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Kampf um Riffe

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Während die Besuche Präsident Nixons in Peking und Moskau Änderungen im Kräftespiel der Weltmächte erwarten lassen, steht diese Entwicklung auch im Zeichen heftiger Auseinandersetzungen zwischen drei asiatischen Ländern. Denn sowohl Japan als auch Peking und Taiwan erheben Ansprüche auf ein neuentdecktes, ungemein ausgedehntes Erdölgebiet unter dem Meeresboden, dessen Größe von Experten auf sechs bis siebentausend Quadratkilometer geschätzt wird.

Durch die Besitznahme dieses Gebietes würde eines der Anspruch erhebenden Länder, nämlich Japan, das derzeit fast die Gesamtmenge des benötigten Edöls aus anderen Teilen der Welt einführt, von ausländischen Erdöllieferungen unabhängig werden. Das umstrittene Erdölgebiet befindet sich im weiten Umkreis der ungefähr 200 Kilometer nordöstlich der Nordspitze von Taiwan liegenden Senkaku- (chinesisch: Tiao Yu-tai) Inseln. Sie waren bisher so gut wie unbewohnt und bestehen aus acht kleinen Riffen, von denen das größte 70, das kleinste nur 20 Hektar umfaßt. Allein im nicht allzu weiten Umkreis der Inselgruppe liegen schätzungsweise 15 Millionen Tonnen Erdöl unter dem Meeresboden.

Schon im Vorjahr berichteten Gewährsmänner, daß infolge der schon damals zu erwartenden Anspruchserhebung nicht nur Japans, sondern auch Rotchinas auf dieses Gebiet, Regierungskreise in Taiwan mit zunehmender Besorgnis die Neigung gewisser an ölfragen interessierter amerikanischer Kreise registrierten, Washington zu einer Rotchina-freundlicheren Politik zu bewegen.

Zunächst befleißigte sich Peking einer abwartenden Haltung. Jetzt aber fordert Rotchina energisch Hoheitsrechte über diese Inseln, die sich seit den Tagen der chinesischen Ming-Dynastie in chinesischem Besitz befanden, so daß heute auch Taiwan Ansprüche auf sie erhebt. In vergangenen Zeiten landeten vornehmlich chinesische Fischer auf den Inseln, die dann später von Japan erobert und in die Präfektur Oki-nawa eingegliedert wurden, aber nach dem Ende des zweiten Weltkriegs wieder an China kamen. Die Rechtslage ist undurchsichtig und führte kürzlich dazu, daß sich in Hongkong Maoisten und Nationalchinesen zu einer gemeinsamen Demonstration gegen die Ansprüche Japans auf die Inselgruppe zusammenfanden! Tschiangkaischek war einer der ersten, der die große Bedeutung dieser Ölvorkommen, zu würdigen verstand und bald nach ihrer Entdeckung auf ein Fait accom-pli hinarbeitete, indem er vier große westliche Erdölgesellschaften veran-laßte, in „sein” ölgebiet eine Anzahl leistungsfähiger Bohrschiffe zu entsenden und in die Bohrungen viel Kapital zu investieren. Daraufhin wandte sich Japan mit einer Darstellung seiner nach japanischer Ansicht berechtigten Ansprüche auf Hoheitsrechte in diesem Erdölgebiet an die USA, mit dem Ersuchen, die von großen amerikanischen Erdölgesellschaften in Zusammenarbeit mit Nationalchina vorgenommenen Bohrungen zu unterbinden. Um durch eine eindeutige amerikanische Stellungnahme die Beziehungen der Vereinigten Staaten entweder mit Japan oder mit Nationalchina nicht zu belasten, erwägt man jetzt angeblich in

Washington den Ausweg, die streitenden Parteien zu veranlassen, sich mit dem Ersuchen um eine Entscheidung in der Frage der Hoheitsrechte an die Vereinten Nationen zu wenden.

Wie schon erwähnt, wird in Taiwan vermutet und manchmal sogar behauptet, daß die heikle Frage der oben erwähnten Hoheitsrechte auch mit der Neuorientierung der gesamten amerikanischen Chinapolitik in Verbindung steht, somit das Kräftespiel der großen Weltmächte beeinflußt und noch komplizierter gestaltet. Sogar Japan steuert heute einen unklaren Kurs: So will Premierminister Sato mit Moskau verhandeln, ohne seine Beziehungen zu Peking zu verschlechtern. Und weitblickende Asienkenner betrachten gerade Japan als eines, wenn nicht sogar das Zünglein an der Waage der kommenden Weltentwicklung; es gibt auch amerikanische Experten, die eine Verschmelzung der erstaunlichen Leistungsfähigkeit des in kurzer Zeit zur drittgrößten Industriemacht der Welt gewordenen Japan mit dem gewaltigen Potential des über mehr als ein Viertel der ungehobenen Bodenschätze der Erde verfügenden Großchina befürchten, eine Verschmelzung, die — selbstverständlich auf lange Sicht — die ganze übrige Welt an die Wand drücken könnte. Sowohl in materieller wie in geistiger Hinsicht sei ja Japan für eine solche Rolle geeignet, da es zwar das „unasiatischeste Land Asiens” sei, aber nach Ansicht tiefschürfender Beobachter in geistiger Hinsicht trotz allem „unabendländisch” geblieben sei. So beeinflußt die jetzt vor sich gehende heftige Auseinandersetzung zwischen Peking, Taiwan und Japan in der Frage der neuentdeckten riesengroßen Ölvorkommen in Ostasien die gesamte künftige Weltentwicklung in einem Ausmaß, das eine weit größere Beachtung von Seiten der Weltöffentlichkeit rechtfertigen würde.

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