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Kämpfer für eine „Kirche in der Welt"

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Eine große Ausstellung über Josef II. in einem österreichischen Stift? Melk als Ort für eine repräsentative Schau über das Leben des „Glaubensfegers"? Man könnte eine tiefere Bedeutung in die Tatsache hineininterpretieren, daß gerade ein Kloster heute, 1980, dem Klosteraufheber Heimstatt bietet. Oder ist es vielleicht auch so, daß Josef II. in unserer Zeit anders, neu gesehen wird, als dies noch vor wenigen Jahrzehnten der Fall war?

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Eine große Ausstellung über Josef II. in einem österreichischen Stift? Melk als Ort für eine repräsentative Schau über das Leben des „Glaubensfegers"? Man könnte eine tiefere Bedeutung in die Tatsache hineininterpretieren, daß gerade ein Kloster heute, 1980, dem Klosteraufheber Heimstatt bietet. Oder ist es vielleicht auch so, daß Josef II. in unserer Zeit anders, neu gesehen wird, als dies noch vor wenigen Jahrzehnten der Fall war?

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Josefs „Image" hat auf Grund seiner revolutionären Umgestaltungsversuche der österreichischen Erbländer nach seinem Tod im Jahr 1790 eine sehr unterschiedliche Beurteilung gefunden. Das Regime Kaiser Franz' I. hat im Josefinismus eine Art österreichischen Jakobinismus gesehen; Metternich und Gentz hielten es daher aus Gründen der Staatsräson für notwendig, einen demonstrativen Gegensatz auch zu Josefs Kirchenreformen zu bilden. Kaiser Franz hat selbst die letzten noch auf Josef zurückzuführenden Reformen mit seinem Testament auszulöschen versucht.

Seinem Sohn Ferdinand (der nicht den Beinamen „der Gütige", sondern „der Unfähige" verdienen würde), schrieb Kaiser Franz am 28. Februar 1835: „Da ich als treu ergebener Sohn meiner Mutter der katholischen Kirche zu leben und zu sterben entschlossen bin, so gewärtige ich ... die Erfüllung meines Wunsches, daß das von mir angefangene Werk der Berichtigung und Modifikation jener Gesetze, Grundsätze und Behandlung der kirchlichen Angelegenheiten, welche seit dem Jahre 1780 ... eingeführet worden sind ... von Dir ehemöglichst auf eine den yafpr befriedigende Art zu Ende gefuhret werden möge."

Anders die Revolutionäre des Jahres 1848. Sie legten, kaum daß der erste Protestmarsch vom Niederösterreichischen Landhaus durch die Herrengasse zur Hofburg führte, schon Blumen und Kränze am Denkmal Kaiser Josefs nieder. Josef war der Heros der Barrikadenhelden, sein Denkmal die Wallfahrtsstätte der Liberalen, die dem erzernen Reiter eine Fahne mit der Aufschrift „Preßfreiheit" in die Hand gedrückt hatten.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigten sich bald in der Beurteilung Josefs die weltanschaulichen Gegensätze der Zeit: Für die katholischen Historiker und die christlich-sozialen Reformer war Josef II. ein glaubensferner, ja nihilistischer Zerstörer, ein Feind der Kirche und Vordenker der liberalen Antiklerikalen.

Für die Liberalen des 19. Jahrhunderts, die bekanntlich mit dem Zylinder auf dem Kopf im Stephansdom provozierten, war Josef II. ein Beispiel für die Verbindung habs-burgischer Staatsbejahung mit konfessionellem Zynismus. Sie setzten dort an, wo sie glaubten, daß Josef endete; bei der Erklärung der Religion zur „Privatsache", bei der Verdrängung der Kirche aus der Öffentlichkeit.

