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Kalter Krieg und Staatsvertrag

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In ihrer Nummer 13 veröffentlichte DIE FURCHE eine Rezension von Günter Bischof zum Sammelband „Österreich und die Sowjetunion. 1918—1955, Beiträge zur Geschichte der österreichisch-sowjetischen Beziehungen”. In Anbetracht der Tatsache, daß Herr Bischof den Inhalt einiger Passagen meines Artikels wülkürlich auslegt, halte ich es für notwendig, Klarheit zu schaffen. Das um so mehr, weil in diesen Tagen der 30. Jahrestag der Unterzeichnung des Staatsvertrags begangen wurde, dem übrigens mein Artikel gewidmet war.

Die Rezension stellt meiner Auffassung nach die Konzeption der sowjetischen Wissenschaftler, die die Geschichte der internationalen Nachkriegsbeziehungen erforschen, tendenziös dar. Der Rezensent ironisiert und ignoriert die Tatsachen, die in Wirklichkeit überzeugend beweisen, daß die Verzögerung des Abschlusses des österreichischen Staatsvertrages durch den Kalten Krieg bedingt war, der von Westmächten entfacht worden war.

Die Tatsache, daß die Westmächte, besonders die USA, aus politischen und strategischen Überlegungen die Ausarbeitung des Staats Vertrags für Österreich verschleppten, wird durch eine Reihe von Dokumenten und Beweisen bestätigt. In Ergänzung zu dem, was im Sammelband angeführt wurde, sollen einige Zeugnisse aus westlichen Quellen genannt werden:

• Der ehemalige österreichische Außenminister Karl Gruber schrieb zur Erklärung der Verzögerung der Verhandlungen über den österreichischen Staatsvertrag, daß „die besten Köpfe der amerikanischen Diplomatie den Abzug der Truppen aus Österreich für ein großes Risiko hielten” (Karl Gruber: Zwischen Befreiung und Freiheit. Wien 1953, S. 212). Der Truppenabzug aber war eine Schlüsselfrage des Abschlusses des Staatsvertrags.

• Gerade um die Verhandlungen hinauszuzögern, unterbreiteten die westlichen Vertreter den Entwurf des sogenannten Kurzvertrags, dessen Unannehmbarkeit später auch die österreichischen Vertreter begriffen.

• Es gibt zahlreiche Beweise dafür, daß die USA und Großbritannien, ausgehend von der strategischen Bedeutung Österreichs, besonders seiner Bedeutung für die Einflußnahme auf seine Nachbarländer, bemüht waren, Österreich als Aufmarschgebiet, als Brük-kenkopf zu nutzen, es in eine „Alpenfestung”, in einen Verbündeten zu verwandeln (siehe Erwin Scharf: Ich darf nicht schweigen, S. 19).

• Die Orientierung einiger Kreise in Österreich auf die von den USA durchgeführte Politik der Stärke war ebenfalls ein Grund für die Verschleppung der Verhandlungen zum Staatsvertrag.

Was die Auslegung der bescheidenen Größe des Landes als Faktor des positiven Ausganges des „österreichischen Dramas” durch den Rezensenten betrifft, so neigen wir sowjetischen Historiker nicht dazu, ihn zu übertreiben. Die entscheidende Rolle bei der Regelung der österreichischen Frage im Jahre 1955 spielte am ehesten der politische Wille und der politische Realismus aller Verhandlungsteilnehmer und nicht zuletzt der österreichischen Politiker jener Zeit: des Bundeskanzlers Julius Raab, des Außenministers Leopold Figl, des Staatssekretärs Bruno Kreisky und des Botschafters in Moskau, Norbert Bischoff.

Sqhaden niemals ersetzt

Der Rezensent nimmt an, daß irgendein „ideologisches Handicap” die sowjetischen Historiker daran hindere, die Beweise aus den gleichen Quellen zu schöpfen, aus denen ihre westlichen Kollegen schöpfen. Die sowjetischen Historiker schöpfen nicht aus trüben Quellen, aber gute Quellen nutzen sie unvoreingenommen. Leider ist es aber eine Tatsache, daß in einigen westlichen Ländern (die der Rezensent zu verteidigen versucht) die sowjetischen Quellen ignoriert werden, wobei man auf die „unüberwindliche

Sprachbarriere” verweist.

Herr Bischof spricht von der angeblichen „radikalen Ausbeutung der österreichischen Industrie” durch die Machtorgane in der sowjetischen Besatzungszone. Als Historiker halte ich es für angebracht, daran zu erinnern, daß beim Abschluß des Staatsvertrags alle ökonomischen Fragen, darunter über das frühere deutsche Eigentum, eine für Österreich günstige Lösung fanden. Gleichzeitig wurde auf Bitten der österreichischen Seite aus dem Vertragsentwurf der Punkt bezüglich der Teünahme Österreichs, genauer einer bedeutenden Zahl (über eine Million) von Österreichern, am verbrecherischen Krieg auf der Seite des faschistischen Deutschland herausgenommen.

Der nicht geringe Schaden, der von den österreichischen Kontingenten dem besetzten sowjetischen Territorium zugefügt wurde, wurde niemals ersetzt. Die Sowjetunion verzichtete auf die österreichischen Reparationen. Die Historiker haben das nicht vergessen, wenn sie das auch nicht in den Zeitungen schreiben.

Bedeutet die Fragestellung über den Schaden, der der österreichischen Industrie im Zeitraum 1945 - 1955 angeblich zugefügt wurde, nicht den Wunsch, erneut den gesamten Komplex der seinerzeit geregelten Probleme unter einem politischen Blickwinkel zu erörtern?

Ich glaube, daß es doch besser ist - nicht zuletzt für Österreich selbst—auf dem Boden des realen Staatsvertrags zu bleiben, der in den vergangenen drei Jahrzehnten die Prüfung der Zeit und der politischen Praxis bestanden hat.

Der Autor ist Vorstand der Lehrkanzel für Geschichte der europäischen Länder und Amerikas am Institut für internationale Beziehungen in Moskau.

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