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Kampf um die Sonnenstadt

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Beim Spectaculum 83 in der Wiener Universitätskirche wird ein Fronleichnamsspiel der Jesuiten mit verborgenen symbolischen Bezügen als Ballett zu neuem Leben erweckt.

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Beim Spectaculum 83 in der Wiener Universitätskirche wird ein Fronleichnamsspiel der Jesuiten mit verborgenen symbolischen Bezügen als Ballett zu neuem Leben erweckt.

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Die Vorlage zum Ballett bietet ein Fronleichnamsspiel aus dem Jahre 1684. Wie das Titelblatt des gedruckten Textes ausweist, wurde es am 4. Juni, dem Fronleichnamssonntag dieses Jahres, zur Prozession, die von der Kirche des Linzer Jesuitenkollegs (heute: Alter Dom) ihren Ausgang nahm, in Anwesenheit Kaiser Leopolds I. und seiner Gemahlin Eleonore dargeboten.

Schüler des Kollegs, deren Namen überliefert sind, haben die von dem Jesuiten Heinrich Junk- ker in lateinischer Sprache verfaßten und vom kaiserlichen Hoforganisten Tobias Ferdinand Richter vertonten Texte vor getragen. Die fünf Teile — Prolog, drei Auftritte, Epilog — lassen an eine Verteilung auf vier Stationsaltäre und (für den Abschluß mit Te Deum) das Kircheninnere denken.

Das Stück ist ein klassisches Beispiel belehrenden und ermunternden Jesuitentheaters, wobei sich Belehrung und Ermunterung sehr direkt auf den Kaiser beziehen.

Der Titel .Altera Bethlehem“ oder (zweites) Haus des Brotes“ ist bereits das Programm (Bethlehem — nach hebräischer Deutung aus beth=Haus und lech- em=Brot zusammengesetzt und auf die fruchtbare Umgebung des Ortes hinweisend):

Das Haus Österreich soll sich auch weiterhin als ein zweites Bethlehem, als Haus des euchari- stischen ‘Brotes erweisen, und zwar „in ererbter Frömmigkeit“.

Schon Rudolf I. von Habsburg, der Begründer der Dynastie, hatte ja, wie es immer wieder neu erzählt wurde, dem sakramentalen Leib des Herrn seine tiefe Verehrung gezollt. Er war, als ihm ein Priester begegnete, der eben einem Kranken die Kommunion brachte, vom Pferd gestiegen und hatte den Geistlichen mit dem Allerheiligsten aufsitzen lassen.

Und was später besonders hervorgehoben wurde: das war im selben Jahr 1264 geschehen, in dem Papst Urban IV. das Fronleichnamsfest allgemein einführte’.

Dem Beispiel des „Grafen von Habsburg“ (wie Schiller sein Gedicht über schrieb) eiferten in der Folgezeit viele seiner Nachkommen nach. So schreibt etwa der Jesuit und kaiserliche Beichtvater Lamormaini über Ferdinand II.: Wenn dem Kaiser ein Priester mit dem Venerabile begegnete, „folgete er allezeit nach dem löblichen Exempel Rudolphi des Ersten. Alsbald spränge er mit Ehr- erbiettung aus dem Wagen, boge sein Knye, auch auf khotiger Erden, bettet an seinen Haylandt“ und begleitet den Priester zum Kranken.

Nicht von ungefähr scheint darum übrigens im Zusammenhang mit der Fronleichnamsprozession oft der Begriff vom „Begleiten der theophorisch voranziehenden Göttlichen Majestät“ verwendet zu werden. Es verwundert auch nicht, daß gerade in der besonders von den neuen Orden der Kapuziner und Jesuiten getragenen katholischen Erneuerung des 16. und 17. Jahrhunderts die Verehrung und der regelmäßige Empfang der Eucharistie großen Stellenwert hatten und im Verein mit der ererbten eucharistischen Frömmigkeit der Habsburger auch ge- genreformatorische Bedeutung erhielten.

Bei aller kritischen Beurteilung der angewandten Mittel wird man ihren Vertretern den ehrlichen Glauben an die Heilsbedeutung des Sakramentes für alle Menschen glauben. Diese Heilsbedeutung hatte für sie mindestens dieselbe Plausibilität wie für viele heutige — man verzeihe den Vergleich auf beiden Seiten: — eine demokratische Lebens- und Regierungsform.

