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Kalter Wind traf Böhlau

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Ein wissenschaftlicher Verlag bedeutet eine Ressource im geistigen Leben des Landes. Das Überleben des Böhlau-Verlages ist nicht nur für seine Inhaber von Bedeutung.

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Ein wissenschaftlicher Verlag bedeutet eine Ressource im geistigen Leben des Landes. Das Überleben des Böhlau-Verlages ist nicht nur für seine Inhaber von Bedeutung.

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So manches Jahr ging alles gut, mit 100 bis 110 Buchtiteln pro Jahr. Als die Förderungsmittel knapper wurden, erwies sich dieses anspruchsvolle Verlagsprogramm als nicht mehr finanzierbar — und die Verlegerfamilie Rauch bemerkte es mit jener Verzögerung, die schon manches Unternehmen in Gefahr brachte.

Andererseits ist dieser tatkräftige, jedem vernünftigen Vorschlag offene Verlag eine wichtige Ressource in einem mit wissenschaftlichen Publikationsmöglichkeiten keineswegs reichlich gesegneten Land. Da österreichische Themen teils in streng wissenschaftlicher Form, teils an-

spruchsvoll populär aufbereitet ein wichtiger Schwerpunkt waren, würde sein Untergang bedeuten, daß die wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Publikationsmöglichkeiten über Österreich in Österreich empfindlich beschnitten werden.

Die Verbindlichkeiten betragen 34 Millionen Schilling. 20 Millionen sind Schulden bei Gläubigern wie Druckereien, Buchbindereien und so fort. Fünf Millionen machen gewährte Förderungen aus öffentlichen Mitteln für bereits in Produktion befindliche Bücher aus. Der Rest wird Finanzamt, Sozialversicherung und Ausgleichsfonds geschuldet.

Die Mindest-Ausgleichsquote von 40 Prozent könnte erreicht werden, wären nicht wichtige Aktivposten ausgesondert worden — etwa Druckbögen, mit denen die Forderung der Druckerei durch Eigentumsvorbehalt sichergestellt wird.

So bleibt die Entscheidung zwischen Konkurs und Zwangsausgleich. Der Konkurs würde den Verlust des Unternehmens für Eigentümer und Arbeitnehmer bedeuten, das Privatvermögen der Verlegerfamilie aber nicht tangieren (der Verlag ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung). Zwangsausgleich würde bedeuten, daß weitergearbeitet werden kann, 25 Prozent aller Schulden aber bezahlt werden müssen — auch, wenn das Privatvermögen der Familie draufgeht. Und es ginge drauf, wenn die notwendigen Beträge nicht aufgebracht werden, weil die Sanierung letzten Endes mißlingt.

Die Familie Rauch zieht, obwohl ihr auch der Böhlau-Verlag in Köln gehört, der keine Schwierigkeiten hat, den Weg des Zwangsausgleiches vor. Sie wählt den risikoreicheren Weg aus durchaus altmodischen Gründen: im Interesse des eigenen guten Namens und dem Ansehen des Böhlau-Verlages in Köln zuliebe.

Um Mißverständnisse auszuschließen: Ohne Unternehmerrisiko keine private Unternehmertätigkeit. Aber bei einem Konkurs wären die aushaftenden Förderungsgelder zur Gänze dahin -angesichts von Gläubigern mit Vorrechten, wie Finanzamt und Krankenkasse. Es wäre vielleicht zu erwägen, ob nicht eine Streichung dieser Schuld in Frage kommt, wenn sie die Uberlebenschance des Verlages verbessern kann.

Wenn er überlebt, wird er auf jeden Fall leiser treten müssen. Die Entstehungsgeschichte seiner Schwierigkeiten wirft schon ein Licht auf die Bedingungen, unter denen in Österreich wissenschaftliche Bücher und Bücher, die wissenschaftliche Ergebnisse für ei-

nen breiteren Kreis seriös aufbereiten und so dem Bewußtsein der Öffentlichkeit zugänglich machen, entstehen.

Es waren nicht, wie so oft, wenn Firmen in die Zahlungsunfähigkeit schlittern, unbedachte Investitionen oder eine Expansion auf Biegen und Brechen im Spiel. Hingegen hat wohl auch hier ein Verlust an Uberblick eine Rolle gespielt. Unter Uberblick ist aber hier nicht nur der über die Buchhaltung, sondern auch das frühzeitige Erkennen widriger Winde zu verstehen.

Eine Verlagsproduktion wie die von Böhlau ist in Österreich seit langem nur noch, streng wirtschaftlich gesehen, unter Verlustbedingungen möglich. Dafür, daß sie überhaupt noch möglich ist, sorgen öffentliche Zuschüsse. Im Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung beschließt zum Beispiel eine Kommission über die Finanzierung einer wissenschaftlichen Publikation—entscheidet sie positiv, werden 80 Prozent der reinen Produktionskosten übernommen.

