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Junge Börsianer, alte Schnorrer

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Kommt der Crash an der Wiener Börse oder kommt er nicht? Diese bange Frage geistert seit gerau- mer Zeit durch die heimische Medienwelt. Andre Kostolany analysierte kürzlich in Wien, wo- von ein Crash wirklich abhängt.

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Kommt der Crash an der Wiener Börse oder kommt er nicht? Diese bange Frage geistert seit gerau- mer Zeit durch die heimische Medienwelt. Andre Kostolany analysierte kürzlich in Wien, wo- von ein Crash wirklich abhängt.

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Stellen Sie sich vor, ein Mann geht mit seinem Hund 1.000 Meter auf der Landstraße. Der Hund läuft vor, kommt zurück, läuft vor und so weiter. Beide kommen gleichzeitig an. Der Hund ist aber im Zick-zack-Kurs zehnmal mehr gelaufen als der Mann. Der Mann ist die Wirtschaft, der Hund ist die Börse. Die amerikanische Wirt- schaft zum Beispiel entwickelt sich seit ihrem Tiefpunkt 1933 ununter- brochen weiter und ist zu einem monströsen Imperium geworden. Aber in diesen Jahren war die Börse x-mal oben, x-mal gab es Krachs.

Die Börse ist unberechenbar, launenhaft. Sie entwickelt sich ju- stament nicht so, wie man es erwar- tet. Wäre sie eine einfach Sache, dann gäbe es keine Steinklopfer, keine Holzhacker mehr in der Welt, sondern nur Spekulanten.

Ich muß daher die Jugend vor der Vorstellung warnen, daß man an der Börse sein Leben verdienen kann. Man kann viel Geld machen, reich werden. Man kann aber auch viel verlieren und pleite gehen. Schon vor dem Ersten Weltkrieg gab es den Wiener Ausdruck: „Junger Börsianer, alter Schnor- rer". Das sagt alles. Vom Hin- und Herspielen kann man nicht leben. Man kann an der Börse spekulie- ren, aber nicht spielen. Der Speku- lant denkt, überlegt. Dann macht er sich eine Vorstellung von dem, was er eigentlich machen will. Der Spieler hingegen läuft den Tips, den Insiderinformationen nach. Er hört und liest jeden Tag etwas anderes und handelt danach. Die Alltagslo- gik ist aber nicht gültig für die Börse. Sie hat eine spezielle Logik, die man kennen muß.

Mittelfristig hängt die Börsen- tendenz von zwei Faktoren ab: Von den Zinsen und von der Psycholo- gie. Wenn beide positiv sind, dann steigt die Börse. Wenn sie negativ sind, fällt die Börse. Wenn der psy- chologische Faktor positiv ist, dann darf der Zinsfaktor etwas negativ sein und umgekehrt. Eigentlich muß man nur den Zinsfaktor verfolgen, denn der ist berechenbar. Der psy- chologische Faktor nicht. Man kann nicht voraussehen, wie die Investoren, Spieler und Spekulan- ten auf wirtschaftliche und politi- sche Nachrichten reagieren. Die psychologische Reaktion des Pu- blikums hängt nämlich von der sogenannten technischen Verfas- sung ab. Es kommt darauf an, in welchen Händen sich die Aktien befinden.

Ich teile daher die Börseteilneh- mer in die „Hartgesottenen" und in die „Zittrigen" ein. Das sind komi- sche Worte. Aber sie decken se- mantisch das ab, was ich sagen will. Hartgesotten ist der, der eigene Vor- stellungen hat. Der nicht der Mei- nung der Presse und nicht der all- gemeinen Stimmung nachläuft. Der glaubt auch an diese eigenen Vor- stellungen und Gedanken. Er hat Geduld, weil er weiß: An der Börse ist zwei mal zwei nicht vier, son- dern zwei mal zwei ist fünf minus eins. Die Entwicklung kommt schon so, wie sie kommen soll, aber nicht sofort. Man muß Geduld haben, bis dieses ominöse minus eins auch kommt. Dann geschieht alles so, wie man es logisch eigentlich vor- ausgesagt hätte.

Man braucht natürlich auch etwas Geld, um sich den Luxus zu erlauben, Aktien zu kaufen. Dieses Geld muß allerdings nur relativ genügend sein. Wenn zum Beispiel der kleine Sparer 70.000 Schilling Vermögen hat, davon für 50.000 Schilling Papiere kauft und den Rest auf dem Sparbuch läßt, dann hat er Geld. Was kann ihm passieren, wenn er Geld braucht und die Papiere gehen zurück? Er kann auf sein Bankkonto zurückgreifen. Wer 100 Millionen besitzt, aber für 200 Millionen Papiere kauft, der hat kein Geld, sondern nur einen Sal- do. 1987, beim großen Crash, sind viele solcher Saldi verschwunden. Der Wert der Depots war kleiner als die Schulden.

