6848665-1976_35_16.jpg
Digital In Arbeit

Kaiser Matanzima auf dem dritten Weg

Werbung
Werbung
Werbung

Zögernd und grüblerisch wirken al diese jüngeren Politiker der zweiten österreichischen Republik. Sie sprechen sachlich und in wohlge-fonmten Sätzen, verzichten auf Pathos und Dramatik, unterdrücken das persönliche Gefühl. Sind sie durch die innere Beschaffenheit der heutigen politischen Parteien geprägt worden? Von den Gesetzen des Fernsehens, dessen Optik die großen Gesten verbietet? Sind sie in der Tat frei von jenem Schwärmen der dreißiger und der vierziger Jahre? Diese jugendlichen Männer um die Vierzig verkörpern den Stil eines kleinen neutralen Staates, dessen Ordnung gewerkschaftlich und bäuerlich geprägt ist. Die Mehrheit des Wahlvolkes besteht aus realistisch denkenden Leuten, die man mit dem Hochmut der Intellektuellen vielleicht Weinbürgerlich nennen könnte. Heroismus ist ihnen fremd, Überschwang bleibt für sie unverständlich. Die jüngeren Politiker wurden und werden von diesem Wahlvolk geformt.

Dem Schein nach gehört Alois Mock in diese kleine femsehgerechte Schar: ein jugendlicher Mensch, der flüssig, vernünftig und heiter formulieren kann; gut informiert; hart, wenngleich taktvoll; sachlicher Mitstreiter der legislativen Arbeit; ernst, verläßlich, arbeitsam; ein Redner von freundlicher Vehemenz. So irgendwie könnte das breite Publikum auch die Herren Androsch und Lanner, Gratz und Taus beurteilen. Es gibt weder einen Volkstribun noch einen knorrigen AHeingänger; auch der Typus des rauschhaften Abenteurers ist verschwunden. Diese Vierzigjährigen wirken geschickt, seriös und — weiß Gott, warum? — ein wenig traurig.

Sie sind aber offenbar nicht ganz so, wie sie winken. Mock, zum Beispiel, trägt um sich die saubere Atmosphäre eines stets zum Lernen bereiten Studenten. Gar nicht studentisch, sondern männlich reif ist seine Neigung zum Selbstspott. Ein Mensch des fröhlichen Zweifeins vielleicht? Es könnte sein, daß er es selbst nicht wahrhaben möchte. Aber er liebt es eigentlich mehr, zu fragen,

als zu antworten. Er liest und liest und liest, er spielt sich während längerer Fahrten im Auto verschiedene Informationen zur parlamentarischen Arbeit vom Tonband vor, er hat auch die Gewohnheit, seinen Gesprächspartnern aus nächster Nähe fragend in die Augen zu blicken. Ein Beispiel für diese Mock'sche Methode des Lebens und des Wirkens ist die Art, in der er nun vom seiner Afrikareise berichtet: fragend, laut denkend, immer wieder in Notizbüchern blätternd, also um möglichst große Treue bemüht

Er ist das Gegenteil eines Schwadroneurs.

Er macht gerne Reisen. Er hat als Student manche europäische Länder per Autostopp kennengelernt, er ist als Staatsgast in der Sowjetunion gewesen, hat sich 1973 längere Zeit in den Vereinigten Staaten, zwei Jahre später in der Volksrepublik China aufgehalten. Vom 12. Juli bis zum 14. August war Mock in Afrika.

„Ein Großteil der Probleme, die sich als rassische Probleme darstellen, sind Probleme der industriellen Revolution.“

Er hält diesen Satz bereit, als Summe mancher Erfahrungen. Er ergänzt: Durch die Industrialisierung haben viele Afrikaner ihre Dörfer, ihre archaisch geprägten und organisch gewachsenen Gemeinschaften verlassen, sind aus dem Stamm ausgebrochen, sind Arbeiter oder Angestellte geworden, haben ihren Anspruch auf eine Urbane Lebensform und auf demokratische Freiheit erst erahnt, dann erkannt, schließlich angemeldet. Daß all diese Menschen schwarzer Hautfarbe sind, spielt dabei eine zweitrangige Rolle. Es geht, so meint Mock, bei dem großen Umbruch im südlichen Afrika um einen sozialen Prozeß. Die ethische Frage ist zwar ungemein wichtig, aber angesichts der Umwälzung der Gesellschaft durch wirtschaftliche Fortentwicklung doch sekundär.

Fünf bestehende Staaten und einen zukünftigen Staat hat Mock in diesen paar Wochen besucht: Kenia, Tansania, Botswana, Namibia, die Südafrikanischen Republik und Transkei. Er war in der kenianischen

Hauptstadt Nairobi während der Verschärfung des Konfliktes mit Uganda, er war in Südafrika während der Unruhen in Soweto.

