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Kanadisches Duell

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Der Wahlkampf im zweitgrößten Land der Erde hat begonnen und er wird sehr temperamentvoll geführt werden. Premierminister Pierre Trudeau und sein konservativer Gegenspieler Robert Stanfield kämpfen um ihr politisches Leben. Trudeaus Position scheint prekärer zu sein, da noch keine kanadische Regierung, die im Parlament besiegt wurde, bei den darauffolgenden Wahlen triumphierte.

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Der Wahlkampf im zweitgrößten Land der Erde hat begonnen und er wird sehr temperamentvoll geführt werden. Premierminister Pierre Trudeau und sein konservativer Gegenspieler Robert Stanfield kämpfen um ihr politisches Leben. Trudeaus Position scheint prekärer zu sein, da noch keine kanadische Regierung, die im Parlament besiegt wurde, bei den darauffolgenden Wahlen triumphierte.

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Seit den Oktoberwahlen des Jahres 1972 stimmten die 32 Sozialisten für die liberale Minoritätenregierung, die bloß 109 der 264 Mandate erobern konnte. Zum ersten Mal in der Geschichte Kanadas stolperte eine Regierung über Ihr Budget. Die Sozialisten erzwangen die Niederlage Trudeaus, da das Budget nicht ihre Forderungen berücksichtigt hatte — in erster Linie wirksame Hilfe für den von der Inflation bedrängten „Kiemen Mann.“

David Lewis — der Führer der Sozialisten, der das Signal zum Sturz der Regierung Trudeau gab — ist eine der interessantesten Persönlichkeiten in der politischen Arena Kanadas. Er wurde 1909 als Sohn eines Lederarbeiters in Swislocz (Polen) geboren. Die Familie wanderte 1921 nach Kanada aus. „D. L.“, der auch Französisch und Deutsch spricht, wurde ein erfolgreicher Anwalt, ehe er sich ganz der Politik widmete. Viele Anzeichen deuten darauf hin, daß dies sein letzter Wahlkampf als Führer der Sozialisten ist. Heute haben die Prärie-provinzen Manitoba und Saskatche-wan und British Columbia — „Kanadas Kalifornien“ — sozialistische Regierungen.

Seit seinem Wahltriumph von 1968 — als der mitreißende Redner Kanadier aller Schichten faszinierte — sind viele, die einst im Banne der „Trudeaumania“ waren, „Trudeau-müde“ geworden. Die Wahlparole seiner Partei „Das Land ist stark“ zündete 1972 nicht. Nur der eindrucksvolle Sieg in seiner Heimatprovinz, in der „Grit“ Hochburg Quebec, die 56 Liberale aber nur 2 Konservative nach Ottawa entsandte, ermöglichten es ihm (mit Hilfe der Sozialisten) an der Macht zu bleiben. In allen anderen Provinzen schnitten die Konservativen, die 107 Wahlkreise eroberten, besser ab.

Die Ursachen von Pierre Trudeaus sinkender Beliebtheit sind mannigfaltig. In einem Land, das Nahrungsmittel in Hülle und Fülle produziert, hat man für das rapide Klettern der Lebensmittelpreise weniger Verständnis als anderswo.

Obwohl Kanada unendlich reich an Bodenschätzen ist, die am Weltmarkt immer begehrter werden, sind 5'/2 Prozent der Arbeiter arbeitslos. Die Opposition konzediert der Regierung nur, daß sie viele Arbeitsplätze geschaffen habe — im Staatsdienst. In den ersten fünf Jahren des Trudeau-Regimes stieg die Zahl der Staatsangestellten um 98.000 auf 333.000, die Angehörigen der bewaffneten Macht nicht eingeschlossen.

Die Kette der Streiks reißt nicht ab. In den letzten sieben Jahren gab es allein im kanadischen Staatsdienst 37 Streiks, von denen 32 illegal waren. Dazu gehörte der jüngste, zwei Wochen währende Poststreik. Die Canadian Federation of Inde-pendent Business hat darauf die Regierung — wegen Tolerierunf des illegalen Arbeitskonfliktes — auf 100 Millionen Dollar Schadenersatz geklagt. Vordem streikten auch die Feuerwehrleute der Flugplätze und die Lotsen des St.-Lorenz-Stromes. „Die Regierung ist unfähig oder unwillig, die Wirtschaft zu schützen“, kommentierte Ian Sinclair, Präsident der Canadian Pacific.

Trudeaus Gegenspieler Robert Stanfield (60) entstammt einer Industriellenfamilie an der atlantischen Küste. Er war Premierminister von Nova Scotia, ehe er Führer der Konservativen wurde. Stanfield gilt als guter Administrator, er geht als leichter Favorit in den Wahl kämpf, hat aber weder Trudeaus Charisma noch brennt er rhetorische Feuerwerke ab. Er ist unermüdlich, solid, farblos.

John Napier Turner, der Finanzminister, einer der attraktivsten jungen Politiker, gilt als „Kronprinz“ der liberalen Regierungspartei. Er wurde in England geboren, sieht sehr gut aus und war 1947 Kanadas bester Kurzstreckenläufer. Peter Lougheed, der junge Premier der ölreichen Provinz Alberta, gilt als der kommende Mann der Konservativen. Schreyer, der populäre Premier von Manitoba — ein Sproß deutscher und österreichischen Einwanderer — mag David Lewis als Führer der Sozialisten folgen. Ob und wann die „Jungen Löwen“ zum Zug kommen, hängt von dem Wahlresultat ab.

Heute herrscht die Meinung vor, die Geschicke der Nation würden auch nach dem 8. Juli von einer Minoritätsregierung gelenkt werden. Anderseits sind die „klassischen“ Worte von Sir John A. Macdonald, des ersten kanadischen Premierministers, unvergessen. Er sagte Anno ,1882: „Eine Wahl ist wie ein Pferderennen... Am Tag nachher weiß man mehr darüber.“

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