie Zusammenhalt und Zusammenarbeit ermöglicht. Die recht ausgiebige Festesstimmung um die Weihnachtszeil und um den Jahreswechsel vermochten nur für kurze Zeit über die Fragezeichen und die vielen Unbekannten hinwegzutäuschen, die Spaniens unmittelbare Zukunft birgt.
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