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Kammerdiener proben Aufstand

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Kurt Hager weiß, was Moskau wünscht. Wenige Tage vor dem Beginn einer neuen Vorbereitungsrunde für die paneuropäische Kommunistenkonferenz erklärte das prominente Politbüromitglied vor der 15. Sitzung des SED-Zentralkomitees: „Diese Konferenz muß möglichst bald durchgeführt werden.“ Die Arbeit am Entwurf des politischen Dokuments der Konferenz sei fortgesetzt worden und in „sachlicher und freundschaftlicher Atmosphäre“ habe man weitere Fortschritte erzielt. Zweckoptimismus oder Beruhigungspille für die bisher enttäuschten Genossen und Bruderparteien? Vermutlich beides, wenn man die Vorgeschichte dieser (nach dem KSZE-Gipfel in Helsinki) für Moskau wichtigsten Polit-Show-Idee rekapituliert

Vor genau einem Jahr, vom 16. bis zum 18. Oktober 1974, hatten sich Vertreter von 28 europäischen kommunistischen Parteien während eines konsulativen Treffens in Warschau darauf geeinigt, spätestens bis Mitte 1975 eine paneuropäische KP-Konferenz abzuhalten. Als Veränstalter sollte die „Sozialistische Einheitspartei Deutschlands“ fungieren.

Schon vor diesem Warschauer Beschluß hatten die jugoslawischen Kommunisten gefordert, die Debatten dieses Gipfels müßten öffentlich sein, es dürften keine Angriffe auf Bruderparteien erfolgen und man müsse auf ein einengendes Schlußdokument verzichten. Tito, Kardelj und Bakaric wollten und wollen sich nicht von Moskau auf eine antichinesische Linie einsehwören lassen, oder gar ein Dokument unterzeichnen, das „brüderliche Hilfe ä la CSSR 1968“ institutionalisiert. Unterstützung fand Jugoslawien mit seiner Haltung vor allem bei den Rumänen, Italienern, Spadern, aber auch bei den Briten, Schweden und Norwegern.

Der Widerstand dieser Gruppe gegen die Majorität moskautreuer Parteien ließ die Vorbereitungsarbeiten für die Paneuropa-Konfe-renz bislang stagnieren.

Zum Eklat kam es gleich auf der ersten Sitzung für die Ausarbeitung der Gipfeldokumente. Die SED legte am 8. April 1975 einen Entwurf vor, der — von Moskau inspiriert — auf eine Stärkung der Aktionseinheit der europäischen Kommunisten hinauslief. Darin waren Formeln wie „Entscheidungen werden nur in gemeinsamer Ubereinstimmung (Konsens) gefällt“ und ähnliches enthalten. Jugoslawien protestierte schärfstens.

Die Antwort der Dogmatiker bestand zunächst aus einem taktischen Rückzug. Dieser manifestierte sich in Äußerungen wie jener des DDR-Ideologen Hermann Axen, „es kann und wird nicht die Absicht der Konferenz sein, konkrete Ziele für die Arbeit jeder einzelnen Partei zu erarbeiten“:

In der Krise schuf man einen Krisenstab, nämlich einen Unterausschuß aus Vertretern von acht Parteien — Jugoslawien, Rumänien, Italien und Spanien auf der „Reformerseite“; UdSSR, DDR, Frankreich und Dänemark auf der ..Dogmati -kerseite“. Die erste Sitzung des Unterausschusses fand am 12. Mai 1975 in Ost-Berlin statt. Allerdings — der Stuhl des jugoslawischen Delegierten blieb leer. Um ihre Unabhängigkeit zu demonstrieren, hatten die Belgrader Führer ihren internationalen Sekretär, Alexander Grlickov, statt dessen für vier Tage nach - Moskau entsandt, wo er mit seinem sowjetischen Amtskollegen Boris Ponomarew Kontakt nahm. In einer schriftlichen Botschaft an die Vorrundenteilnehmer unterstrich Belgrad noch einmal seine ablehnende Haltung. Laut „Nouvel Obser-vateur“ vom 2. Juni 1975 legten auch Italiener und Spanier solche Statements nieder, während die Rumänen reklamierten, die Konferenz dürfe keine außenpolitischen Richtlinien ausgeben, also keine gemeinsamen Standpunkte im sowjetisch-chinesischen Konflikt formulieren.

Der Krisenausschuß tagte noch zweimal, Anfang und Mitte Juli dieses Jahres, ohne daß sich die Standpunkte einander annäherten. Beobachter werteten dies bereits als einen Teilerfolg der „unabhängigeren Parteien“. Die SED, so heißt es, habe ihr provokatives Dokument inzwischen modifiziert. Aber offenbar noch nicht in jenem Maß, wie es die „Unabhängigen“ wollen. So erklärte der Sprecher der KPI, Sergio Segre, in einem am 2. September 1975 in der „Unitä“ veröffentlichten Interview, es „bestehen auch über den zweiten ostdeutschen Entwurf noch große Meinungsverschiedenheiten“.

Laut „Unitä“ sagte Segre, der Entwurf enthalte einige nicht akzeptable Passagen, vornehmlich in bezug auf Portugal.

Unterdessen mehrten sich auch Anzeichen dafür, daß die französische KP, der man unflexible Loyalität Moskau gegenüber nachsagt, ebenfalls eine recht kritische Haltung einnimmt. Ihr Zentralorgan, „L'Humanite“, bekräftigte am 14. Mai 1975, daß. die KPF „nicht weniger unabhängig als die Jugoslawen oder die Italiener“ sei. Das Blatt schrieb, die eigentliche Frage sei, ob die Entspannungspolitik sich mit dem weltweiten Kampf gegen den Imperialismus vereinen lasse. Oder „ob man aus diplomatischen Erwägungen, oder nationalen Rücksichtnahmen“ auf diesen . Kampf verzichten solle...

KPF-Führer George Marchais ging auf einer Pressekonferenz am 8. August 1975 in Paris noch einen kleinen Schritt weiter. Er sagte damals: „Wir werden das“ Schlußdokument nur unterzeichnen, wenn es im Einklang mit unserer eigenen Politik steht. Wenn das nicht der Fall ist unterzeichnen wir nicht... Ich würde sehr überrascht sein, fände diese Konferenz vor dem Februar 1976 statt wie manche Leute meinen... Die Vorbereitungen dafür laufen sehr langsam.“

Überraschend an dieser Äußerung

Marchais': Niemand hatte zuvor d£s Februar-Datum genannt. Der französische KP-Führer mutmaßt offenbar, daß die KPDSU vor ihrem eigenen 25. Parteitag, der im Februar des nächsten Jahres abgehalten werden soll (man rechnet dabei mit dem Rücktritt Bresch-njews) keine bindenden internationalen Beschlüsse fassen möchte.

Denn die KP-Paneuropa-Konfe-renz kann nur zwei Hauptinhalte haben, nämlich die Festigung des Führungsanspruches der sowjetischen Partei und damit in Zusammenhang die totale Isolierung der Volksrepublik China innerhalb der kommunistischen Bewegung. Offiziell wird eine solche Absicht natürlich bestritten: „Wenn jemand die chinesische KP isoliert“, so schrieb die „Prawda“, „dann sind es Mao Tse-tung und seine Clique selbst, die den Marxismus-Leninismus veiv raten und den offenen Kampf gegen die Interessen der Werktätigen • in allen Ländern aufgenommen haben.“

Und noch ein anderes Faktum behindert die Herren in Moskau am Abwickeln der Ostberliner Polit-Show. Der spanische KP-Führer Santiago Carrillo hat es offen ausgesprochen: „Während dieser Konferenz werden wir das Recht des Genossen Dubcek verteidigen; seine Ansichten in Prag frei äußern zu dürfen.“

Fazit: Während die westliche Weit in Helsinki ihren Hof knicks vor den neuen Zaren machte, formierten sich deren ehemalige Kammerdiener, ünj den Aufstand zu proben. Auf den Ausgang der Machtprobe kann man gespannt sein.

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