Der oft ganz willkürliche Gebrauch von biblischen Texten, die Heranziehung von astronomischastrologischer sowie mythologischer Symbolik, die Verwendung allegorischer Figuren und ein aus der alttestamentlichen Königsund Bundestheologie schöpfendes christliches Glaubensverständnis sind für den uneingeweihten Zeitgenossen sicher verwirrend und für den gläubigen Christen heute nicht mehr vollziehbar. Gerade ihn aber müßte dieser ganze geistige Kosmos barocken Glaubensdenkens zu einer ähnlich zeitgemäßen Geschichts- und Weitsicht seiner Zeit herausfordern.

Dem Spiel vorangesetzt ist im gedruckten Textbuch eine „Argumentum“ genannte thematische Einführung. In kunstvoll überladenem Latein werden die vergangenen vier Jahrhunderte österreichischer Geschichte im Lichte der überkommenen eucharistischen Frömmigkeit gedeutet - wie auch früher schon der Jesuit Paul Gu- alterius das Wort „Österreich“ zu „Hosty-reich — Hostiae Imperium“ abgewandelt hat. Dabei fällt der Gebrauch einer — wiederum nur vom Alten Testament und den Kriegen Israels her verständlichen — militärisch-kämpferischen Sprache besonders auf.

Ähnlich wie die Propheten Israels ihre Könige immer wieder vor menschlichen Bündnissen gewarnt und zur Treue gegenüber dem göttlichen Bundespartner aufgefordert haben, wird hier dem Kaiser und mit ihm dem ganzen Volk zur Erneuerung des

Bundes mit dem „Eucharistischen Gott“ geraten.

Um diese Bundeserneuerung gehtesindemFronleichnamsspiel.

Zu Beginn wird in ęiner deutenden Inhaltsangabe auf dem Hintergrund der astronomischen Situation zur Zeit der Entsetzung Wiens (am Sonntag, 12. September 1683) die Zurückdrängung der Türken symbolisch veranschaulicht. Dabei gilt der Mond als Wahrzeichen der Türken. Die Anspielung bezieht sich auf den türkischen Halbmond, hier auch „thrakischer Mond“ genannt.

Dazu wird die allegorische Bibelauslegung des Kirchenlehrers Origenes zu Josua 10 — vom wunderbaren Stillstand der Sonne während einer Schlacht — zitiert. Im übrigen wird am Ende des Prologs, als der Chor Wien zur „Sonnenstadt“ erklärt, ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der Befreiungstag, der 12. September 1683, ein „dies Solis“, ein „Sonntag“ war. Mit dem eucharistischen Brot wird ferner natürlich die Spica (lat. „Kornähre“), der hellste Stern im Sternbild der Jungfrau (wobei sicher an die Jungfrau Maria zu denken ist), in Zusammenhang gebracht. In die von diesem Tierkreiszeichen beherrschte Periode (23. August bis 22. September) fällt aber — gerade als die Sonne in der Ähre steht — die Befreiung Wiens.

Die Symbolik ist aber noch nicht zu Ende gedacht: das gewaltige Entsatzheer hat, der Masse der Erdkugel vergleichbar, die (eucharistische) Sonne hinter sich, sodaß es zur Verfinsterung des (türkischen) Mondes kommt, und er schließlich „in sein eigenes Haus des Krebses zurückgedrängt wird“: in die Krebs-Periode des Jahres 1684 (22. Juni bis 22. Juli) fallen tatsächlich entscheidende Siege über die Türken. Wenn der vorliegende Text nicht erst bei einer nachträglichen Drucklegung eingefügt wurde, dann handelt es sich dabei — da ja bereits am 4. Juni aufgeführt — sozusagen um Prophezeiung aus fester Hoffnung. Man fand ein „glückliches Omen“, das als .Abnahme des osmanischen Mondes“ in Erfüllung ging.

Denn nicht um Astrologie im eigentlichen Sinn geht es in diesem Spiel — gegen die ja gerade die Jesuiten in dieser Zeit zu Felde zogen—, sondern um symbolisch-allegorische Deutung und Verdeutlichung der Geschichte, die sich einiger astronomisch-astrologischer Begriffe und Vorstellungen bedient. Die wirkliche Sonnenfinsternis von 1654 hat nicht, wie es vorher Professoren und Ärzte angekündigt hatten, die Überwältigung des Römischen Reiches durch die Türken und damit das Jüngste Gericht gebracht—der Jesuitendichter Jakob Balde machte sich 1662 in seiner Satire „Son- nenfinsterniß“ darüber lustig; die türkische „Mondfinsternis“ hat, wenn auch nicht am Himmel, so umso wirklicher in der Geschichte stattgefunden. (Siehe dazu auch Beiträge auf den Seiten 11 und 16).

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