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Kann Kirchschläger Unterschrift versagen?

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Nach dem „Nein“ des Bundesrates hat der Nationalrat längst sein beharrendes „Ja“ gesprochen. Nun liegt es am Bundespräsidenten, gemäß unserer Verfassung für den 5. November eine Volksabstimmung über Zwentendorf anzuordnen. Bei dieser Anordnung steht es dem Bundespräsidenten zu, die Ver-fassungsgemäßheit der sogenannten Lex Zwentendorf zu überprüfen. Kann er durch Verweigerung seiner Unterschrift die Volksabstimmung noch zu Fall bringen? Nach Bekanntwerden einer Reihe verfassungsrechtlicher Bedenken gegenüber dem vom Volk zu beurteilenden Gesetzesbeschluß könnte der Bundespräsident nun zu einer Schlüsselfigur in der weiteren Entwicklung dieser politischen und rechtlichen Auseinandersetzung werden.

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Nach dem „Nein“ des Bundesrates hat der Nationalrat längst sein beharrendes „Ja“ gesprochen. Nun liegt es am Bundespräsidenten, gemäß unserer Verfassung für den 5. November eine Volksabstimmung über Zwentendorf anzuordnen. Bei dieser Anordnung steht es dem Bundespräsidenten zu, die Ver-fassungsgemäßheit der sogenannten Lex Zwentendorf zu überprüfen. Kann er durch Verweigerung seiner Unterschrift die Volksabstimmung noch zu Fall bringen? Nach Bekanntwerden einer Reihe verfassungsrechtlicher Bedenken gegenüber dem vom Volk zu beurteilenden Gesetzesbeschluß könnte der Bundespräsident nun zu einer Schlüsselfigur in der weiteren Entwicklung dieser politischen und rechtlichen Auseinandersetzung werden.

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Die Vorgeschichte ist bekannt: Unsere Bundesverfassung kennt nur Volksabstimmungen über Gesetzesbeschlüsse. Nachdem der Nationalrat im Falle Zwentendorf diesen Gesetzesbeschluß am 28. Juni mit 93 gegen 89 Stimmen gefaßt hatte, beschloß er unmittelbar darauf einstimmig die Durchführung der Volksabstimmung. Die Durchführung der Volksabstimmung konnte jedoch nicht schon im : Anschluß an diese Beschlußfassung erfolgen, da die Verfassung für den Beginn des Volksabstimmungsverfah-

rens die Beendigung des Verfahrens gemäß Artikel 42 B-VG verlangt: Es erfolgte die Vorlage des Gesetzes vor den Bundesrat, der am 6. Juli den ihm verfassungsmäßig zustehenden Einspruch gegen das Gesetz erhob. Nur einen Tag später faßte der Nationalrat dann den Beharrungsbeschluß.

Entsprechend der Realität unseres Parteienbundesstaates fungierte also der Bundesrat als Oppositionskammer, der Nationalrat als Regierungskammer. Mit dem Beharrungsbeschluß vom 7. Juli war das Verfahren nach Artikel 42 B-VG finalisiert. Die unmittelbar folgenden weiteren i Vorgänge fallen in den Zuständigkeitsbe-

reich der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten obersten Verwaltungsorgane, insbesondere in den Bereich des Bundespräsidenten.

Bei jeder Volksabstimmung wirkt der Bundespräsident in besonderer Weise mit: Zunächst ordnet er die Volksabstimmung an. Nach Kundmachung des Abstimmungsergebnisses hat er überdies das Beurkundungsverfahren durchzuführen. Hat das Bundesvolk in der Abstimmung den Gesetzesbeschluß abgelehnt, so darf der Bundespräsident diesen Beschluß freilich nicht beurkunden. Es darf wohl nicht einmal die Vorlage zur Beurkundung durch den Bundeskanzler erfolgen: Mit dem Nein des Volkes und der Kundmachung des Ergebnisses wäre das Verfahren beendet. Die „lex nascitura“ wird nicht „lex“.

Hat das Volk den Gesetzesbeschluß angenommen, so ist er dem Bundespräsidenten durch den Bundeskanzler zur Beurkundung vorzulegen (Artikel 47 B-VG). Wie bei jedem zu beurkundenden Gesetzesbeschluß hat der Bundespräsident an Hand von äußerer Form, Inhalt und abgelaufenem Ver-, fahren das verfassungsmäßige Zustandekommen des Beschlußes in eigener Verantwortung zu prüfen, bevor er die Unterschrift setzt und damit bestätigt, daß allfe für den „Weg der Gesetzgebung“ bestehenden Rechtsnormen eingehalten worden sind. Ein besonderes Verfahren für diese Uberprüfung ist im B-VG nicht vorgesehen.

Aus der in der Staatenpraxis nur unter Berücksichtigung formellen Rechts geübten Prüfung kann freilich keine Pflicht des Bundespräsidenten abgeleitet werden, Verfassungswidriges als verfassungsmäßig Zustandegekommenes zu beurkunden. Ja es kann dies dem Bundespräsidenten als besonderem Garanten der Verfassung auch gar nicht zugemutet werden. Erachtet also der Bundespräsident einen Gesetzesbeschluß für verfassungswidrig, so ist er berechtigt und verpflichtet, die Beurkundung zu verweigern. Damit ist er im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens stärker als der Bundesrat. Er kann die Entstehung von Bundesgesetzen verhindern.

Im Falle des Gesetzesreferendums kompliziert sich die Frage des Prüfungsrechts des Bundespräsidenten. Hier wirkt er durch die Anordnung der Volksabstimmung schon vor der Phase der Beurkundung am Verfahren mit. Hat er schon im Zuge der Anordnung ein Prüfungsrecht? Verlagert sich die ^rüfungspflicht von der Beurkundungsphase auf die Anordnungsphase?

Die Frage ist deshalb so aktuell, weil es sich bei der Lex Zwentendorf um eine Premiere des Gesetzesreferendums nach Artikel 43 B-VG handelt. Und jede verfassungsrechtliche Premiere ist ein Präzedenzfall, dem in der Staatspraxis eine authentische Interpretation gleichkommt und ähnliches Gewicht wie der ständigen Rechtsprechung beigemessen wird.

Wenn man davon ausgeht, daß die Pflicht des Bundespräsidenten zur Anordnung einer Volksabstimmung nur auf Grund eines Vorschlages der Bundesregierung oder des von ihr ermächtigten Bundesministers erfolgen kann (Artikel 67 B-VG), so trifft die Rechtspflicht des Bundespräsidenten auch die Organe, die bei seinen Akten mitwirken.

Die verpflichtenden Normen (Artikel 43, 46 B-VG) wenden sich an alle gemäß Artikel 67 B-VG zur Kooperation verbundenen Staatsorgane. Aller-

dings bestimmt Artikel 46 B-VG: „Der Bundespräsident ordnet die Volksabstimmung an.“ Der Bundespräsident als allein zuständiges und eigenverantwortliches Anordnungsorgan ist damit berufen, zu prüfen, ob die verfassungsmäßigen Voraussetzungen für die Durchführung einer Volksabstimmung gegeben sind. Käme er im Zuge der Prüfung zum Ergebnis, daß die verfassungsmäßigen Voraussetzungen nicht gegeben sind, so dürfte er sie nicht anordnen.

Wie weit geht die Prüfungsbefugnis?

Gehört nach Auffassung des Bundespräsidenten auch dazu, daß ein nach seiner Rechtsanschauung verfassungsmäßiger Gesetzesbeschluß vor-

liegen muß, so müßte er den Zwenten-dorfbeschluß daraufhin untersuchen. Alle bisher geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken (Maßnahmeoder Individualgesetz; Rechtsfor-menmißbrauch, in dem ein Verwaltungsakt in von der Verfassung nicht vorgesehener Gesetzesform ergehen soll; Gewaltentrennung; Gleichheitsgrundsatz; Dualismus von generellen und individuellen Normen) müßten von ihm geprüft werden.