Bei anderen, sehr wichtigen, etwa den ministeriellen Förderungen bestehen bei den heutigen

Vorgangsweisen kaum vermeidbare Unsicherheiten. In einem Stadium, in dem im Verlag bereits Entscheidungen getroffen werden müssen, sind die beamteten Förderer nur zu unverbindlichen

Zusagen in der Lage. Böhlau scheint einfach die „Phasenverschiebung“, den Ubergang von einer großzügigeren zu einer sparsameren Förderungspolitik, nicht rechtzeitig erkannt zu haben.

Dadurch gingen Bücher in Satz, für die unverbindliche, unter den Auspizien früherer Jahre aber einkalkulierbare Zusagen vorlagen. In einem kühleren Förderungsklima wurden dann geringere oder keine Mittel lockergemacht. Da der Gürtel auf der ganzen Linie enger geschnallt wurde, ließen

sich Ausfälle bei einem Projekt anderswo nicht mehr wettmachen. Und hundert Bücher pro Jahr bedingten wohl auch einen stehenden Apparat, der sich nicht so schnell abspecken ließ.

Privatunternehmern darf so etwas nicht passieren. Passiert es doch, dürfen sie sich nicht auf den Staat verlassen.' Im konkreten

Fall muß aber die Frage erlaubt sein, ob nicht der Verlust des Böhlau-Verlages schwerer wiegen würde als seine Verluste. Zumal ja die Verlegerfamilie Rauch ein erhebliches Vertrauenskapital akkumuliert hat.

Der Zwangsausgleich sollte „durchgehen“. Die Haftung mit dem Privatvermögen wiegt wohl schwerer als die Konkursmasse. Auch hart agierende Teilnehmer solcher Verhandlungen (Finanzämter, Krankenkasse!) werden diesmal vielleicht ein Einsehen haben. Aber was kommt nachher?

Leiser treten bedeutet geringere Verdienstchancen. Bedeutet erschwerte Bedingungen, unter denen die 25-Prozent-Quote erwirtschaftet werden muß. Vielleicht wäre zu überlegen, ob nicht ein effizienteres System die zwangsläufig langwierigen Entscheidungsprozeduren ergänzen kann. Ob etwa wissenschaftlichen Verlagen eine Mindest-Förde-rungssumme für eine bestimmte Zahl von Projekten zugesichert werden kann. Bei Privattheatern und Freien Gruppen funktioniert das längst. Hier gab die Theaterkrise des Jahres 1948 mit monatelang unbezahlten Gehältern den Anstoß für einen neuen modus vivendi. Auch ein Teil unserer Theater sind ja Privatunternehmen.

Bei allen Entscheidungen sollte bedacht werden, was der Untergang eines großen wissenschaftlichen Verlages für Österreich bedeuten würde. Ohnehin ist der Leser wissenschaftlicher Werke

hierzulande ein widerspenstiger Käufer, der lieber ausleiht oder fotokopiert. Er meint, daß man Bücher, die man für den Beruf braucht, nicht kauft. Verständlich in einem Land mit geringer Kaufkraft — aber nicht förderlich für das Erscheinen der Bücher. In zehn Jahren gingen die Bibliotheks-Bestellungen im engeren Sinn wissenschaftlicher Bächer um ein Drittel zurück — direkte Auswirkung des Fotokopierens.

Schon die Kinder werden in Österreich zu nichtkaufenden Buchlesern erzogen. Wer schon die Schulbücher geschenkt bekommt, muß Bücher ja für etwas halten, was uns gratis zusteht wie Luft und Wasser, nicht für etwas, wofür man Opfer bringt.

Aus dem Englischen übersetzte Österreich-Werke wie die „österreichische Kultur- und Geistesgeschichte“ von William M. Johnston oder „Die Geschichte des Habsburger-Reiches“ von Robert A. Kann (beide Werke deutsch bei Böhlau) erzielten in England und den USA zwei- bis dreimal höhere Verkaufszahlen als im ganzen deutschen Sprachraum.

Der Weg der Ubersetzungen ist nicht gerade eine Einbahnstraße, hat aber vom Englischen ins

Deutsche einige Fahrspuren mehr. Je härter die Publikationsbedingungen für wissenschaftliche Autoren werden, um so mehr könnten sich bei historischen, soziologischen, psychologischen und zeitgeschichtlichen Beschäftigungen mit Österreich die Gesichts- und Standpunkte und wohl auch Vorurteile nichtösterreichischer Autoren durchsetzen. 4Ein weiterer Grund, Böhlau jetzt nicht im Regen stehen zu lassen.

Raoul Kneucker, Generalsekretär des Forschungsförderungs-fonds, setzt auf technische Modernisierungen im wissenschaftlichen Verlagswesen, stärkeren Elektronik-Einsatz und gemeinsame Vertriebswege.

Ein leidgeprüfter Verlegerkollege der Rauchs meinte, auch die Autoren könnten Privatinitiativen zur Erhaltung ihrer wissenschaftlichen Verlage beitragen, indem sie Manuskripte liefern, die jene Sorgfalt erkennen lassen, die dereinst selbstverständlich war — statt an der eigenen Arbeitszeit beziehungsweise dem eigenen Sekretariat zu sparen und die Lektoratskosten der Verlage in die Höhe zu treiben, indem sie mitunter halbfertige Manuskripte schicken.

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