Schulden machen für Aktienkäu- fe ist also verboten. Das ist mein erstes Postulat. Man muß beim Kauf von Aktien schon damit rechnen, daß die Kurse auch wieder zurück- gehen können. Deshalb sage ich heute den Amerikanern und auch den Deutschen: Man muß jetzt auf seinem Wertpapierdepot einschla- fen und den Wecker auf 1993 stel- len. Dann wird man geweckt und sehr angenehme Überraschungen erleben. Man muß aber Geduld haben und ausharren. Eben war- ten, bis fünf minus eins ist.

Und nun zu meiner Börsenphilo- sophie: Dafür gehe ich zurück an die Wall Street am Beginn der acht- ziger Jahre. Präsident Reagan woll- te die Inflationspsychose abwür- gen und erhöhte die Zinsen auf 14, 15 und 16 Prozent. Daraufhin sind die Kurse gebröckelt, dann noch mehr gefallen, denn die Zittrigen haben langsam verkauft. Dann kamen die „Mischlinge" dazu, die zwischen den Zittrigen und den Hartgesottenen liegen, und haben auch verkauft. Dann kam die große Panik. Die Zittrigen haben alles ausverkauft, es wurden Riesenum- sätze gemacht. Wer hat gekauft? Die Hartgesottenen haben gekauft.

Danach kam eine kleine Pause an der Börse. Es wurden kleine Um- sätze gemacht, weil die Hartgesot- tenen unter sich spekulierten. Die Börse stieg daraufhin etwas in die Höhe, weil die Hartgesottenen ja Reserven hatten und dazukauften.

Jetzt kamen auch wieder die Mischlinge. Sie waren jetzt wieder etwas optimistischer aufgrund der positiven Nachrichten und kauften auch, weil sie sahen, daß die Börse wieder stieg. Dann kam die große Wende. Die Zittrigen, die beim Kursrückgang ausverkauft hatten, fingen wieder an zu zittern. Aber jetzt aus einem anderen Grund. Jetzt zitterten sie, daß die Börse steigen könnte, und sie sind nicht dabei. Also schnell hinein. Sie waren wie die Alkoholiker, die beim großen Katzenjammer schwören: „Nie mehr wieder ein Glas Wein". Und jetzt tranken sie ein bißchen, noch ein bißchen und zum Schluß waren sie so betrunken wie vorher. Nichts ist für einen von der Börse Ange- steckten schlimmer, als die Kurse steigen zu sehen und nicht dabei zu sein.

Die Papiere waren also alle bei den Zittrigen. Warum? Weil die Hartgesottenen verkauften und die Zittrigen kauften. Die hatten die Papiere, aber die Hartgesottenen das Geld.

Das ist das ganze Geheimnis der Börse. Alles hängte davon ab, bei wem die Papiere liegen. Wenn sie im großen Ausmaß in den Händen der Hartgesottenen sind, dann kann kein Crash kommen. Die Börse kann zwar zurückgehen, aber es kommt zu keinem Crash. Wenn die Papiere im großen Ausmaß in den Händen der Zittrigen sind, dann steht der Crash bei Kursrückgängen vor der Tür. Das gilt für alle Börsen in der Welt."

Wer sind diese Zittrigen? Es sind Waschfrauen, Professoren, Milch- mädchen. Zittrige sind Newcomer, Leute die noch nicht trainiert sind, nicht hart genug sind, um so eine Sache durchzuhalten. Zittrig kön- nen auch die Geldmananger der großen Institutionen sein. Die ha- ben zwar viel Geld zur Verfügung, verlassen sich aber auch nur auf In- siderinformationen und Wirt- schaftsnachrichten.

Meine Theorie, die übrigens ge- nau im Gegensatz zur Theorie der Broker, Makler und der Presse steht, lautet also: Wenn die Börse mit sehr großen Umsätzen fällt, dann ist das ein gutes Zeichen. Denn je größer die Umsätze ganz unten sind, um so mehr Papiere haben wieder gewech- selt. Desto mehr Papiere sind von den Händen der Zittrigen in die Hände der Hartgesotten gegangen. Und wenn in der Folge kleinere Umsätze kommen, ist es gut, dann sind die Papiere noch alle in den Händen der Hartgesottenen. Je größer die Umsätze, desto mehr Pa- piere tauschen Hände und kommen wieder von den Hartgesottenen zu den Zittrigen, die wieder einstei- gen. Man muß natürlich ein gewis- ses Training haben, vielleicht auch ein bißchen eingebildet sein, um wirklich hartgesotten zu werden.

Und wenn ich recht habe mit meinem Optimismus, dann geht die Welt einer wirtschaftlichen Eu- phorie entgegen, die die heutige Ge- neration noch nicht kennt. Dieses Jahrzehnt wird sicher ein Jahrzehnt der Aktie.

Auszug aus der redaktionell bearbeiteten Ton- bandfassung eines Referates, das Andre Kosto- lany am 2. Mai 1990 in der Österreichischen Postsparkasse in Wien gehalten hat.

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