6870260-1978_20_17.jpg
Digital In Arbeit

Kärntner Mai 1945

19451960198020002020

In der Nacht vom 4. auf den 5. April 1945 brannten auf der Sattnitz, dem Ferlacher Horn, dem Singerberg und sieben anderen Bergen südlich von Klagenfurt große Feuer. Sie sollten vom Einmarsch der Roten Armee nach Österreich künden. Eine Woche später begannen der deutsche Sicherheitsdienst und die Gestapo in der St. Ruprechter-Straße und der Klagenfurter Burg damit, Akten zu verbrennen. Das Ende des Krieges und der nationalsozialistischen Herrschaft zeichnete sich ab. Auf den Karawanken lag noch tiefer Schnee. Nur die Pässe waren von den Tag und Nacht im gesicherten Marsch rollenden Lastwagen, von den Kettenfahrzeugen, den Geschützen auf ihren Lafetten und von tausenden Stiefeln freigetreten. v 1;

19451960198020002020

In der Nacht vom 4. auf den 5. April 1945 brannten auf der Sattnitz, dem Ferlacher Horn, dem Singerberg und sieben anderen Bergen südlich von Klagenfurt große Feuer. Sie sollten vom Einmarsch der Roten Armee nach Österreich künden. Eine Woche später begannen der deutsche Sicherheitsdienst und die Gestapo in der St. Ruprechter-Straße und der Klagenfurter Burg damit, Akten zu verbrennen. Das Ende des Krieges und der nationalsozialistischen Herrschaft zeichnete sich ab. Auf den Karawanken lag noch tiefer Schnee. Nur die Pässe waren von den Tag und Nacht im gesicherten Marsch rollenden Lastwagen, von den Kettenfahrzeugen, den Geschützen auf ihren Lafetten und von tausenden Stiefeln freigetreten. v 1;

Werbung
Werbung
Werbung

Seit Monaten hasteten deutsche Divisionen nach Norden, vermischten sich mit den Ustaschi des kroatischen Poglavnik Ante Pavelic“, mit serbischen Tschetniks, mit Domobrancen und anderswo mit Kosaken. Je deutlicher es wurde, daß das Kriegsende nur mehr eine Frage von Tagen war, um so hastiger wurde das Drängen nach Kärnten. Dabei wußten die wenigsten, daß sie immer wieder nur einen Schritt ins Ungewisse tun konnten.

Keiner konnte sagen: Was würde mit Kärnten sein, wenn der Krieg vorüber ist. Vielleicht hätte man von den Engländern, die aus dem Italienischen nach dem Norden und Osten vorstießen, erwarten können, daß sie wußten, welches Schicksal auf Kärnten wartete. Denn schließlich hatten sie mit Amerikanern und Russen durch mehr als ein Jahr über das Schicksal Nachkriegsösterreichs beraten. Kärnten sollte diesen Gesprächen zufolge Teil der britischen Besatzungszone werden. Doch da hatte sich im Jänner 1945 Marschall Tito zu Wort gemeldet und gefordert, daß Südkärnten von Jugoslawen besetzt und Jugoslawien eingegliedert würde. Die Briten wiesen diese Forderung zurück und versuchten, Amerikaner und Russen auf ihre Linie einzuschwören. Es wurde aber nichts verbindlich festgelegt. So mußten also auch die Engländer gespannt sein, welche Situation sie vorfinden würden.

Der politische Neuansatz

Erst Anfang April 1945 waren in Kärnten Überlegungen angestellt worden, wie nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft eine neue Landesverwaltung aufgebaut werden könnte. Zunächst wurden solche Gespräche von zwei der markantesten Persönlichkeiten des Kärntner Abwehrkampfes, nämlich dem ehemaligen Landesverweser Arthur Lemisch und dem Stabschef des Kärntner Heimatschutzes, Franz Xaver Kohla, geführt, die dem seinerzeitigen Landtags Präsidenten Julius Lukas vorschlugen, noch im Untergrund eine „provisorische Körperschaft“ aufzubauen. Diese sollte dann mit den einmarschierenden alliierten Truppen Verbindung aufnehmen. In weiteren Gesprächen, die dann schon unter Beteiligung politischer Vertreter der alten demokratischen Parteien geführt wurden, kristallisierte sich der Standpunkt heraus, daß man sehr wohl etwas vorbereiten mußte, nur sollte jeder Anschein vermieden werden, daß alte nationale Kärntner Kreise an der Neuordnung beteiligt wären.

