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Digital In Arbeit

Kampfansage an die „Mäuse“

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Am 6. Mai beginnen Verhandlungen zwischen Regierung und der unabhängigen Gewerkschaft „Solidarität“. Dabei wird auch die Frage des Zugangs der Gewerkschaft zu den Massenmedien und - damit verbunden - auch der „neuen“ Zensur erörtert werden. Wie ist die A usgangslage für diese Gespräche?

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Am 6. Mai beginnen Verhandlungen zwischen Regierung und der unabhängigen Gewerkschaft „Solidarität“. Dabei wird auch die Frage des Zugangs der Gewerkschaft zu den Massenmedien und - damit verbunden - auch der „neuen“ Zensur erörtert werden. Wie ist die A usgangslage für diese Gespräche?

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Am „Bazar“ im Warschauer Arbeiterviertel Praga werden nicht nur Gänse, Schokolade und elektronische Taschenrechner zu Schwarzmarktpreisen umgesetzt, sondern auch - Zeitungen.

Vor allem die Zeitschrift „Solidar- nošč“, das Wochenblatt der unabhängigen Gewerkschaften, die vom hageren katholischen Intellektuellen und Walesa-Intimus Tadeusz Macowiecki gemacht wird.

Die geviften Händler verlangen statt des Normalpreises von 7 Zloty zwischen 200 und 500 Zloty - und bekommen sie auch nach längerem Handeln. Denn die bisherige Auflage der „Soli- darnošč“ ist mit 500.000 weiter unter den Bedürfnissen, gibt es doch schon allein zehn Millionen Gewerkschaftsmitglieder.

Das Handeln mit Zeitungen ist in Polen zwar nicht neu. So wurde schon früher von findigen „Ruch“-Zeitungski- oskverkäufern etwa das stets interessanteste katholische Wochenblatt „Ty- godnik powszechne“ gar nicht erst verkauft, sondern verliehen - zum Dreifachen des Kaufpreises.

Wer glücklicherweise ein Abonnement besaß, konnte sich das spielend mit Sub-Abonnements finanzieren und sogar noch Gewinn daraus schlagen. Bei der Wochenzeitung „Solidarnpšč“ ist das bisher jedenfalls noch nicht in breitem Umfang geschehen. Aus zwei Gründen:

• Die Zeitung gibt so gut wie keine Abonnements aus (nur an andere Verlage, Zeitungen, Institute, Archive usw.)

• Die „Solidarität“-Mitglieder empfinden es - ihre Bewegung ist doch moralisch und hat sogar Philosophen engagiert, die an einer „Ethik der Gewerkschaften“ basteln -unehrenhaft, mitder Zeitung faule Geschäfte zu machen.

Was die „Solidarität“ noch nicht hat, sie aber eigentlich seit dem August 1980 in immer wieder erhobenen Forderungen anstrebt, ist ein Zugang auch zu den elektronischen Medien. Diese werden, noch stärker als die Printmedien, ja vom Pressebüro des ZK kontrolliert, und stehen in letzter Konsequenz unter der eisernen Faust des als „Falken“ geltenden Politbüromitglieds Stefan Olszowski.

Aber mit dem schwindenden politischen Einfluß von Olszowski scheint nun ein Sperriegel zu fallen. Die Regierung hat für die Verhandlungen vom 6. Mai mit der „Solidarität“ bereits angekündigt, was sie der Gewerkschaft in den elektronischen Medien einräumen will:

• Wöchentlich eine Stunde in Radio und Fernsehen für die Gestaltung einer Art Gewerkschaftsmagazins.

• Eine stärkere Berücksichtigung auch indenNachrichtensendungen(vorallem „Dziennik“), wo Vertreter der „Solidarität“ ihre Standpunkte in „wichtigen Fragen, die die Interessen der Arbeiter betreffen“ darlegen sollen - und zwar, bevor sie noch Gegenstand von Verhandlungen mit der Regierung sind.

„So weit, so gut,“, meinen die Polen. Wie gut das sein wird, hängt allerdings davon ab, wie das noch vorhandene Instrument der Zensur eingesetzt wird beziehungsweise wie das neue Zensurge- setz aussehen wird. ,

Seit dem August 1980 hat es, verglichen mit anderen Ostblockstaaten, oh nehin schon gewaltige Veränderungen gegeben.

„Die-Mäuse“, wie die Zensoren im Hauptamt der Zensur in der Warschauer Mysia-Straße (Mäusestraße also) genannt werden, knabbern nur noch recht lustlos und verunsichert an den Bürstenabzügen herum, die ihnen die Redaktionschauffeure bringen. Denn der Widerstand von Chefredakteuren und der Mut in den Redaktionsstuben ist gewaltig gewachsen.

• So schickte der Korrespondent einer Warschauer Zeitung einen Bericht über eine lokale Streikaktion mit der Vorbemerkung: „Entweder der ganze, unveränderte Text - oder nichts.“

• Beim im letzten Moment abgewendeten Generalstreik rief die „Solidarität“ in den Redaktionen an und „bestellte“ sich gewissermaßen die Journalisten, die darüber schreiben sollten - mit dem zarten Hinweis: „Entweder der oder die - oder niemand kriegt einen Einlaß- schein in die Fabrik.“

Ungeachtet dessen gibt es aber noch immer und immer wieder eine „inge- rencija“ (= Intervention) der Zensurbehörde. Das schmückt freilich heute die Journalisten, die es trifft. „Das muß ein guter Kollege sein, der hat in der letzten Woche vier Interventionen gehabt,“ wird neidisch geraunt.

Wie soll in der erneuerten polnischen Gesellschaft die Zensur aussehen?

Dem polnischen Parlament, dem Sejm, sind bisher zwei Entwürfe über die Lockerung der Zensurbestimmungen zugeleitet worden.

• Justizminister Bafia und sein Entwurf sieht vor, daß die Zensur dann einschreiten soll, wenn die entsprechende

Publikation „sich gegen die verfassungsmäßige Gesellschaftsordnung oder die Bündnisse und andere wichtige internationale Interessen der Volksrepublik Polen“ richtet. Die Zensur soll weiterhin wie bisher formal in der Zuständigkeit der Regierung (in der Praxis war es die Partei) liegen.

• Der andere Gesetzesentwurf stammt von der „Solidarität“ und den Vertretern künstlerischer Organisationen. Er will Zensur nur dann, wenn zu „Abschaffung der Gesellschaftsordnung und gegen bestehende Bündnisse“ aufgerufen wird.

Bulletins politischer und gesellschaftlicher Organisationen (also auch der Gewerkschaften) sollen dann von der Zensur überhaupt befreit werden, wenn sie nur für Mitglieder bestimmt sind. Alle Fragen der Zensur sollen in die Zuständigkeit des Parlaments fallen.

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