Aber auch noch im 20. Jahrhundert schieden sich die Geister in der Beurteilung der historischen „Funktion" Josefs. Der auf Ferdinand Maass zurückgehenden kritischen Distanz konservativer und katholischer Kreise zum Reformkaiser stand eine erstaunliche, ja groteske Usurpation des Schöpfers des Toleranzedikts durch die Nationalsozialisten gegenüber. 1943 glaubte der NS-Historiker Viktor Bibl, Josef II. zum -%o der Untertitel seiner Biographie - „Vorkämpfer der großdeutschen Idee" machen xu müssen.

In Österreich hat sich nach 1945 das herausgebildet, was in seinen Ursprüngen bis auf Josef II. zurückgeht: der Sozialstaat mit einer stark auf die Staatsintervention abgestellten Organisation des Wirtschaftslebens. Für Josef II. war ja die Aufklärung „von oben" als Maxime aktuell: der Staat sollte weite Bereiche des gesellschaftlichen und öffentlichen Lebens gesetzlich regeln und für soziale Großgruppen Fürsorge und Vorsorge einrichten.

Josefs Regelungen im Bereich des Waisen- und Armenrechtes machten nur den Anfang; er hielt das Spitalswesen und auch gewisse Fragen der gesundheitlichen Vorsorge für unumgänglich. Weitgehend unbekannt sind etwa Josefs Maßnahmen gegen Kinderarbeit.

Der entscheidende und wesentliche Unterschied des heutigen Sozialstaatskonzepts gegenüber dem von „Josef beschrittenen Weg war freilich der, daß Josef die Kirche mit den Aufgaben des Sozialen betraute. Die Kirche sollte in seinem Staat die Trägerin einer neu übernommenen Verpflichtung „für das Diesseits" sein; und ebenso auch BildCmgsfunktio-nen ausüben, die Josef der Kirche nicht nur nicht nehmen wollte, sondern ihr geradezu aufdrängte.

Verfolgt man die bis zur Polemik gesteigerte Gegnerschaft vieler kirchlicher Vertreter - allen voran dsiWäönexKardinals Migazfci - gegen Josef, so erstaunt der Umstand, daß die Kirche aber gerade diese sozialen und Bildungsaufgaben nicht haben wollte und sich gegen jede zusätzliche Verpflichtung sträubte.

Das Ideal des josefinischen Weltpriesters, der ganz und gar in der Seelsorge und in der Fürsorge aufging, war damals durchaus neu. Das Bild vieler Kleriker schwankte noch zwischen gesellschaftlichen Funktionen, die sie im Gefüge des Feudalsystems ausübten und dem mittelalterlichen Ideal der Kontemplation. Geistliche „Staatsbeamte" mit fixer Besoldung wollten nur wenige Priester der Zeit Josefs werden ...

Heute hat sich freilich das Priesterbild gewandelt; gewandelt hat sich auch die Funktion der Kirche in der Gesellschaft - und seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist auch das Selbstverständnis der Kirche in der Welt neu formuliert worden.

Heute stehen Seelsorge und Fürsorge an erster Stelle der priesterlichen Aufgaben; und die Kirche hat sich selbst die Verpflichtung für die Mitgestaltung der Welt auferlegt. Und heute kämpft die Kirche in Österreich darum, aus den ihr noch verbliebenen Bereichen des Schul-und Gesundheitswesens nicht vollends vertrieben zu werden.

Die Trennung von Kirche und Staat, wie sie für die heutigen sozialistischen Staatstheorien typisch ist, war nicht Josefs Ideal. Ganz im Gegenteil wollte er die Kirche im Staat voll integrieren. Und für die Mitwirkung der Kirche in der Gesellschaft kann Josef, wenn man will, heute geradezu als Kronzeuge herangezogen werden.

Man hat Josef II. von kirchlicher Seite viel Ungerechtigkeit widerfahren lassen. Man titulierte ihn als Ungläubigen, ja als Antichristen, als Freigeist und Nihilisten. 1785 erschien etwa eine Schrift mit dem Titel: „Beweise, daß Josef II. ein Protestant ist".

'Josef II. ist bis zu seinem Tod ein gläubiger Mensch gewesen. Er lehnte es nur ab, sich - wie dies Maria Theresia tat - auch zum religiösen Vormund und Ausstellungsobjekt des Volkes machen zu lassen. So nahm er an Wallfahrten und Zeremonien nur selten teil. Und seine Abneigung gegen das religiöse „Spektakel" kulminierte in seinen Vorschriften über die Einschränkung der in Österreich damals ja auch ins Ubermaß angewachsenen Heiligenverehrung, der Lokalkulte und des barocken Brauchtums.

So hat Josef die Rückkehr der Kirche zur Spiritualität, zur Einfachheit des Kults, zur Reform des Gottesdienstes um 200 Jahre vorweggenommen.

Von allen Reformen Josefs II. war und ist freilich die Klösteraufhebüng bis heute mit den heftigsten Kontroversen verbunden. Sie verdunkelt auch mit Recht das Bild Josefs bis in unsere Tage. Was geschah, kann heute wohl als eine Art unbeschreiblicher Denkmalbarbarei angeprangert werden. Unzählige Werte und Schätze gingen verloren.

Die Verringerung der Zahl der Klöster war allerdings mit einem gewissen Gesundungsprozeß der Kirche verbunden, wenn Art und Weise auch fragwürdig waren. Für Josef ging es aber nicht darum, die Klöster ersatzlos zu tilgen - sondern er wollte das Vermögen der Klöster „zum besten der Religion und des Nächsten" verwenden.

Alles zielte nämlich konsequent darauf ab, Seelsorge und Fürsorge zu , stärken und sie zu den alles tragenden Pfeilern des kirchlichen Lebens zu machen. Die Unterschiede zwischen Welt- und Ordenspriestern sollten nach den Vorstellungen des Monarchen weitgehend beseitigt werden; der Dienst in der Seelsorge sollte mit-dem sozialen Dienst Hand in Hand gehen.

Die Zähl de jögefinlsche Pfarr gründungen beläuft sich allein in Niederösterreich auf 255, in Ober-" Österreich auf 121, in den Steiermark auf 180, in Kärnten auf 83. Das Verhältnis der aufgehobSnen Klöster zu den. neu errichteten Pfarreien war 1:4.

Hunderte Kirchen und Pfarrhäuser wurden gebaut und Tausende Ordenspriester fügten sich klaglos in das neue Leben und in die neuen Aufgaben ein; aus dem bunten Kosmos der vielen Orden und Stifte wurde ein geordnetes Netz pfarrlicher und diözesaner Strukturen bis auf den heutigen Tag.

Josefs strenge Auffassung vom seelsorglichen Primat der Kirche charakterisiert aber auch seine Verfügung, daß in allen Schulen zweimal wöchentlich Religionsunterricht zu halten sei; in einer Anweisung für das Predigtamt erläuterte er den Priestern, wie sie möglichst wirkungsvoll die Glaubenswahrheiten verkünden könnten, „wie sie zur Pflanzung und Wirkung der Tugenden und zur Besserung der Herzen" zu reden hätten; wie sie in der Predigt die Form eines „freundlichen Gesprächs" wänlen sollten usw. usw.

Und weil das Wort Gottes dennoch nicht alle Gläubigen erreichte, verordnete Josef (in der Gottesdienstordnung vom Jahre 1785 für Niederösterreich): „Erwachsene Leute; wenn sie sonntags zum Gottesdienst zu gehen verhindert sind, müssen nachmittags bei der Christenlehre erscheinen."

Das Mißverständnis, das Josef provozierte, liegt also offensichtlich auf einer anderen Ebene. Er glaubte, daß bereits religiöse Bildung Gläubigkeit erzeugen würde. Und er glaubte, daß Seelsorge und Fürsorge die einzigen legitimen Funktionen der Kirche wären. Als Kind seiner Zeit, als Aufklärer mit den Schriften von'Voltaire und Rousseau im Marschgepäck, begriff er nicht die Mystik des „corpus christi"; und so wurde aus einem Mann mit den besten Absichten ein verfemter und mißverstandener Mensch - zwei Jahrhunderte lang.

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