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Kaleidoskop der Eindrücke

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Als Jouvet von Andre Maurois nach dem Geheimnis seines Berufs befragt wurde, sagte er, er könne nur niemand sein* denn hätte er einen bestimmten Charakter, wie wäre er Schauspieler. In dem im Burgtheater aufgeführten, mehr als dreihundert Jahre alten Stück „Philemon oder Der fröhliche Märtyrer“ des Jesuiten Jakob Bidermann erklärt die Titelgestalt, ein dem Fraß und Trunk ergebener Schauspieler, ebenso, er sei so viele und darum keiner.

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Als Jouvet von Andre Maurois nach dem Geheimnis seines Berufs befragt wurde, sagte er, er könne nur niemand sein* denn hätte er einen bestimmten Charakter, wie wäre er Schauspieler. In dem im Burgtheater aufgeführten, mehr als dreihundert Jahre alten Stück „Philemon oder Der fröhliche Märtyrer“ des Jesuiten Jakob Bidermann erklärt die Titelgestalt, ein dem Fraß und Trunk ergebener Schauspieler, ebenso, er sei so viele und darum keiner.

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Ägypten unter römischer Herrschaft, Zeit der Christenvertolgung. Apollonius, der Vorsteher der Christengemeinde, soll abschwören, Jupiter opfern oder als Staatsfeind hingerichtet werden. Auf seine Bitte hin erklärte sich Philemon bereit, ihn darzustellen und das Opfer darzubringen, als Schauspieler sei er auf der Bühne Christ oder Heide, alles sei für ihn Spiel, Theater. Und da nun unvermittelt, ursachenlos, erlebt er, der Ungläubige, sein „Damaskus“, bekennt er sich als Christ. Die psychologische Problematik des Schauspielers — was ist echt an ihm? — hat hier Bidermann mit der Gewis-sensentscheidung religiösen Bekennens zur Deckung gebracht. Im Spielerischen springt Wesentliches auf. Ursachenlos.

Luise Rinser, die Bearbeiterin des Stücks, erklärt, daß sich Bekehrungen „von langer Hand“ vorbereiten. Das aber zeigt sich hier nicht, obwohl sie „nur das Handlungsgerüst und vielleicht zehn Sätze“ beließ. Sie widerspricht sich selbst. Hinzu kommt, daß dieses entscheidende Begebnis erst ganz zum Schluß stattfindet, wenn die Aufmerksamkeit ob der vielen locker hingeworfenen Szenen mit antiken Göttern, Heiden, Christen, allegorischen Gestalten und den Schauspielern bereits erlahmt ist. Daß sich Apollonius schließlich doch zu seinem Glauben bekennt, dürfte ebensowenig gestrichen werden wie der triumphierende Engelchor.

Die Aufführung leidet darunter, daß dieses leichtgefügte, manchmal naive Stück über den „fröhlichen Märtyrer“ von dem polnischen Regisseur Kazimierz Dejmek in vielen Szenen zu schwerfällig, zu feierlich widergegeben wird. Fiktion: Die Aufführung finde in einer Kirche statt. So nun entwarf Andrzej Ma-jewski ein dunkel-schweres, pompös-barockes Kircheninneres, in dessen Hintergrund ein Wandelprospekt die verschiedenen Schauplätze andeutet. Dadurch erhält das weithin anspruchslose Stück eine Großartigkeit der Aufmachung, die seine Schwächen nur um so mehr bloßstellt. Herwig Seeböck gibt dem Philemon strotzende Unbändigkeit und dann die ruhige Gelöstheit des Gewandelten. Andreas Wolf ist ein von seinem Glauben überzeugter Apollonius. Die Musik von Peter Fischer wird im Kirchengestühl zelebriert.

Selbstverständlich ist es zulässig, Theaterstücke bedeutender Dramatiker der Vergangenheit zu bearbeiten. Voraussetzung: Es tritt dadurch ein Gewinn ein. Das ist aber bei der Bühnenfassung des Trauerspiels „Der Vater“ von August Strindberg durch Achim Benning und Rudolf H. Weys in Zusammenarbeit mit dem Übersetzer Hans Egon Gerlach, die derzeit im Akademietheater gespielt wird, keineswegs der Fall. Dieses Stück, meisterlich in seiner Dichte, seiner Zwangläuflgkeit wird dadurch völlig aufgeweicht, daß in den Text zahlreiche Stellen aus den selbstbiographischen Schriften

Strindbergs als Monologe eingeschnitten wurden, wobei der Regisseur Achim Benning meist die fensterlosen Wände des Wohnraumes aufschimmern und da die nicht monologisierenden Gestalten als Sil-houletten erscheinen läßt. Hiezu kommt ein schwerer Fehler in der Besetzung: Richard Münch gibt in seiner wie ein Maschinengewehr knatternden Sprechweise von Anfang an mit hysterischer Aggressivität den Rittmeister, so daß man sich fragt, weshalb sich seine Frau nicht schon längst dieses Mannes entledigt hat. Sie ist damit ins Recht gesetzt, der Sinn des Stücks wird ins Gegenteil verkehrt. Hilde Krahl als Laura, Alma Seidler als Amme beeindruk-ken.

