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Justizirrtümer immer möglich

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Neben Antisemitismus, Fremdenhaß und Intoleranz ist die Beibehaltung der Todesstrafe oder gar, wie in mehreren US-Bundesstaaten, die Wiedereinführung Zeichen dafür, wie es um die Humanität einer Gesellschaft steht. Während den anderen drei Phänomenen mit Vernunftgründen kaum beizukommen ist, kann gegen die Todesstrafe ein gewichtiger vorgebracht werden.

Das schwerwiegendste Argument gegen die Todesstrafe: Kein Gericht kann einen Hingerichteten wieder lebendig machen. Fürsprecher der Todesstrafe berufen sich auf die zu fordernde „absolute Gewißheit" hinsichtlich des Tatbestandes. Dies ist Resultat einer weitverbreiteten Ahnungslosigkeit, was das Irrtumsrisiko der Justiz betrifft. Wo immer die Todesstrafe vollstreckt wurde, fielen ihr Unschuldige zum Opfer.

Kaiserliches Todesurteil

Das Geständnis gilt als Krone der Beweise. Als Kaiser Franz Joseph die Unterschrift unter das Todesurteil im Fall Bratuscha, der zugegeben hatte, er habe aus Not seine Tochter getötet und aufgegessen, verweigerte, fand die „unbegreifliche Milde des Monarchen" wenig Verständnis. Bratuschas Geisteskrankheit wurde erst Jahre später erkannt, nachdem die verschwundene Tochter wieder aufgetaucht war.

Dem in den fünfziger Jahren in London hingerichteten Timothy Evans (er hatte sich vor Gericht ständig widersprochen und schließlich' den Mord an seiner Frau zugegeben) nützte es nichts, daß der Hauptbelastungszeuge und tatsächliche Mörder, der Expolizist Christie, dann auch gehenkt wurde.

Höchstes Ansehen nach dem Geständnis genießt der Augenzeugenbeweis. In London saß Laszlö Viräg die Hälfte seiner zehn Jahre wegen Polizistenverwundung ab, dann wurde der Täter gefaßt. Wäre der Polizist tot gewesen, wäre Viräg vermutlich hingerichtet worden. Acht Augenzeugen, darunter drei Polizisten, hatten ihn zweifelsfrei „wiedererkannt". Den „Tankstellenmörder" von Illinois sogar zwölf. Auch er war unschuldig.

Justizirrtümer entstehen durch viele Faktoren: Erfolgsdruck, Vorurteile, Ehrgeiz, gefällige Sachverständige, Faulheit, Fehler der Verteidigung... Nach der Rehabilitierung des in den zwanziger Jahren in Mecklenburg-Strelitz hingerichteten Landarbeiters Josef Jakubowski stellte sich heraus, daß das Gericht sogar das Gestammel eines schwachsinnigen Knaben als belastende Aussage gewertet hatte.

Man kann Justizirrtümer eindämmen, nie absolut verhindern. Gegen den Justizmord gibt es nur ein Mittel: Den Verzicht auf die Todesstrafe.

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