Was der nationalsozialistische Gauleiter von Kärnten, Friedrich Rainer, am 3. Mai und auch in den Tagen darauf propagierte, nämlich einen „Abwehrkampf' nach dem Muster von 1918/19 zu führen, das wollte niemand. Das wollte auch der Gauhauptmann Meinrad Natmeßnig nicht, der sich um einen möglichst geordneten Ubergang von nationalsozialistischen auf demokratisch-österreichische Repräsentanten bemühte. Natmeßnig forderte da-

her am 4. Mai Gauleiter Rainer auf, das Regime von sich aus aufzugeben und zwar zugunsten nationaler Kräfte. Er dachte hier an Arthur Lemisch. Franz X. Kohla, der dann später zugezogen wurde, verwies aber auf die demokratischen Parteien, die sich ja in Ostösterreich schon konstituiert hatten, und am 5. Mai bat Natmeßnig jene Leute zu sich, von denen ihm gesagt worden war, sie würden diese Parteien repräsentieren. Denen trug er an, Rainer zum Rücktritt aufzufordern und eine provisorische Regierung zu bilden. Zwei Sozialisten, zwei ehemalige Christlichsoziale und ein Parteiloser wurden dann im Blitzverfahren zu Mitgliedern einer solchen provisorischen Landesregierung erklärt und begaben sich auch prompt zum Gauleiter. Der sah die Lage aber noch nicht für aussichtslos an und stellte Bedingungen.

Es folgten Gespräche der politischen Vertreter untereinander, wobei man die erste Zusammensetzung des jetzt so benannten „Vollzugsausschusses“ abänderte und Hans Piesch zum Vorsitzenden des Kärntner Vollzugsausschusses vorschlug. Es hatte sich aber auch der frühere Vizekanzler Tau-schitz in die Gespräche eingeschaltet, der die Beiziehung des Landbundes verlangte. Das wurde akzeptiert. Am 6. Mai gingen die Verhandlungen mit dem Gauleiter weiter. Der trennte sich so schwer wie kaum ein anderer von der Macht. Nach tagelangen Erwägungen, ob er nicht doch im Amt bleiben könne, versprach er seinen Rücktritt. Er wollte allerdings nicht zugunsten einer Regierung demissionieren, in der Kommunisten vertreten wären. Der

Kärntner Vollzugsausschuß legte also schriftlich fest, daß die Regierung aus acht namentlich angeführten Personen gebildet würde, unter denen sich kein Kommunist befand. Nur in einem Annex wurde festgehalten, daß sich der Vollzugsausschuß nach Übernahme der Macht durch zwei Personen ergänzen würde. Und das sollten Kommunisten sein.

Rainer trat endlich zurück. Er beauftragte den Gauhauptmann mit der Fortführung der Geschäfte, und Natmeßnig übertrug sofort sämtliche Befugnisse an den Vollzugsausschuß.

Mittlerweile war es vor allem im Raum Ferlach zu Schießereien gekommen. Jugoslawische Partisaneneinheiten drängten nach Kärnten und in Richtung Klagenfurt. Am späten Nachmittag des 7. Mai wurden die ersten britischen Panzer am Plöcken-paß gemeldet. Doch der Einmarsch geschlossener Einheiten begann erst tags darauf.

Am späten Vormittag des 8. Mai trafen britische Truppen in Klagenfurt ein. Zwei Stunden nach ihnen waren auch Partisanenverbände im Inneren der Stadt. Im Augenblick der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht sahen sich die Briten zu ihrer maßlosen Erbitterung in Kärnten jugoslawischen Verbänden gegenüber, die nicht nur der deutschen Heeresgruppe E sowie rund 150.000 Kroaten, Domobrancen und Tschetniks den Weg nach dem Norden verlegten, sondern in gleicher Weise

die Engländer aus Südkärnten auszusperren versuchten.

Nicht nur das. Am 9. Mai verlangten jugoslawische Partisanen vom provisorischen Landeshauptmann Piesch die Einziehung eines Aufrufes, den Piesch anläßlich der Amtsübernahme^ der provisorischen Landesregierung und der Befreiung herausgegeben hatte. Ferner sollten die rotweißroten Fahnen eingeholt und statt ihnen jugoslawische Fahnen gehißt werden. Piesch lehnte ab. In Klagenfurt erschienen Plakate, die die Einnahme der Stadt durch jugoslawische Partisanenverbände verkündeten, andere, die davon sprachen, daß Kärnten ein Teil Jugoslawiens sei und jugoslawische Militärgerichtsbarkeit herrsche.

Es kam zur Einsetzung eines slowe-nisch-Kärntner Nationalrats. Es wurde versucht, Mitglieder der provisorischen Landesregierung (Wedenig, Tschofenig) zum Austritt aus der Landesregierung und zum Eintritt in diesen Nationalrat zu bewegen. Eine Art Gegenlandeshauptmann, Dr. Petek, wurde eingesetzt, Ortskommanden gebildet, Streifzüge unternommen und dabei Verhaftungen und Verschleppungen durchgeführt. Kurzum, es hatte den Anschein, als wollten die jugoslawischen Partisanen ihr erklärtes Ziel, das Ergebnis der Volksabstimmung vom 10. Oktober 1920 rückgängig zu machen, mit aller Macht verwirklichen.