*

Wenn Mannsbilder, von der Welt abgeschlossen, längere Zeit unter sich sind, mag das Unflätige in Worten überquellen, mag es zu sexuellen Phantasien, vielleicht zu Ersatzhandlungen kommen. Begibt sich dies unter Sennen, wie in dem Stück „Sennentuntschi“ des 35jähri-gen Schweizers Hansjörg Schneider, das von der Gruppe „Werkstatt“ im Theater am Kärntnertor aufgeführt wird, ist wohl anzunehmen, daß sich derlei im Bereich von Käse, Milch und Stallmist ins exzessiv Ordinäre steigert. Wozu dies aber auf der Bühne vorführen?

Die Sennen auf Schneiders Schweizer Alm verfertigen sich in ihrer saturnalischen Besessenheit aus Chiantiflasche, Mistgabel und Kleidungssitücken einen Tuntsch, eine weibliche Puppe, die lebendig wird, worauf sie es mit ihr treiben. Die herumtapsende Automatenhafte erweist sich aber als unerstättlich und ermordet schließlich einen von ihnen. Was soll das? Man bemühe

nicht C. G. Jung für die Interpretation, davon ist nichts zu spüren. Die glotzende Nackte wird auch nicht Symbol. Nichts Hintergründiges trotz dieser irrealen Gestalt. Es bleibt nur des Autors persönlicher Spaß am saftig Ordinären.

Im Theater am Kärntnertor wurde der Saal für die Aufführung an drei Seiten um die lange rechteckige Spielfläche mit Sitzreihen umgeben, an einer Schmalseite gemahnen Schrankwände an „Kas mit Löchern“, ein Gebirgspanorama überhöht dies. Der Entwerfer des Büh-nenbüdes, Peter Giljum, verfremdete geschickt auch die Kostüme. Unter der Regie von Hans Gratzer wird das Unflätige von Claus Gillmann, Manfred Lukas-Luderer und Günther Dapra mit polternder Derbheit ausgespielt. In monströser Schaumgumminacktheit gelingt

Dolores Schmidinger das Puppenhafte. Der Kuhfladengeruch hat in der auftrumpfenden Sexdramatik noch gefehlt.

Im Theater im Palais Erzherzog Karl wird auf ein Stück zurückgegriffen, das vor 15 Jahren in der Nachwirkung der Beckett und Iones-co entstanden ist: „Pastorale“ von Wolfgang Hildesheimer. Da vereinen sich ein Präsident, ein seniler Bergassessor, ein seniler Konsul und ein ältliches Fräulein Doktor unter musikalischer Betreuung eines Domestiken zu einem Gesangsquartett, ein Sammelsurium von mancherlei Gequatsche und unvermittelt Poetischem entsteht, durch Zeitraffung innerhalb weniger Worte begeben sich kurzerhand Todesfälle, vollziehen sich Karrieren, wechseln die Jahreszeiten, die Wirtschaftswunderwelt sickert herein. Hildesheimer wandte sich einst in seiner Erlanger Rede über das absurde Theater gegen eine Aussage. Aber in den wertvollen „absurden“ Stücken hat das Sinnlose Sinn. Hier hat es keinen. Man spürt leere Nachahmung. Unter der Regie von F. F. M. Sauer sind bescheidene darstellerische Kräfte eingesetzt, erwähenswert ist Peter Schmölzer als „Präsident“.

• Jean Louis Barrault, dessen Memoiren vor kurzem im S.-Fischer-Verlag erschienen sind und der sich in Deutschland immer schon eines großen Ansehens erfreute, gastiert ab 1. Mai in der BRD mit seinem Zelttheater und Claudels „Der seidene Schuh“.

• Der bekannte evangelische Kirchenkomponist Kurt Thomas, der einige Jahre auch Thomaskantor war, ist im Alter von 69 Jahren in Leipzig gestorben.

• „Theater und Wirtschaft“ ist das Thema des heurigen Grillparzer-Forums, das vom 3. bis 6. Juni in Forchtenstein stattfindet.

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