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Kampf um gute Jobs?

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Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist ein Eckstein des geplanten Binnenmarktes der EG. Welche Auswirkungen hätte ein Beitritt Österreichs auf den heimischen Arbeitsmarkt? Auf in- und ausländische Arbeitnehmer?

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Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist ein Eckstein des geplanten Binnenmarktes der EG. Welche Auswirkungen hätte ein Beitritt Österreichs auf den heimischen Arbeitsmarkt? Auf in- und ausländische Arbeitnehmer?

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Der Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (siehe Kasten) wäre nach einem EG-Beitritt Österreichs selbstverständlich auch im Bundesgebiet verbindlich. Was würde die Geltung dieses Prinzips bedeuten?

• Den Staatsbürgern der Mitgliedstaaten müßte die Einreise ins Bundesgebiet ohne Sichtvermerk erlaubt werden, wenn sie in Österreich Arbeit suchen oder dort eine konkrete Tätigkeit als Arbeitnehmer aufnehmen möchten. Wenn sie innerhalb von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Einreise Arbeit finden, müßte ihnen von der Behörde ohne besondere Formalitäten und Auflagen

eine ohne weiteres verlängerbare und mit einer Gültigkeitsdauer von fünf Jahren versehene Aufenthaltserlaubnis ausgestellt werden. Auch den nahen Verwandten dieser Arbeitnehmer müßte die Einreise ins Bundesgebiet erlaubt und eine gleichlautende Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Den nach Österreich zur Arbeitssuche eingereisten Arbeitskräften aus anderen Mitgliedstaaten, die innerhalb von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Einreise keine Arbeit gefunden haben, stünde hingegen kein Anspruch auf Ausstellung einer solchen Aufenthaltserlaubnis zu.

• Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen Staatsbürger eines anderen Mitgliedstaates, die in Österreich einer Beschäftigung nachgehen, beziehungsweise gegen deren Familienangehörige wäre nicht in all den im Fremdenpolizeigesetz angeführten Fällen möglich. Nur wenn das Verhalten des Arbeitnehmers oder eines seiner Familienangehörigen eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt, wäre eine Beschränkung des Aufenthaltsrechts, insbesondere die Verfügung eines Aufenthaltsverbots, zulässig.

• Arbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten, die pensions- oder invaliditätsbedingt aus dem Erwerbsleben ausscheiden und eine bestimmte Wartezeit erfüllt haben, müßte eine Aufenthaltserlaubnis auch für die Zeit nach Beendigung der Beschäftigung ausgestellt werden. Dieses Recht stünde auch den nahen Angehörigen dieser Personen zu.

• Die Beschäftigung von Staats

bürgern anderer Mitgliedstaaten durch österreichische Arbeitgeber wäre unbeschränkt erlaubt. Insbesondere wäre die Beantragung einer Beschäftigungsbewilligung oder die Vorlage eines Befreiungsscheins nicht mehr erforderlich. Auch wären besondere, nur für Ausländer vorgeschriebene Gesundheitsuntersuchungen unzulässig.

• Die Staatsbürger anderer Mitgliedstaaten, die in Österreich einer Beschäftigung nachgehen, müßten — sieht man von der Ausübung politischer Rechte ab - grundsätzlich gleich wie Inländer behandelt werden. Insbesondere dürften diese weder hinsichtlich der Arbeitsbedingungen noch hinsichtlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses diskriminiert werden. Die Vorschrift des Paragraph acht Ausländerbeschäftigungsgesetz, wonach der Arbeitgeber bei betriebsbedingten Kündigungen zuerst die Ausländer abzubauen hat, wäre insoweit auf EG-Staatsbürger nicht anwendbar.

Die Gleichstellung müßte sich auch auf die Betriebsverfassung beziehen. So müßte - entgegen dem Paragraph 53 Arbeitsverfassungsgesetz— den Arbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten im Rahmen der Betriebsratswahl auch das passive Wahlrecht zukommen. Schließlich wären diese Personen auch hinsichtlich der sozialen und steuerlichen Vergünstigungen den Inländern gleichzustellen. Das heißt, die verschiedenen Förderungsaktionen der Länder zugunsten der Arbeitnehmer (etwa Fahrtkostenzuschüsse, Verpflegungskostenzuschüsse, Notstandsbeihilfen, Uberbrückungsbeihilfen, Pendlerbeihilfen und so weiter), die zumeist nur Inländern zustehen, müßten bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auch den Arbeitnehmern gewährt werden, die Staatsbürger eines anderen Mitgliedstaates sind. Ähnliches müßte für die Sozialhilfe gelten, die nach einigen Landessozialhilfegesetzen Ausländern nur unter sehr engen Voraussetzungen gewährt werden kann. Die Gleichstellung bei sozialen und steuerlichen Begünstigungen müßte aber auch für die Familienangehörigen gelten. Relevant wäre besonders die Gleichstellung der Kinder der Wander arbeitnehmer hinsichtlich des Zuganges zu Schulen, Lehrgängen und Berufsausbildungsmaßnahmen sowie zu den entsprechenden Förderungen (et

wa zur Schülerbeihilfe nach dem Schülerbeihilfengesetz).

