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Kampfansage an die Bürokraten

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Der mächtigste Mann Chinas, Deng Xiaoping war nicht zu den offiziellen Feierlichkeiten zu Ehren des Chinesischen Neuen Jahres am 25. Jänner erschienen. Dies genügte, um in den darauffolgenden Wochen eine Sturzflut von Gerüchten auszulösen.

Die einen behaupteten, Deng sei einem internen Machtkampf zum Opfer gefallen; die Armee, unterstützt von ehemaligen Maoisten, hätte Deng endgültig auf die Seite gedrängt. Die anderen meinten, seine Abwesenheit, die insgesamt über fünf Wochen dauerte, bedeute den Anfang der seit langem erwarteten Säuberung der Bürokratie. Und so war es denn auch.

Deng Xiaoping, der mit schier unfaßbarem Elan die Zügel Chinas seit 1977 in der Hand hat, machte sich durch seine pragmatische Politik viele Feinde innerhalb des Regierungsapparates. Innerhalb kürzester Zeit entmachtete er alle seine Gegner oder jene, die mit ihm grundsätzlich nicht einer Meinung waren. Eines seiner prominentesten Opfer war der ehemalige Mao-Erbe Hua Guofeng, der letztes Jahr ein Trostpflaster als letzter Vizevorsitzender bekam.

Dazu kam, daß Deng die Volksbefreiungsarmee mehr oder weniger als Stiefkind behandelte — so empfanden es zumindest die hohen Generäle. Als Soldaten und indoktrinierte Maoisten hatten sie wenig für die von Deng propagierte Modernisierung und die Liberalisierung des chinesischen Alltagslebens übrig.

Aber wenn Deng auch alles andere als ein Liebkind der Armee ist: Es war ganz einfach unwahrscheinlich, daß er sich so plötzlich und ohne Vorbereitung aus der aktiven Politik zurückziehen würde.

Nach der Rückkehr Dengs von einer Inspektionsreise in den Süden des Landes platzte dann die Bombe. Unterstützt von Parteichef Hu Yaobang und Ministerpräsident Zhao Ziyang kündigte er einen Schlag gegen die überwuchernde Bürokratie an: das kommunistische Kadersystem soll reformiert, die Machtstrukturen von Parteiapparat, Regierungsverwaltung und Armeeführung sollen radikal geändert werden — insgesamt eine gewaltige „Revolution", die in China einiges in Bewegung setzen wird.

Mit etwa 20 Millionen Mann ist die chinesische Staatsbürokratie die größte der Welt — und, wie oft behauptet wird, die unfähigste.

53 Minister, 515 Vizeminister und etwa 20 Millionen Kader (Beamte) im ganzen Land sollen die zentrale Politik Pekings ins Volk tragen. Die Gesamtzahl der Staatsbeamten macht zwei Prozent der Bevölkerung Chinas aus.

Deng und seine Schützlinge im Politbüro - Zhao Ziyang, Hu Yaobang, Chen Yun - wollen dies ändern. Durch die Jahre der Kulturrevolution war eine Unmenge von Kadern hochgekommen — zum Teil nur deswegen, weil sie die damalige Linie unterstützten.

Andererseits hatte man nach dem Tod Maos viele ehemalige und unter Mao in Ungnade gefallene Kader wieder hervorgeholt und ihnen oft Posten gegeben, die eigens für sie kreiert wurden. Denn bürokratische Macht zu besitzen bedeutet in China viel.

Aber nun muß dies offensichtlich geändert werden, denn sonst kann das ehrgeizige Modernisie-rungs- und Rationalisierungsprogramm Dengs und seiner Leute nicht verwirklicht werden.

Drei Gruppen von Kadern sind Hauptziele der nun begonnenen Säuberungskampagne: korrupte, zu alte und zu linke Kader.

Durch ihre politische Macht, ihre Beziehungen und ihren Status innerhalb der Gesellschaft haben sich viele Kader lukrative Nebengeschäfte eingerichtet: Schmuggel, Bestechung, Schwarzgeld und Protektion gehören bei diesen Leuten zur Tagesordnung. Erst vor kurzem ist ein leitender Beamter in Kanton wegen Schmuggels und Bestechung zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Dies war der erste Warnschuß.

Deng selber erklärte, daß er 1985, im Alter von 80 Jahren, freiwillig aus der Tagespolitik scheiden wird, um Jüngeren Platz zu machen. Viele der hohen Funktionäre sind weit über siebzig oder älter.

Dengs vorübergehendes Verschwinden wurde zuerst auch dahingehend gedeutet: Er habe für die übrigen alten Herren in der Zentralregierung beispielgebend handeln wollen und sei auf die zweite Linie ausgewichen. Dies wurde jedoch am 22. Februar von einem Sprecher des Pekinger Außenministeriums als „Gerüchte-macherei" dementiert.

Doch es ist nach wie vor möglich, daß sich Deng zu einem solchen Schritt entschließt, der dann während des heuer stattfindenden 12. Parteikongresses offiziell verkündet werden könnte. Dadurch gäbe es für andere Senioren innerhalb der Regierung keine Ausrede mehr, an der Macht zu kleben.

Vor allem Ye Jianying, 82, von dem man weiß, daß er vielen Entschlüssen Dengs feindlich gegenübersteht und ein bekannter Verehrer Mao Zedongs ist, müßte sich endgültig von der Macht verabschieden. Und so wäre auch das Schicksal vieler zu alter Kader im ganzen Land besiegelt.

Doch die größten Feinde der pragmatischen Politik Deng Xi-aopings sind und bleiben jene Kader, die während der Kulturrevolution hochgekommen sind und ihre Machtstellungen den ehemaligen Feinden Dengs, der Viererbande, verdanken. Denn sie verhalten sich passiv und verhindern vor allem auf der unteren Ebene im ganzen Land die Verwirklichung des Modernisierungsprogramms.

Man kann sie auch schwer anpacken, ohne daß die Säuberung politisch würde: Korrupten kann man Korruption vorwerfen, Alten ihr Alter. Den sogenannten Linken, die einfach nichts tun, ist schwer etwas anzukreiden. Es sei denn, man verurteile sie wegen ihrer politischen Uberzeugung — womit eine pragmatisch gemeinte Säuberung leicht zum politischen Machtkampf ausarten könnte.

Deng und seine Leute scheinen sich dieser Gefahr bewußt zu sein. Sie haben auch lange genug auf eine Gelegenheit gewartet, um das größte Hindernis auf dem Weg zu einer Modernisierung Chinas abzubauen und dieses Vorhaben gut vorbereitet. Alleine 200.000 Beamte der Zeritralregie-rung in Peking stehen auf der Abschußliste.

Ist ihre Berechnung jedoch falsch, so könnte China wieder einmal einen gigantischen Machtkampf ä la Kulturrevolution erleben. Das wünschen sich die Chinesen am allerwenigsten.

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