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Kampf an zwei Fronten

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Frankreichs Linke befindet sich in einer ausweglosen Lage. Die sozialistische Partei ist zu einem Zweifrontenkrieg gegen die Opposition und die Kommunisten gezwungen.

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Frankreichs Linke befindet sich in einer ausweglosen Lage. Die sozialistische Partei ist zu einem Zweifrontenkrieg gegen die Opposition und die Kommunisten gezwungen.

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Zusätzlich verunsichert werden Frankreichs Sozialisten durch die unverkennbare Absicht Präsident Francois Mitterrands, auch dann an der Macht zu bleiben, wenn er mit einer Koalition ohne sozialistische Beteiligung nach der Parlamentswahl im März 1986 regieren muß. Die erhoffte Verbesserung der wirtschaftlichen Gleichgewichte und der Konjunktur ist in weite Ferne gerückt. Sämtliche Indikatoren lassen eine Verschlimmerung befürchten, so daß das Regierungslager von dieser Seite her keinen Auftrieb erwarten darf.

Augenblicklich sieht niemand, wie eine Erhöhung des Fehlbetrags des laufenden Haushalts von 120 auf 160 Milliarden Francs verhindert werden könnte, wie sich zur Vermeidung einer weiteren Aufstockung des Defizits 1986 die Ausgaben um 40 Milliarden Francs komprimieren lassen, zumal mindestens 20 Milliarden mehr für den Schuldendienst aufgebracht werden müssen, und wie die sich abzeichnenden Löcher der Sozial- und Arbeitslosenversicherung gestopft zu werden vermögen.

An die Stelle des vorausgesagten leichten Uberschusses der Handelsbilanz wird ferner ein Def izit von mindestens 20 Milliarden Francs treten, so daß ein Abbau der Auslandsschuld außer Reichweite liegt. Die Eindämmung der Inflation bleibt ebenfalls hinter den offiziellen Prognosen zurück, während die Arbeitslosigkeit in den letzten Monaten vor der Wahl unweigerlich ihre Aufwärtsbewegung fortsetzen wird.

Die Kommunisten sind zu einer erbarmungslosen Opposition gegen die Sozialisten und vor allem gegen Mitterrand entschlossen. Sie sind sogar bereit, indirekt der Opposition in die Hände zu arbeiten, um ihren ehemaligen Verbündeten derartig zu schwächen, daß Mitterrand zurücktreten muß. Neuerdings erwägen sie außerdem, die in den Gemeinden mit den Sozialisten abgeschlossenen Bündnisse zu kündigen, um sich jeder Mitverantwortung für die Verwaltung des Landes zu entziehen.

Es wird zwar ihrer Gewerkschaft nicht gelingen, die Massen auf die Straße zu bringen, aber auch sie dürfte jede Gelegenheit ausnützen, um das Wirtschaftsleben zu stören. Keine politische Entscheidung der Regierung findet bei den Kommunisten Gnade.

Mit besonderer Erbitterung läuft die KPF gegen die Außenpolitik und die europäische Zusammenarbeit Sturm. Selbst die wohl hauptsächlich aus taktischen Gründen von Moskau und einigen kommunistischen europäischen Parteien gebilligte Europainitiative für die technologische Kooperation wird von ihnen in Grund und Boden verdammt.

Die Sozialisten haben sich bisher große Mühe gegeben, eine offene Polemik mit den Kommunisten zu vermeiden, weil sie sehr wohl wissen, daß sie dadurch ihre eigene Position schwächen und sie ihre Kräfte auf den Kampf gegen die liberal-konservativen Parteien konzentrieren müssen. Es ist aber unvorstellbar, daß sie noch lange die gezielten Provokationen der Kommunisten stillschweigend hinnehmen. Der Wahlkampf wird daher bald zu einem heftigen Zusammenprall zwischen den beiden Linksparteien führen.

Mitterrand gibt sich sicherlich nicht mehr der Illusion hin, im nächsten Parlament wieder über eine Linksmehrheit zu verfügen. Um nicht das Gesicht zu verlieren, benötigt er einen relativen Erfolg der politischen Kräfte, die. ihm den Sieg in der Präsidentenwahl gesichert hatten.

Wenn auch die Sozialisten weiterhin den Kern bilden, will er zusätzlich alle diejenigen um sich scharen, die ihm 1981 ihr Vertrauen geschenkt hatten, ohne parteimäßig gebunden zu sein. Daher der Plan einer republikanischen Front als Sammelbecken für die sozial fortschrittlichen und gleichzeitig wirtschaftlich realistischen Elemente des Landes.

Wenn es ihm gelingt, auf diese Weise mindestens 30 Prozent der Wähler hinter sich zu versammeln, verfügt er für die Koalitionsverhandlungen mit den Oppositionsparteien über eine ausreichende Rückendeckung, um nicht kapitulieren zu müssen. Ziehen dagegen die Sozialisten allein in den Wahlkampf und bringen sie es lediglich auf 20 bis 22 Prozent der Stimmen, während es gleichzeitig den kleinen Linksgruppen kaum gelingen würde, die 5-Pro-zent-Hürde zu überwinden, besäße Mitterrand keine Bewegungsfreiheit mehr und stünde vor der Wahl, entweder sich zu verleugnen oder abzutreten.

Praktisch bedeutet dieses taktische Spiel, daß die sozialistische Partei in den Hintergrund tritt, Premierminister Laurent Fabius sich an die Spitze der republikanischen Sammelbewegung stellt und auf die Kandidatenlisten eine ausreichende Zahl nicht parteisozialistischer Personen setzt, damit sie die gewünschte Anziehungskraft auf die teilweise noch unentschlossenen Linkswähler ausübt.

Die sozialistische Partei sträubt sich verständlicherweise gegen diesen Opfergang, zumal sie keine Gewähr dafür besitzt, nach der Wahl nicht beiseite geschoben zu werden, weil sie einer Verständigung Mitterrands mit dem bürgerlichen Lager im Wege steht. Während der IV. Republik nach dem Zweiten Weltkrieg erwies sich außerdem ihre Zusammenarbeit mit der linken und rechten Mitte als verhängnisvoll. Ihr Stimmanteil sank schließlich auf etwas über 5 Prozent ab.

Die bessere Lösung ist für sie, unabhängig von der Entscheidung Mitterrands in die Opposition überzugehen, weil sie dann wenigstens ihre Zukunftschancen behält. Dann muß sie aber ihren Wahlkampf unter ihrer eigenen Flagge führen und mit einigen ideologischen Argumenten ihren Eigencharakter betonen.

Es bestand infolgedessen eine nicht leicht zu überbrückende Kluft zwischen Fabius, dem Beauftragten Mitterrands, und dem sozialistischen Generalsekretär Lionel Jospin - ein Streit, der am vergangenen Wochenende allerdings für beendet erklärt wurde.

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