Der Bundespräsident müßte prüfen, ob der Zwentendorfbeschluß ein Gesetzesbeschluß im Sinne Artikel 43 B-VG ist. Er müßte prüfen, ob der Beschluß überhaupt als Gesetz ergehen darf. Beides ist im Hinblick auf den Charakter als Individual- und Maßnahmegesetz zu bezweifeln.

Der Bundespräsident müßte auch prüfen, ob Bestimmungen' dieses Beschlusses nicht nur als Verfassungsbestimmungen erlassen werden konnten. Das ist anzunehmen. Da das B-VG schon eine Mitwirkung des Nationalrates an der Erlassung eines individual-konkreten Verwaltungsaktes, mit dem etwa eine Erlaubnis erteilt würde, nicht vorsieht, kann erst recht nicht die Erlaubniserteilung als solche in die Zuständigkeit des Nationalrates fallen. Eine solche könnte nur durch eine verfassungsgesetzliche Ermächtigung geschaffen werden.

Der Bundespräsident müßte prüfen, ob nicht in Wahrheit zwei Beschlüsse vorliegen, über die - wenn überhaupt -gesondert abzustimmen wäre. Die Paragraphen 1 und 3 einerseits und Paragraph 2 anderseits sind je eine Einheit. Auch im Hinblick auf die Verfassungsartikel !45 und 46 sowie das Volksabstimmungsgesetz 1972 ist der Zwentendorfbeschluß verfassungs-

rechtlich bedenklich. Nach Paragraph 9, Absatz 2, des Volksabstimmungsgesetzes hat bei Volksabstimmungen der amtliche Stimmzettel die Frage zu enthalten, ob der Gesetzesbeschluß, über den die Volksabstimmung erfolgt und der am Stimmzettel zu bezeichnen ist, Gesetzeskraft erlangen soll. Außerdem hat der Stimmzettel links unter der Frage das Wort „ja“ und daneben einen Kreis, rechts unter der Frage das Wort „nein“ und daneben einen Kreis zu enthalten.

Der voliegende Gesetzesbeschluß enthält aber zwei verschiedene Elemente. Nur über das eine oder andere kann je mit ja oder nein abgestimmt werden. Diese Doppelgesichtigkeit

geht auch aus dem beschlossenen Doppeltitel hervor: Der Titel „Bundesgesetz über die friedliche Nutzung der Kernenergie'in Österreich“ ist mit dem Klammertitel („Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf) verbunden.

Es ist anzunehmen, daß der Bundespräsident die ihm obliegende Pflicht zur Prüfung der verfassungsmäßigen Voraussetzungen für die Durchführung einer Volksabstimmung sehr eng auslegt. Er prüft wahrscheinlich nur, ob ein Beschluß oder ein Verlangen nach Artikel 43 B-VG vorliegt, ob das Verfahren nach Artikel 42 beendet ist und ob ein vom Natiohalrat als „Gesetzesbeschluß“ ergangener Staatsakt gegeben ist. Die Anordnung der Volksabstimmung bedeutet aber ebensowenig die Sanierung fehlerhafter Staatsakte wie die Beurkundung einen verfassungswidrigen Gesetzesbeschluß in einen verfassungsmäßigen verwandeln kann. Die Prüfungspflicht des Bundespräsidenten nach Artikel 47 B-VG wird aber auch nicht durch die Wahrnehmung der Prüfungspflicht nach Artikel 46 B-VG konsumiert oder überflüssig.

Auch der Bundeskanzler, der Österreichs Verfassungsminister ist, wird sich anläßlich einer etwaigen Vorlage zur Beurkundung mit den aufgeworfenen- durchwegs formalrechtlichen-Fragen zu beschäftigen haben. Da die Beurkundung vom Bundeskanzler und den zuständigen Bundesministern gegenzuzeichnen ist, hat der Bundeskanzler in einem solchen Fall die Möglichkeit, die Gegenzeichnung zu verweigern. Denn mit ihr übernähme er insbesondere auch die Verantwortung für die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes.

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