Die provisorische Kärntner Landesregierung hatte kein Mittel, um das zu verhindern. Sie wollte Verbindung mit Karl Renner aufnehmen; das war nicht möglich. Man suchte also Hilfe bei den Engländern. Eine wirkungsvolle Militärregierung gab es zwar noch nicht, obwohl schon 20 Offiziere und 27 Verwaltungsbeamte in Villach und Klagenfurt saßen. Aber es waren genügend britische Truppen anwesend, um mit ebendenselben Drohgesten, die Jugoslawien anwandte, zu antworten. Es wurde ein allgemeines Beflag-gungsverbot erlassen, die Engländer bemühten sich, die-kaum affichierten Proklamationen in slowenischer Sprache wieder von den Wänden zu reißen, sie fuhren Panzer und Artillerie auf und stellten dem provisorischen Landeshauptmann eine bewaffnete Eskorte zur Verfügung.

Die Briten sahen Kärnten aber nicht nur isoliert, sondern in Verbindung mit Triest, -wo sich die Weltallüerten ebenfalls massiven jugoslawischen Gebietsforderungen gegenübersahen. Die westliche Allianz schloß sich nochmals fester zusammen und General Patton begann seine amerikanische 3. Armee von Salzburg und Oberösterreich gegen Radstädter. Tauern und Katschberg in Marsch zu setzen. Der Druck auf Tito verstärkte sich.

Feldmarschall Alexander ließ Plakate drucken, auf denen er Tito derselben Methoden zieh, die Hitler, Mussolini und Japan angewendet hätten und gegen die England in den Krieg gezogen sei. Der amerikanische Außenminister Stettinius drohte seinem jugoslawischen Amtskollegen Subasic mit der Einstellung der amerikanischen Nahrungsmittellieferungen. Die Westalliierten verabsäumten es aber auch nicht, Staun um Intervention zu ersu-

chen. Stalin wußte denn auch eine Sprache zu sprechen, die Tito verstand: Die jugoslawischen Verbände in Kärnten wurden dem Kommando der sowjetischen 3. Ukrainischen Front unterstellt und deren Befehlshaber, Marschall Tolbuchin, befahl den Abzug der Partisanen.

Diesem Abzug gingen aber noch eine Propagandakampagne großen Stils und massive jugoslawische Einschüchterungsversuche voraus. In den von Jugoslawen kontrollierten Gebieten kam es zur drastischen Einschränkung des Verkaufs von Nahrungsmitteln. Am 18. Mai wurden in Klagenfurt Plakate affichiert, auf denen die Ablieferung aller Waffen und die Verhängung des Kriegsrechts verkündet wurden. Alle Geschäfte sollten drei Tage geschlossen halten, um „Inventur“ zu machen. Flugblätter erschienen, auf , denen behauptet wurde, Kärnten von Bleiburg über Klagenfurt bis Villach, sowie die Steiermark bis Graz würden in Kürze Teile Jugoslawiens sein. Partisanenabteilungen aus Jugoslawien und Kärnten durchstreiften das Klagenfurter Becken, das obere Glantal, das Gurktal und den Raum südlich und südwestlich von Villach. Dabei wurden Personen an Hand von Suchlisten verhaftet, die als Repräsentanten des Nationalsozialismus bekannt waren, aber auch wahllos Deutsch-Kärntner und Vertreter der sogenannten Windischen verschleppt. Die Streiftrupps der Partisanen machten sich wiederholt zu Werkzeugen vordergründigster Denunziation. 91 Verschleppte sind nie mehr gesehen worden.

Kaum Beachtung dürfte 1945 der gesamtösterreichische und vor allem auch wirtschaftliche Aspekt der jugoslawischen Gebietsforderungen gefunden haben. In dem von Jugoslawien als „Slowenisch Kärnten“ apostrophierten Gebiet wurden beispielsweise 87 Prozent des in Kärnten erzeugten elektrischen Stroms produziert. Kärntner Blei, Faserplatten und Schuhoberleder deckten nicht nur bis zu 100 Prozent den österreichischen Bedarf, sondern stellten auch wesentliche Ausfuhrkapazitäten dar.

Mit der Forderung nach Abtretung von 2470 Quadratkilometer mit rund 180.000 Menschen wurden also nicht nur 44 Prozent der Kärntner Bevölkerung angesprochen. Hier ging es um sehr viel mehr!

Der von den Großmächten erzwungene Abzug der jugoslawischen Partisanen bedeutete zwar nicht das Ende der Gebietsforderungen und des Ir-redentismus. Die lebten in den folgenden Jahren erst so richtig auf. Doch mit der militärischen Bedrohung wich auch die Gefährlichkeit der Forderung. Wenige Monate später brannten auf Kärntens Bergen abermals nächtliche Feuer. Sie kündeten vom 25. Jahrestag der Volksabstimmung. Kärnten war noch einmal davongekommen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung