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,,Junges Bayreuth“

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Unter der Schirmherrschaft von Jean Sibefius trafen sich im Sommer des Jahres 1950 etwa 200 junge Leute zum „Internationalen Musikstudententreffen“ in Bayreuth, im Dunstkreis Wagners und der Festspiele. Das war der von Herbert Barth initiierte Start eines Unternehmens, das an Ausmaß und Bedeutung ständig wuchs, sich verselbständigte und als Internationales Jugendfestspieltreffen heute nicht nur den zweiten großen Akzent der Wagnerstadt setzt, sondern die maßgebliche Begegnungsstätte des künstlerischen Nachwuchses aus Ost und West geworden ist. Dieses Jugendfestspieltreffen feierte jetzt das 25. Jubiläum, vereinigte 494 Teilnehmer aus 40 Ländern.

Für den Verlauf hatte man sich allerhand einfallen lassen: Neben den traditionellen Wagner-Seminaren in verschiedenen Sprachen, Kursen für Bläserkammermusik, Schlagzeug, Live-Elektro-nik, gab es eine Begegnung junger Autoren aus Afrika und Europa, ein zeitgenössisches Tanzforum, den von Erich Bergel betreuten Orchesterkurs (von dem noch zu reden sein wird) und ein informatives, wenn auch wenig ergiebiges Programm von zeitgenössischen Operneinaktern aus England, USA Schweden, Finnland, das die Uraufführung des Auftragswerkes „Der Ausbruch“ von JenslKounadis beschloß.

Nach den ausländischen Beispielen, die in Bayreuth zu sehen und zu hören waren, wäre das größte Vertrauen in den Schweden Lars Johan Werle zu setzen, dessen „Flower Power“, ein Laufund Singspiel, wie er es nennt, nicht nur die originelle Umsetzung eines Hippie-Textes ist, sondern vor allem unverkrampft und zwanglos mit dem Metier spielt.

Höhepunkt der Einakter-Suite sollte die Uraufführung des Jensund Kounadis-Stücks „Der Ausbruch“ werden. Heraus kam dabei lediglich eine respektable Realisation durch die Teilnehmer des Jugendfestspieltreffens. Das Werk ist der Sujet-Rückgriff des Tübinger Professors auf einen Roman-Essay. Dazu hatte Arghy-ris Kounadis mächtig aus dem eigenen Fundus und aus seiner kompositorischen Trickkiste geschöpft, weiter an seiner Masche gestrickt, was einem besonders aufstoßen mußte, wenn man der Heidelberger Uraufführung seines „Teiresias“ beigewohnt hat. Walter Jens haut seinen favorisierten Prügelknaben in die Pfanne: den deutschen Kleinstädter. Den Fachwerk-Faschisten, wie er sagt. Das Spießer-Rutenlaufen vollzieht sich dann auch in einer imaginären Kleinstadt, wo heile Welt herrscht, Blumenschmuckwettbewerbe gewonnen werden und die Bürger vertrauensvoll und zufrier den sind. Da bricht ein Raubmörder aus dem Gefängnis aus, und plötzlich gibt es Mord und Totschlag. Eine Bürgerwehr rekrutiert sich und knüppelt nieder, was sie schon lange niederknüppeln wollte (die Gastarbeiter vor allem), bis zum Schluß der entwichene Zuchthäusler tot aufgefunden wird: Er war nur zwanzig Meter weit gekommen. Auf sein Konto hatten die Biedermänner ihre Aggressionen entladen. Aber jetzt herrscht wieder Ordnung: Blumenschmuck, Vertrauen; der Bürgermeister wird wiedergewählt.

Die Jens-Kritik zu der Anarchie der Spieler wirkt zuweilen simpel und peinlich plakativ, ist für einen Rhetoriker recht unrhetorisch und erspart sich Motivationen, warum das alles so kommt. Kounadis hat es sich leicht gemacht. Im Grund hat er gar nicht komponiert, sondern arrangiert und col-lagiert zwischen Orffschem Klatschen, einem polyphonen Kyrie von Guilleaume de Machaut, Schlagsätzen, Songs und Banalem aus zweiter Hand. Bemerkenswert war lediglich das Teamwork der Einstudierung. Paul Vasil führte vitale Regie, die mit Phantasie in Eigenarbeit hergestellte Szene konnte sich sehen lassen, der Chor war von Wolfgang Schubert präzis studiert Souverän leitete der im Umgang mit modernen Partituren erfahrene Wolfgang Gayler (Nürnberg) die Aufführung und hatte eine Garde vorzüglicher Musiker zur Hand. Sängerisch dominierte die Essener Stimm-Artistin Geske Hof-Hellmers in den Partien der Prinzipalin, Barsängerin und alten Frau. Am Schluß gab's auch Protest, und das Tandem Jens/Kounadis ließ sich gar nicht erst blicken.

Schon im letzten Jahr hatte Erich Bergel, der Leiter des Orchesterkurses, aufhorchen lassen. Der Eindruck verstärkte sich. Es haben in den vergangenen Jahren Pierre Boulez und Hans Zender das Orchester des Jugendfestspieltreffens betreut und ausgezeichnete Resultate erzielt, aber Bergel blieb es vorbehalten, dies zu überbieten und das Niveau auch höherzuschrauben. Im Orchester selbst dominiert der hohe Standard junger Ostblock-Musiker. Den gewaltigen Streicherapparat von 18 ersten und 16 zweiten Violinen bei voller Besetzung stellen fast ausnahmslos Polen, Rumänen, Ungarn und Bulgaren, die in Gruppen und bereits vorstudiert anreisen.

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