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Kampf um Trudeaus Erbe

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Am 17. Juni wird von 3400 Delegierten der liberalen Regierungspartei ihr neuer Führer und damit Kanadas neuer Regierungschef auserkoren. John Turner (54), Sohn einer Bergmannstochter, deren Gatte frühzeitig starb, ist der klare Favorit, Ministerpräsident Pierre Trudeau nachzufolgen, der seit 1968 im kanadischen Premierministersitz, 24 Sussex Drive in Ottawa, residiert.

John Turner wurde 1962 Abgeordneter und drei Jahre nachher Minister. 1968 kandidierte er für die Parteiführung der Liberalen, doch Pierre Trudeau siegte. „König Pierre" betraute ihn mit dem Finanzressort, das als „Grab politischer Ambitionen" bezeichnet wird.

Ein Konflikt mit Trudeau ver-anlaßte Turner 1975 zum Rücktritt — und zum Auszug aus der politischen Arena. Er wurde ein Star-Anwalt und Direktor großer Konzerne in Toronto.

Während Turner dem rechten Flügel der Liberalen angehört und sich von Trudeaus Politik distanziert, ist Energieminister Jean Chretien (50) ein „Trudeau-Loyalist." Er ist Turners schärfster Rivale um die Nachfolge Trudeaus und 52 Abgeordnete und Senatoren unterstützen seine Kandidatur.

Chretien, wie Turner Jurist, war das zweitjüngste von 19 Kindern eines Maschinisten. Der „Panthersprung" der Chretiens zur finanziellen Elite der Nation ist bemerkenswert. Jean Chretiens Tochter France heiratete Andre

Desmarais, Sohn des Chefs der mächtigen „Power-Corporation", einer der reichsten und einflußreichsten Männer Kanadas.

So sicher waren sich aufgrund ihres Abschneidens bei Wählerbefragungen und der Animosität weiter Bevölkerungskreise gegenüber Trudeau die sich in der Opposition befindenden Konservativen über ihren Triumph bei den kommenden Wahlen, daß ihr neuer Führer Brian Mulroney sehr vorsichtig taktierte und keine überzeugenden Programme konzipierte. Mit Pierre Trudeau als Widersacher schien der Wahlsieg der Tory-Partei gewiß.

Die Meinungsumfragen bestärkten den enormen Optimismus der Konservativen — bis John Turner als Premierminister-Kandidat auftrat. Die jüngste Gallup-Umfrage bestätigte denn auch: Nicht die liberale Regierungspartei war unpopulär, sonder Pierre Trudeau. Nachdem der Premierminister seinen Rücktritt angekündigt und Turner seine Kandidatur angemeldet hat, führen die Liberalen wieder mit 46 Prozent vor den Konservativen (40 Prozent) und den Sozialisten (13 Prozent). Es war der sensationellste Stimmungsumschwung seit Jahren.

Pierre Trudeau klebte zu lange an der Macht. Die enorme Popularität in seiner Heimatprovinz Quebec ermöglichte es. Zu seinen Schwächen gehören „zu viel Staat" im Wirtschaftsleben, die Verschwendung von Steuergeldern, die Tolerierung eines 42 Tage währenden Poststreiks und der Polit-Flirt mit Kubas Fidel Castro.

Jüngst verärgerte die Auszahlung großzügiger „Bonusse" an zwölf Top-Manger der staatlichen De-Havilland-Flugzeug-werke die Kanadier. Schließlich hatte das Werk im Vorjahr ein Defizit von 250 Millionen Dollar.

Nachfolge-Kandidat John Turner verspricht eine scharfe Kontrolle der Staatsbetriebe, mehr Arbeitsplätze für die Jugend, die Eroberung internationaler Märkte, Modernisierung des Transportsystems, Verbesserung des Umweltschutzes und viele andere „gute Dinge". Und alle Anzeichen deuten heute darauf hin, daß er am 17. Juni tatsächlich Kanada^ nächster Premier werden wird — wenn er nicht stolpert...

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