Was bewirken diese gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über die Freizügigkeit im Falle eines EG-Beitritts Österreichs? Die bisherige Abschottung des nationalen Arbeitsmarkts vom Arbeitsmarkt der übrigen Mitgliedstaaten wird weitgehend aufgehoben, und dies hat Chancen und Risken für die österreichischen Arbeitskräfte zur Folge:

Die Chancen bestehen darin,

daß sich österreichische Arbeitskräfte auch in den anderen europäischen Ländern, die der Gemeinschaft angehören, um (zum Teü qualifizierte und hochdotierte) Stellen bewerben, Karrieremöglichkeiten nutzen, persönliche Fähigkeiten weiterentwickeln können. Bedenkt man, mit welchen Schwierigkeiten die Beschäftigung eines österreichi-

sehen Staatsbürgers etwa in Italien oder in Frankreich heute noch verbunden ist, so kann dieser Vorteil gerade für höher qualifizierte Arbeitskräfte, die bereit sind, Mobilität auf sich zu nehmen, nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Die Risken, die mit der Öffnung des nationalen Arbeitsmarktes verbunden sind, liegen dagegen darin, daß sich die österreichischen Arbeitskräfte unter Verlust der traditionellen Vorrangstellung nun gemeinsam mit anderen Arbeitskräften aus EG- Mitgliedstaaten um die freien Stellen, die auf dem heimischen Arbeitsmarkt angeboten werden, bewerben müssen. Insbesondere Arbeitskräfte, die Mobilität scheuen und/oder nicht genügend qualifiziert sind, müssen daher unter Umständen mit einem höheren Arbeitslosigkeitsrisiko rechnen. Das Risiko der Arbeitslosigkeit kann aber durch eine intensive berufliche Aus-, Weiterund Fortbildung wettgemacht werden. Insofern wirkt die aufgezeigte Gefahr letztlich heilsam: Sie zwingt die einheimischen Arbeitskräfte zu höherer Ausbildung und zu intensiverem beruflichem Engagement, um den Wettbewerb mit den übrigen Arbeitskräften der Gemeinschaft zu bestehen; das heißt, sie bewirkt im Endergebnis einen Qualifizierungsschub.

Im übrigen wird bei Zugrundelegung des geltenden Gemeinschaftsrechts der heimische Arbeitsmarkt ohnehin nicht unbeschränkt geöffnet: Das bestehende System der Zusammenarbeit der einzelstaatlichen Arbeitsmarktverwaltungen auf EG-Ebe- ne sichert nämlich keine völlige Transparenz des gesamten gemeinschaftlichen Arbeitsmarktes. Darüber hinaus ist nicht zu vergessen, daß, wenn durch ausländischen Druck die Arbeitsmarktlage in einer Region oder in einem Beruf sich bedrohlich verschärfen könnte, der betroffene Mitgliedstaat auf die Aussetzung der im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Ausgleichsverfahren hinwirken kann.

Freizügigkeit der Arbeitnehmer bedeutet im Falle eines EG- Beitritts Österreichs aber auch, daß die nach geltender Rechtslage bestehenden Benachteiligungen der ausländischen Arbeitnehmer in Österreich zumindest in Hinblick auf die Arbeitnehmer, die die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates besitzen, weitgehend beseitigt werden. Das ist aus allgemein sozialpolitischer Sicht durchaus wünschenswert: Nimmt man die Grund- und Menschenrechte ernst, ist nämlich die unterschiedliche Behandlung von in- und ausländischen Arbeitskräften schwer zu begründen. Es fragt sich etwa, warum Personen, die schon lange im Bundesgebiet leben, jedes Jahr um die Verlängerung der Beschäftigungsbewilligung und des Sichtvermerks bangen müssen, im Betriebsrat nicht vertreten sein dürfen, im Bedarfsfälle Sozialleistungen und soziale Vergünstigungen des Staates, der Länder oder Gemeinden nicht in Anspruch nehmen können. Der österreichische Gesetzgeber hat durch die jüngst in Kraft getretene Novelle des Ausländerbeschäftigungsgesetzes diese Bedenken auch schon aufgegriffen und die Rechtslage für die „Ausländer der zweiten Generation“ grundlegend verbessert. Die Gleichbehandlung der Wanderarbeitnehmer würde nichts anderes als eine konsequente Weiterentwicklung dieses rechtspolitisch begrüßenswerten Ansatzes sein. Insofern würden die gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsbestimmungen keine bedenkliche Situation schaffen, sondern eher dazu beitragen, bedenkliche Aspekte der geltenden Rechtslage zu beseitigen.

Der Autor ist Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Wirtschaftsuniversitit Wien.

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