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Kandidaten-Schaulauf

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Unmittelbar nach dem Parteitag der Demokraten in San Francisco Mitte Juli, bei dem Walter Mondale offiziell zum Präsidentschaftskandidaten gekürt worden war und mit Geraldine Ferraro erstmals eine Frau als Anwärterin für den Vizepräsidenten-Posten feststand, signalisierten Umfragen ein mögliches Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden amerikanischen Großparteien. In der Umgebung des amtierenden US-Präsidenten Ronald Reagan schien man schon unruhig zu werden. Reagans „Bombardierungs-Scherz" vor der Aufnahme einer Radio-Rede erhöhte die Nervosität bei den Republikanern zusätzlich.

Allerdings: Was bei den Intellektuellen schlecht ankam, schien dem amerikanischen Durchschnitts-Bürger eher zu imponieren. In der zweiten Augusthälfte vor dem Wahlparteitag der Republikaner in Dallas berichteten Meinurigsforschungs-Institute bereits wieder übereinstimmend, daß Reagan mit Respektabstand vor Mondale liege. Mit dazu beigetragen hatte gewiß auch die Steuerhinterziehungs-Affäre rund um die Familie Geraldine Ferraros.

Ausschlaggebend dürften aber trotzdem die wirtschaftlichen Eckdaten gewesen sein: ein hohes Wirtschaftswachstum, ein starker Dollar, eine sinkende Arbeitslosenzahl. Die Amerikaner sind wieder stolz auf sich selbst und darauf, daß die Welt zu ihnen aufsieht. Und dieses Gefühl, so glauben vor allem die Republikaner, hat ihnen Reagans „Politik der

Stärke" gebracht.

Wonach die Amerikaner seit den Jahren der Erniedrigung (Stichwort Vietnam), der Enttäuschung (Stichwort Jimmy Carter) wirklich kein Bedürfnis haben, ist eine Politik des Lamentierens. Wahrscheinlich liegt hierin — Optimismus ausstrahlende Republikaner, Pessimismus verbreitende Demokraten — mit eine Ursache dafür begründet, daß es derzeit so aussieht, als würde es in den USA im November einen ähnlich großen konservativen Wahlsieg geben wie Anfang September in Kanada.

Das politisch interessanteste Ereignis beim Parteitag in Dallas für einen europäischen Beobachter waren weniger die Auftritte der amtierenden politischen Größen als vielmehr das „Schaulaufen" jener Kandidaten, die möglicherweise in vier Jahren zum Kampf um die US-Präsidentschaft in den Ring steigen werden.

Da ist einmal Vizepräsident George Bush, der derzeit naturgemäß im Schatten des Präsidenten steht, dem aber nachgesagt wird, eine zentrale Rolle im Weißen Haus zu spielen. Sein Problem ist, daß er nur knapp zehn Jahre jünger als Reagan ist und man in vier Jahren innerhalb der republikanischen Partei einen Generationenwechsel erwartet.

Als der ehrgeizigste Nachfolgemann gilt derzeit der junge New Yorker Kongreßabgeordnete Jack Kemp. Er war maßgebend an der Formulierung der Wahlplattform beteiligt (siehe FURCHE Nr. 36/84), die allerdings mehr eine Pflichtübung denn eine absolut bindende Richtschnur für das politische Handeln ist.

Während Kemp scheinbar lok-ker und frisch von der Leber weg die Sprüche klopft, ist ein anderer Kandidat derzeit eher krampfhaft bemüht, mit kräftigen Worten auf sich aufmerksam zu machen. Es ist dies Senator Howard Baker aus Tennessee. Baker will noch Ende dieses Jahres seinen Posten im Senat aufgeben, um sich voll auf die nächsten Präsidentschaftswahlen vorbereiten zu können.

Ein weiterer Kandidat ist ebenfalls Senator, nämlich Robert Dole. Ob er kandidieren kann, hängt allerdings von seiner Gattin ab. Sie ist derzeit Verkehrsministerin im Kabinett Reagan und hat — wie man sich erzählt — ebenso große Ambitionen auf das Vizepräsidentschaftsamt wie ihr Mann auf den Präsidentenstuhl. Man wird sehen, wie dieser innerfamiliäre Wettstreit ausgeht...

Schließlich ein letzter heißer Tip für 1988 ist der Parteipräsident der Republikaner, Paul Laxalt. Zwar bauen US-Parteien kaum auf wirkliche Mitglieder, sondern vor allem auf Fans, trotzdem hat Laxalt das, was man Partei nennt, zusammen mit seinem geschäftsführenden Obmann Frank Fahrenkopf fest im Griff.

Schwieriger gestaltet sich derzeit die Nachfolge-Frage bei der demokratischen Partei. Ein öffentliches Schaulaufen wie in Dallas gab es in San Francisco nicht.

Dies freilich auch aus einem besonderen Grund. Die Republikaner sind zur Zeit so siegessicher, daß sie bereits offen über die nächste Präsidenten-Generation sprechen. Die Siegessicherheit freilich könnte im laufenden Wahlkampf noch zu einem Handikap werden.

Die Demokraten hingegen müssen zunächst alles auf den 6. November 1984 abstimmen. Wenn auch die parteiinterne Stimmung gedrückt ist, will man sich dies nach außen nicht anmerken lassen. Uber die Leute, die nach Walter Mondale kommen könnten, spricht man nicht. Was allerdings nicht verhindert, daß sehr wohl Namen auf der Gerüchtebörse gehandelt werden.

Als derzeit aussichtslos werden die Chancen von Mondales Mitbewerber im Vorwahlkampf, Gary Hart, bewertet. Bei ihm, so heißt es, gelte das Motto: „They never come back." Und das, obwohl Hart lange Zeit als eine neue Hoffnung der Demokraten und als einziger ernst zu nehmender Gegner für Reagan galt.

Aufmerksamkeit auf sich richtete beim demokratischen Konvent der Gouverneur des Staates New York, Mario Cuomo. Durch eine fulminante Rede konnte er die Delegierten für sich begeistern. Sollte Mondale am 6. November in die Niederlage schlittern, könnte Cuomo schon bald an seiner nächsten politischen Karriere zu arbeiten beginnen.

Bei den Demokraten wurde das Augenmerk beim Parteitag fast mehr auf die Wahlplattform als auf den Präsidentschaftskandidaten selbst gerichtet. Diese zeichnet sich unter anderem nicht nur durch eine zum derzeitigen Kurs differenzierte außenpolitische Schwerpunktsetzung, sondern vor allem durch interessante sozialpolitische Positionen aus.

Eine andere Entwicklung strebt dagegen die republikanische Partei an. Und es war George Bush, der dies auf dem Republikaner-Parteitag auch öffentlich artikulierte, indem er den Konservativen in der gegnerischen demokratischen Partei zurief: „Join us", also „Kommt zu uns".

Der Hintergedanke dürfte dabei die Bildung einer Koalition der Konservativen über die Parteigrenzen hinweg sein.

An die Stelle der Sozialpolitik tritt bei den Republikanern die Wirtschaftspolitik. Allerdings nicht, wie es einer der Kandidaten beim „Schaulaufen" expressis verbis nannte, um die Reichen noch reicher zu machen, sondern um den Lebensstandard aller zu heben und damit auch das Leben der Armen zu verbessern.

Heute findet man in der demokratischen Partei Abgeordnete, die konservativer sind als viele Republikaner. Und in der republikanischen Partei findet man Abgeordnete, die genausogut einen Platz am linken Flügel der demokratischen Partei einnehmen könnten.

Alles in allem: In der amerikanischen Parteienlandschaft ist einiges in Bewegung geraten.

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