In Kenia sprach der stellvertretende Außenminister Babu Wod nicht nur über das allmähliche Heranwachsen der gegenwärtigen Gegensätze mit Uganda, sondern über daj Prinzip harambee, was etwa Eigeninitiative bedeutet, während in Tansania Außenminister Kaduma den Gedanken der ujamaa erläuterte, was man mit Selbsthilfe übersetzen könnte. Obwohl die beiden Begriffe einander in ihrer Ähnlichkeit geradezu berühren, sollen sie gegensätzliche Positionen bezeichnen: harambee ist die leitende Idee eines Systems, in dem der einzelne — mit Hilfe des Staates und der Gemeinschaft — seine ganz individuelle Leistung hervorbringen kann und soll, ujamaa sucht den genossenschaftlichen Weg, das Zusammenwirken, das Herausbilden größerer Gemeinschaften. In Botswana erläuterte der stellvertretende Staatspräsident Qu. K. J. Dr. Masire, zugleich Finanzminister, die Vorteüe des Mehrparteiensystems und in Namibia war und ist man gerade dabei, dieses System in einer weniger ideologisch als ethnisch geplanten Form einzuführen. In der neuen Hauptstadt von Botswana, im sauberen Gaberone, wirkt ein erstaunlich erfolgreicher Pragmatismus. In der zum Teil deutschsprachigen Hauptstadt von Namibia, in Windhuk, tagt gegenwärtig in der ehemaligen Turnhalle die Verfassungsgebenda Versammlung, bestehend aus den Delegationen von zwölf Völkern. Mit 46 Prozent haben die Owambo die Mehrheit, gefolgt von den Weißen (elf Prozent), deren Anführer, der gemäßigte Dirk Mudge, vielleicht Ministerpräsident des neuen Staates sein wird.

Auch in Südafrika entstehen neue Staaten: nach Swasiland und Lesotho nun auch Transkei, dessen Hauptstadt Umtata nun ausgebaut wird. Das alte Hotel Imperial gehört einem Hersteller von Zahnprothesen, der seine Werkstatt im Hinteigrund seines Gasthofes weiterhin emsig

betreibt. Zwei Söhne des Xhosa-Häuptlings Matanzima stehen an der Spitze des neuen Staates: der jüngere hat den Vornamen George und ist gegenwärtig Justiamiriister, der ältere hat den Vornamen Kaiser und ist Ohefminister, also Ministerpräsident. Kaiser Matanzima muß aber bereits jetzt gegen die Opposition kämpfen, die von einem klugen und feinfühlenden Intellektuellen angeführt wird. Er heißt Guzana und ist Methodist.

Namen und Ziffern hat sich Mock sorgfältig notiert Er spricht von Ministem wohlwollend respektvoll, und zugleich mit einigem Humor, als wäre er selbst nicht eine Weile in Wien Minister gewesen. Merkwürdig ist, daß er die ideologischen Unterschiede zwar sieht, sie aber nicht für entscheidend hält: die Gesellschaft in Botswana und in Kenia ist ihm näher als die in Tansania, aber er hält 'die Realität für wichtiger als die Parolen, er will vor allem die Wirklichkeit studieren und nicht die Worte, er sucht nach politischen Programmen, die sich am Menschen orientieren.

Das Mehrparteiensystem von Botswana, das Prinzip von harambee in Kenia ist für Mock beispielgebend, und er meint, die parlamentarisch regierten Industriestaaten sollten genügend Mut haben, vor allem ihre Freunde zu unterstützen — aber er pflichtet auch dem tansanischen Außenminister Kaduma bei, der die Bildung großer Dorfgemeinschaften befürwortet, da viele Hände leichter die notwendigen Straßen, Kanäle, Plantagen schaffen können. Und für den Landwirtschaftsminister von Tansania, den rührigen Malacella, findet Mock besonders lobende Worte.

„Malacella meint, wir sollten unsere Entwicklungshilfe unmittelbar, ohne die Vermittlung einer internationalen Organisation oder auch der eigenen Staatsverwaltung, auf ein paar Dorfgemeinscbaften konzentrieren. Da könnte Österreich in kleinen, aber überschaubaren Einheiten vieles erreichen.“

Er will solche und ähnliche Überlegungen an die Union Europäischer

Christdemokraten weiterleiten. Die Reise Mocks war dieser Organisation bekannt. Er möchte nun versuchen, den Kontakt zwischen den europäischen Christdemokraten und den Politikern Schwarzafrikas weiter zu pflegen. Er kehrt zu diesem Punkt zu Österreich zurück.

„Die afrikanischen Staaten“, sagt Mock, „werden in der Weltpolitik weiter an Gewicht gewinnen. Gerade ein immerwährend neutraler Staat wie Österreich muß aus Gründen der eigenen Sicherheit solche Entwicklungen aufmerksam verfolgen. Und was die Entwicklungshilfe betrifft: wir sollten uns in kleinen Staaten engagieren, und zwar möglichst direkt. Die bilateralen Abmachungen könnten wenigstens einen Teil der unnötigen Bürokratie ausschalten.“

Er ist weder optimistisch noch pessimistisch: er will kein absolutes Maß haben, sondern pragmatisch bleiben, sachlich, nachdenklich, still. Da und dort gibt es — hinter den verschiedensten Phraseologien — Versuche, die Politik am Menschen zu orientieren. In Afrika, in Europa, überall. Wenn er über die Möglichkeit einer solchen, tätig humanistischen Politik spricht, gerät Mock in einen Zustand der beinahe schwärmerischen Begeisterung. Hier sieht er — so scheint es — das verbindende Glied zwischen seinem christlichsozialen Weltbild und den neuen, noch unartikulierten Strömungen unserer Zeit. Die scbwarzafrikami-schen Modelle eines „dritten Weges“ könnten lehrreich sein. Auch für uns, jahrtausendealte Zyniker der Weltpolitik und zugleich gebrannten Kinder? Auch für uns.

Unter den schweren Regenwolken des Augusthimmels sitzen wir Stunden um Stunden, mit afrikanischer. Geschichte beschäftigt. Im Wiener-wald steht das bescheidene Haus, dessen Gäste wir sind, und sanft sind die Kuhlen und Kuppen der zart bewaldeten Landschaft Es fällt hier leicht, an den alten Rat unseres . Freundes Johann Wolfgang von Goethe zu denken: Man möge den spielenden Figuren der Zeit in die Karten schauen.

Wir schauen, so gut es eben geht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung